Im Schwarztal ist die Deutsche Bahn noch pünktlich

Es gibt ein Tal am Nordrand des Thüringer Schiefergebirges, da fahren Züge der Deutschen Bahn noch pünktlich ab und kommen fahrplanmäßig an. Von Rottenbach bis Katzhütte rauscht die Schwarzatalbahn durchs gleichnamige Tal. Und das schon seit dem Jahr 1900. Damals schnauften noch Dampfloks über die 25 Kilometer lange Trasse. Die heutigen feuerroten Triebwagen sind mit Biokraftstoff unterwegs, der aus pflanzlichen Abfall- und Reststoffen hergestellt wird. Mit der Bahn nahm einst die Glas-, Porzellan- und Holzindustrie in der Gegend ihren Aufschwung.

Nach dem Einstieg in die „Fürstenkutsche“, wie die Schwarzatalbahn seit einigen Jahren zusätzlich heißt, bitten Prinzessin Henriette und Prinz Ludwig Friedrich II. – zwei auf Kunststoffwände geklebte Figuren – ins „Fürstenabteil“. Kein Gold, kein Samt, kein Schnörkel. Es ist nur ein ganz normaler Großraumwagen mit blau-schwarz gepunkteten Sitzen. Mittels eines Faltblattes stimmen die beiden Adligen Klein und Groß auf den nächsten Haltepunkt ein. Vor 250 Jahren lebten die echten Fürstenkinder im Schloss Schwarzburg. Es war über Generationen Sommerresidenz und Jagdsitz der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt.

„Die einstige Burg wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrmals erneuert und umgebaut. Bis 1744 entstand das spätbarocke Schloss. Es war Wahrzeichen der Region“, berichtet Carola Niklas von der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, die Eigentümerin der Anlage ist: „1940 kam Adolf Hitler auf die Idee, das Gebäude zum ‚Reichsgästehaus‘ umgestalten zu lassen. Zwei Jahre später stellte man den aufwendigen Umbau wieder ein. Eine Ruine blieb zurück.“ Wieder zugänglich sind das Kaisersaalgebäude und Zeughaus sowie im noch stark restaurie­rungsbedürftigen Haupthaus der Ahnen- und Emporensaal. Am Bahnhof Schwarzburg ist die nächste „Fürstenkutsche“ eingefahren. An der mäandernden Schwarza schaukelt sie mal links, mal rechts entlang durchs Tal.

Der meist frequentierte Stopp heißt Obstfelderschmiede. Von hier startet seit 1923 die Standseilbahn „Thüringer Berg­bahn“. Bis 2021 lautete der Name „Oberweißbacher Bergbahn“. Sie steht ebenfalls unter der Regie der Deutschen Bahn. An jedem Ende des Stahlzugseils starten alle 30 Minuten im Wechsel ein geschlossener Personenwagen, der direkt über die Schiene fährt, oder eine keilförmige Aufsatzbühne. Der Personenwagen ist so schräg wie der Berg und verfügt im Innern über Stufen. Die Bühne trägt in der Wintersaison einen geschlossenen Waggon und von Mai bis Oktober ein Cabrio. „In 18 Minuten überwinden wir einen Höhenunterschied von 323 Metern, das sind 25 Prozent Steigung auf knapp eineinhalb Kilometern“, erklärt Bergbahnbedienerin Melanie Boyer: „Unter der Leitung des Regierungsbaurats Dr. Ing. Wolfgang Bäseler entstand innerhalb von vier Jahren die Steilstrecke zwischen Obstfelderschmiede im Tal und Lichtenhain in der Höhe.“ Darüber hinaus verbindet seitdem eine mehr als zweieinhalb Kilometer lange eingleisige Flachstrecke mit Elektro-Triebwagen die Orte auf der Hochebene.

Mit knapp sechs Kilometern pro Stunde zieht der „Freiluftwagen“ gemächlich an acht Eichenholzskulpturen vorbei. Sie symbolisieren regionale Themen wie Bergbahn, Porzellan, Olitäten und Friedrich Fröbel, den Erfinder des Kindergartens. Infolge zunehmender Trockenperioden und schwerer Stürme treibt auch im Thüringer Wald der Borkenkäfer sein Unwesen. Unweit des Schienenstrangs prägen viele abgestorbene Fichten und gerodete Flächen die Landschaft. Von der Bergstation Lichtenhain kommend nähert sich genauso langsam der geschlossene Personenwagen. Beide Gefährte treffen sich an einer Ausweichstelle. Detaillierte technische Fragen bekommen Passagiere im Maschinarium an der Bergstation beantwortet und erhalten einen Blick auf die Antriebsanlage mit den mächtigen Treibscheiben. Nur ein paar Meter sind es von dort bis zum Bahnsteig der Flachstrecke. Nach wenigen Minuten Halt in Oberweißbach. Gegenüber der Hoffnungskirche wurde Friedrich Fröbel 1782 im ehemaligen Pfarrhaus am Markt geboren. Inzwischen ist ein Museum eingerichtet, das an den Pädagogen erinnert. „1840 erfand er im nahen Blankenburg den Namen ‚Kindergarten’“, erzählt Katharina Eichhorn während einer Führung durch die Räume: „Er sah den Garten als Paradies, in dem Kinder wie Pflanzen aufwachsen. Außerdem entwickelte er Spielzeug in Form von Kugeln, Walzen und Würfeln.“ Im angrenzenden Olitätenstübchen klärt sich schließlich der Begriff „Olitäten“. „Es sind Naturheilmittel“, informiert Katharina Eichhorn: „Der lateinische Ausdruck Oleum bedeutet Öl. Aus Kräutern stellte man in diesem Landstrich ab Mitte des 18. Jahrhunderts Balsame, Öle, Tinkturen und Salben her. Buckel­apotheker trugen sie in einem Reff, einem stuhlartigen Holzgestell, auf dem Rücken, weit über die Grenzen des Schwarzatals hinaus.“ Über den Rundwanderweg „Auf den Spuren der Buckelapotheker“, der mit einer gelben Blüte gekennzeichnet ist, gelangt man zum Fröbel-Aussichtsturm auf dem Kirchberg. Parallel zur Bahntrasse führt die Route zurück zur Bergstation Lichtenhain. Für Abkühlung unter schattigen Bäumen sorgt hier der Walderlebnispfad „Fröbelwald“. An verschiedenen Punkten gibt es Hinweise zu Vögeln, Pflanzen, Bäumen. In einem Steinbruch wird die Entstehung des Schiefergebirges erklärt, an Baumstämmen die Fertigung von Bahnschwellen.

Hinunter ins Tal rollt zur vollen Stunde immer der geschlossene Personenwagen. Wenige Minuten nach der Ankunft in Obstfelderschmiede nähert sich schon die „Fürstenkutsche“. Perfektes Timing, Deutsche Bahn!