Kreditkartenaffäre um Julia Simon: Neuer Betrugvorwurf im französischen Biathlon – Sport

Die Skijägerin Julia Simon gilt an den Schießständen dieser Welt als gefürchtet, ob ihrer Schnellfeuerkünste ist unter Biathlon-Enthusiasten Ehrfurcht zu vernehmen. Sobald diese 29 Jahre alte Biathletin aber die Loipe verlässt, ist sie kaum wiederzuerkennen. Die kaltschnäuzige Frau an der Sportwaffe wirkt plötzlich freundlich zurückhaltend, fast schüchtern, oder anders gesagt: wie ein sehr angenehmer Mensch, der sich von den Strafrunden dieser Welt nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Nun das: Wenn man so will, steht der Branchenführerin ihrer Zunft in den kommenden Tagen eine neue Variante der Strafrunde bevor. Die zehnmalige Weltmeisterin aus Frankreich ist für den Weltcup-Auftakt der Biathletinnen und Biathleten im schwedischen Östersund von ihrem Verband gesperrt worden, wegen einer grotesken Angelegenheit. Die sogenannte Kreditkartenaffäre mündete gar in einen Gerichtsprozess, in dem sich Simon schließlich schuldig bekannt hatte.

Bei Frankreichs Biathletinnen wäre vor dem Start in diese olympische Saison allerlei Anlass zur Euphorie. Sie stellen das mit Abstand stärkste Team samt einer Reihe an Medaillenkandidatinnen: Justine Braisaz-Bouchet, Lou Jeanmonnot und Océane Michelon gehen wie Simon unter anderem als aktuelle Staffel-Weltmeisterinnen in den Winter, vier Frauen, denen viel zuzutrauen ist. Jeanmonnot etwa, die eine Rechnung mit der Deutschen Franziska Preuß offen haben dürfte, nach dem verlorenen Sprint um den Gesamtweltcupsieg gegen die Ruhpoldingerin im März. Oder eben Braisaz-Bouchet, deren Pokalvitrine fast so gut bestückt ist wie die von Simon. Wäre da nicht dieses teaminterne Theater, mit den beiden als Protagonistinnen. Und als hätte ein schlecht gelaunter Dramaturg das alles geschrieben, sind inzwischen weitere Rollen verteilt.

Die Geschichte beginnt Anfang August 2022 in der Stadt Sandnes in Norwegen: Die damals 27 Jahre alte Simon soll während des dortigen Rollerski-Events ihrer gleichaltrigen Teamkollegin Braisaz-Bouchet die Kreditkarte geklaut haben, um damit eine vierstellige Summe für Interneteinkäufe auszugeben. 2022 hatte Braisaz-Bouchet deswegen Simon angezeigt. Demzufolge wurden mit der Kreditkarte unter anderem Produkte eines Sportkamera-Herstellers gekauft, die alsbald an Simons private Adresse geliefert wurden.

Mit Bekanntwerden der Vorwürfe entwickelte sich eine obskure Kette an Ereignissen. Simon bestritt die Taten und gab an, dass sie selbst Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden sei. Das schien plausibel zu sein, weil es um geringe Summen ging, die nicht im Verhältnis stehen. Braisaz-Bouchet beharrte jedoch auf ihrem Standpunkt, und so gipfelte all das in einem Prozess, in dessen Verlauf Simon die Taten Ende Oktober dieses Jahres einräumte.

Nationalcoach Cyril Burdet stößt offenbar an seine Grenzen

Vor dem Strafgericht in Albertville kam es auf den Tisch: Simon räumte ein, dass sie mit gestohlenen Kreditkartendaten von Braisaz-Bouchet sowie einer Team-Physiotherapeutin im Internet Waren im Wert von etwa 2500 Euro eingekauft habe. Auch weitere Teammitglieder waren betroffen, stellten aber keine Anzeige. Vor Gericht entschuldigte Simon sich bei den Betroffenen, ließ aber Fragen offen. „Ich kann mich nicht erinnern, diese Taten begangen zu haben“, sagte sie. Es habe „keine finanziellen Motive“ gegeben, französische Ermittler gaben bekannt, dass ihr Vermögen seinerzeit etwa 320 000 Euro betragen haben soll. Auf die Frage des Staatsanwalts, warum sie Fotos von den Bankkarten von Braisaz-Bouchet habe, antwortete Simon: „Ich habe so etwas wie einen Blackout.“ Sie könne sich nicht vorstellen, so etwas noch einmal zu tun. Seit gut drei Jahren arbeitet sie mit einem Therapeuten zusammen.

Simon wurde zu einer dreimonatigen Haftstrafe auf Bewährung und 15 000 Euro Geldstrafe verurteilt. Die sportliche Strafrunde leitete alsbald der französische Skiverband in die Wege: Sie erhielt eine sechsmonatige Sperre, wovon fünf zur Bewährung ausgesprochen wurden. Simon verpasst somit die Wettkämpfe in Östersund und kann Mitte Dezember beim Weltcup in Hochfilzen und auch bei den Olympischen Winterspielen im Februar starten. Der Wirbel um die französischen Biathletinnen könnte damit enden. Doch im Team läuft bereits der nächste Akt.

Dem Portal Dicodusport zufolge soll es Ende des vergangenen Winters abermals zu einem Betrugsversuch innerhalb der französischen Frauen-Equipe gekommen sein. Demnach soll Jugendolympiasiegerin Jeanne Richard, 23, das Gewehr ihrer gleichaltrigen Teamkollegin Océane Michelon manipuliert haben und dabei in flagranti erwischt worden sein. Und zwar von Justine Braisaz-Bouchet, die – wenn die Sache so stimmt – zur teaminternen Aufpasserin avanciert. Der Verband verzichtete auf offizielle Konsequenzen, Richard fehlte aber aus unbekannten Gründen zu Beginn der Sommervorbereitung, ehe sie sich unlängst erklärte. „Wir haben das Thema intern geklärt. Für mich ist die Sache abgehakt, und wir schauen nach vorn“, sagte sie. Teamkollegin Michelon äußerte sich direkt: „Es ist so, wie sie gesagt hat.“

Nationalcoach Cyril Burdet ist in dieser verzwickten Gemengelage nicht zu beneiden. Ihn sollen die Querelen zuletzt an seine Grenzen gebracht haben. Ob er weitermacht, gilt als ungewiss, trotz all der sportlichen Erfolge.