Evolution: Wie das Mikrobiom verrät, wann sich Menschen das erste Mal geküsst haben

Britische Wissenschaftler haben die Ursprünge des Kusses erforscht – schon vor Millionen Jahren haben sich unsere Vorfahren geküsst. Den Forschern gelangen auch erstaunliche Rückschlüsse zum Neandertaler.

Nicht nur Menschen küssen sich, auch bei unseren nächsten Verwandten wie Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans und Gorillas küsst man sich. Was den Rückschluss erlaubt, dass Küssen eine lange evolutionäre Vorgeschichte haben muss.

Wissenschaftler von der Oxford Universität (England) wollten es nun genauer wissen. Sie entwickelten ein statistisches Modell, mit dessen Hilfe sie den ersten Kuss auf eine Zeit vor etwa 20 Millionen Jahren datieren. Das berichtet das Fachmagazin „Evolution and Human Behaviour“.

Das Ergebnis ist umso überraschender, als Küssen auf den ersten Blick keinen evolutionären Vorteil zu bringen scheint. Im Gegenteil: Beim Küssen können Viren und Bakterien übertragen und das Gegenüber im schlimmsten Fall mit tödlichen Krankheiten infiziert werden.

Doch der orale Austausch von Mikroben, so zeigten frühere Studien, stärkt offensichtlich das Immunsystem. Durch das Küssen wird bei Paaren das Mikrobiom im Mund im Laufe der Zeit immer ähnlicher. Küssen hat also durchaus positive Folgen für die Gesundheit.

Mikrobiom im Mund ähnelt sich

Die britischen Forscher werteten für ihre aktuelle Studie eine große Menge verfügbarer Daten aus. So gibt es anhand fossiler Funde Untersuchungen zu Mikroben im Mund- und Rachenraum bei den Vorfahren des heutigen Menschen, des Homo sapiens. Sie werteten auch Beobachtungen zum Kussverhalten heute lebender Menschenaffen aus. Mit diesen Informationen fütterten sie ihr statistisches Modell.

Nach mehreren Durchläufen lag das Ergebnis vor: Mit hoher Wahrscheinlichkeit gehört das Küssen seit 21,5 bis 17 Millionen Jahren zum Verhaltensrepertoire der Menschenaffen und ihrem Nachfolger, dem Homo sapiens. Studienleiterin Mathilda Brindle sagt: „Erstmals wurde das Küssen im Rahmen einer umfassenden evolutionären Perspektive untersucht.“

Aufgrund der Ergebnisse kommen die Forscher zu dem Schluss, dass die Vorfahren des heutigen Menschen sich auch mit dem Neandertaler geküsst haben dürften, wie vergleichende Untersuchungen zum Mikrobiom zeigten. Der letzte gemeinsame Vorfahr von Neandertaler und modernem Menschen lebte vor etwa 600.000 Jahren. Danach trennt sich die Entwicklungslinie.

Evolutionsbiologen gehen aber davon aus, dass sich moderner Mensch und Neandertaler noch kreuzten, bevor die Neandertaler ausstarben. Im Erbgut des Menschen (mit Wurzeln außerhalb Afrikas) finden sich heute noch Spuren des Neandertaler-Erbguts.

Aber was genau ist Küssen eigentlich? Nicht jede Berührung der Lippen ist ein Kuss. Entwickelt hat sich das Küssen vermutlich aus der Angewohnheit, Nahrung für den Nachwuchs vorzukauen und ihn damit zu füttern.

Die britischen Forscher definieren Küssen daher als einen „nicht-aggressiven Mund-zu-Mund-Kontakt, der nicht dem Austausch von Nahrung dient“. Das, so die Forscher, umfasse den sexuellen Kuss zwischen Verliebten ebenso wie platonische Küsse wie etwa zur Begrüßung zwischen Freunden oder Familienmitglieder.

dia