Im Punkjahr 1976 posiert Baxter zusammen mit seinem Vater Ian für ein Foto vor dem Schaufenster eines Bekleidungsgeschäfts. Baxter ist zu jenem Zeitpunkt fünf, er lehnt breitbeinig an einem Schaufenster im Londoner East End, die Hände in den Taschen seiner Schlaghose vergraben.
Er trägt Turnschuhe, T-Shirt und Hosenträger und schaut cool nach rechts, an der Kamera vorbei, mit einer Attitüde, als wäre er zwei Köpfe größer. Sein Vater, rechts von ihm, trägt Doc Martens, umgeschlagene Jeans und Jacket, halb Skinhead-Chic, halb Glamrock-Attire, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Beide sind stark in ihrer körperlichen Präsenz, aber sehr unterschiedlich im Ausdruck.
Baxter ist herausfordernder als sein Vater Ian. Das Bild ist eindrucksvoll, trotzig, lustig hintergründig und aussagestark. Wäre es in einem Coffeetable-Fotobuch über die englische Working Class, hätte es das Zeug zum Signaturbild. Es gibt aber eine Sache, die den Blick darauf ändert: Das Bild ist das Coverfoto fürs Debütalbum des Londoner Musikers und Schauspielers Ian Dury.
Neue Stiefel und Damenunterwäsche
Es macht Baxter Dury zum Sohn eines berühmten Vaters. Das Bild bekommt einen Beigeschmack, wenn man weiß, dass hier ein Kind eingesetzt wurde, um die künstlerische Inszenierung des Vaters anzureichern. Baxter erinnert sich interessanterweise an ein Geschäft für Damenunterwäsche als Hintergrund für das Bild, das ist nur teilweise richtig. In der linken Seite des Schaufensters ist Damenunterwäsche zu sehen, aber in der rechten sind Herrenklamotten.
Baxter Dury: „Allbarone“ (Heavenly/PlayItAgainSam): live: 27.11. 2025 Köln „Die Kantine“,
30.11. 2025 Hamburg „Uebel & Gefährlich“, 1.12. 2025 Berlin „Huxleys“,
2.12. 2025 Heidelberg „Karlstorbahnhof“
Diese verzerrte Erinnerung könnte dem Albumtitel geschuldet sein. „New Boots and Panties!!“ Auf dem Werk ist auch Ian Durys Songklassiker „Sex & Drugs & Rock & Roll“ enthalten. Ian Dury war offensiv, wenn es um Sex und Rock & Roll ging. Bei Drogen sicher auch, stumpf oder schmierig war er allerdings nie. Trotzdem hat er Baxter ziemlich früh ziemlich viel aufgetischt. Popstar-Eltern sind ein frühkindliche Überforderung.
„Ein beängstigendes Erbe, was mir hinterlassen wurde,“ sagte Baxter in einem Interview mit dem Guardian sarkastisch und fährt fort: „Musikalische Erbfolgen sind eher selten, oder? Künstlerisch geprägte Familien reichen den Stab quasi automatisch weiter, das ist eine Tatsache. Wenn das Gleiche in einer musikalischen Familie passiert, grenzt es dagegen an ein Wunder.“
Die Geschichte geht gut aus
Viele kennen Ian Dury; Baxter Dury, der ebenfalls Musiker ist, kennen weit weniger Menschen. Diese Eltern-Kind-Konstellation, ein Elternteil ist Popstar, das Kind will es werden, ist der Beginn von vielen eher traurigen Karrieren. Die Geschichte von Baxter geht, zumindest künstlerisch gesehen, gut aus. So viel sei schon mal verraten.
Die wenigsten Kinder von Popstars schaffen es, mit ihren Eltern gleichzuziehen oder sie künstlerisch gar zu übertrumpfen. Miley Cyrus ist da vielleicht die Ausnahme, die die Regel bestätigt. In einer anderen Hinsicht ist Miley Cyrus aber mustergültig. Das beängstigende Erbe beginnt oft schon mit der Namenswahl. Vater Billy Ray Cyrus ist ein Countrysänger. Miley wurde eigentlich auf den Namen Destiny Hope Cyrus getauft. Warum beschwert man sein Kind mit dem Namen „Schicksal Hoffnung“?
Andere Popstars nutzen die Namensgebung als Gelegenheit, um sich einen existenziellen Scherz zu erlauben. Frank Zappas Tochter heißt „Moon Unit Zappa“, lustig, wenn man nicht selbst damit leben muss. Kanye Wests Tochter heißt North West. Sie ist von Geburt an im Geschäft, ein Paradebeispiel für das Pop-Phänomen Nepobaby, ein nepotistisches Kind. „Elementary School Drop Out“ hieß ihr erstes Album, das Debütalbum ihres Vaters hieß „High School Drop Out“. Viel zu vieles, viel zu früh. Man wittert schon die Schlagzeile von Drogenexzessen und Suizidversuchen.
Hank der Dritte
Das mit der Namensgebung hat im Pop aber auch noch eine dynastische Dimension. Die Countrylegende Hank Williams hat einen Sohn, der Hank Jr. heißt, der einen Sohn hat, der Hank III heißt. Alle drei wurden Country-Musiker. Der Sohn von John Lennon und Yoko Ono heißt Sean Ono Lennon. Sein Name wirkt fast so, als hätten die beiden ihr Gemeinschaftswerk signieren wollen.
Sean hat gute Musik gemacht für Grand Royal, das Label der Beastie Boys. Dort veröffentlichte er Soloalben und mit dem japanischen Duo Cibo Matto (bei der seine Ex-Freundin Yuka Honda mitgespielt hat). All das ist schon eine Weile her. Sean Lennon ist künstlerisch begabt, doch darum geht es in der öffentlichen Wahrnehmung leider eher selten. Es scheint, als ob die Popstar-Eltern ihr Kind eher als Erweiterung ihrer selbst sehen. Dieser Komplex aus Ich- und Ruhmsucht gehört wahrscheinlich zum Popgeschäft. Die Öffentlichkeit befeuert das. Das Kind soll als Stuntdouble für den Star herhalten.
Wenn man sich als Popstar-Kind darauf einlässt, führt es meistens dazu, dass man mit „15 Minutes of Fame“ und einem Hit belohnt wird. Man kann sich auch danebenstellen, Nancy Sinatra, Natalie Cole und Kelly Osborne haben das getan und mit ihren Vätern Duette eingesungen, teils, als diese schon tot waren. Nancy und Natalie nehmen bei dieser Gelegenheit für die Dauer eines Popsongs sogar die Rolle der Geliebten des Vaters ein, was sich bizarr anfühlt. Kelly Osbourne bleibt zumindest Tochter. Viele Popstarkinder bleiben meist ihr Leben lang Tochter oder der Sohn von … Manche stricken sogar aktiv an der Legende mit.
Young Dirty Bastard
Der Sohn des verstorbenen New Yorker Rappers Ol’ Dirty Bastard, nennt sich gleich Young Dirty Bastard. Ol’ Dirty Bastard war Gründungsmitglied der New Yorker HipHop-Supercrew Wu Tang Clan und ist 2004 an einer Überdosis Kokain gestorben. Young Dirty Bastard übernimmt inzwischen bei Wu/Tang-Konzerten den Part seines Vaters.
Er sieht ihm sehr ähnlich und stellt das auch aus. Auf dem Cover seiner Single „Bar Sun“ sind beide zu sehen, Ol’ und Young Dirty Bastard. Die Ähnlichkeit ist fast verstörend. Gesichtszüge, Frisur, der Sohn sieht aus, als wäre er ein Mini-Me vom Vater. Ziggy Marley spielt zum 75. Geburtstag seines Vaters alle Hits von Bob Marley nach. Ziggy Marley musste sich von einem Fan sagen lassen: Du bist gut, aber dein Vater ist besser. Nicht war, sondern ist besser. Für immer, Destiny, puh …
Auch Baxter Dury spricht in seinem Interview im Guardian von einer seltsamen Erwartungshaltung der Fans. Viele sähen es gerne, wenn er mit seinem eigenen Kind das Foto von 1976 nachstellen würde. Er hat es nicht getan, er hat seinen Vater auch nicht gecovert. Er will das nicht. Baxter hat Ian auch nicht imitiert, er hat ihn aber auch nicht verleugnet.
Weiterentwickelt und verworfen
Man bekommt das Gefühl, als habe Baxter alles akribisch studiert, was sein Vater ihm künstlerisch hinterlassen hat. Geprüft, weiterentwickelt – oder verworfen, was seinem Wesen nicht entspricht. Das klingt nach Buchhalterei, ist es aber nicht. Baxter hat hart an sich gearbeitet, was dazu führt, dass seine Künstlerpersona sich jetzt punktgenau gehen lassen kann. Der Vortragsstil von Baxter und Ian liegt zwischen Gesang und Spoken Word. Ian haut raus, Baxter ist eher ein Schreihals.
Ian war nach einer Polioerkrankung gehbehindert und klein von Wuchs, in dieser Situation muss man wohl gleich zubeißen, sonst geht man unter. Baxter liegt stimmlich tief, croont, erzählt hintergründige Geschichten und lässt oft einen Frauenchor die Hooklines seiner Songs singen. Ian ist sprachverspielt: „Hit me with your rhythm stick, hit me, hit me, C’est si bon, mm? Ist es nicht?…“
Baxter albert nicht herum, aber er spielt wie sein Vater mit dem Multilingualen, hat einen Song auf seinem neuen Album „Allbarone“ der „Schadenfreude“ heißt. Ein weiteres Beispiel ist der französische Refrain im Song „I’m Not Your Dog“: „Ce n’est pas mon probleme / Je ne suis pas ton chien“, hier streift er noch die Assoziation zu Iggy Pops „Now I wanna be your dog“.
Man hört noch den Underdog
Checker sind sie beide. Ian und Baxter wissen, was sie da tun. Sie kennen die Verhältnisse. Ian hat seine Künstlerperson um die englische Klassentrennung herum gebaut. Das Cockney seines Vaters hat Baxter nicht übernommen, aber den Underdog hört man seinem Akzent noch an. Er hat sich vom Indie-Musiker in verwaschenen T-Shirts zum slicken Player gewandelt. Sein Album „Allbarone“ wurde von Starproduzent Paul Epworth begleitet. Im Video zum Titelsong gondelt Baxter durch Venedig und tanzt dabei zu 80er-Synthie-Sound. Das Szenario erinnert an Madonnas „Like a Virgin“.
Aber Baxter ist ein grauhaariger Mann mittleren Alters im teuren Anzug. Man sieht Goldketten im Ausschnitt seines weit offenen Hemds. Es gibt wieder einen überdrehten Frauenchor im Refrain, Baxter croont in den Strophen: „… before I even met you, I booked a Hotel.“
Warum ist das nicht Panne? Baxter ist wie sein Vater ein Wesen zwischen den Welten, ein Trickster-Punk im Anzug. Sexuell anzüglich, aber nie schmierig. Abgekocht und zugleich einfühlsam. Verzweifelt und mutig, düster und lustig. Beide haben Charisma, beide sind poetische Geschichtenerzähler. Es macht Spaß, Ian und Baxter nebeneinander zu betrachten. Vater und Sohn. Heute vielleicht mehr als 1976. Ian ist im Jahr 2000 mit nur 58 gestorben, Baxter ist jetzt in seinen 50ern. Hoffentlich meistert er auch die zweite große Hürde im Pop: in Würde alt zu werden. Zuzutrauen wäre es ihm.
