Als Dorothy sieben Jahre alt war, wurde sie zum ersten Mal zum Sambesi geschickt. Alt genug, befanden ihre Eltern, um am mächtigen, breiten Fluss Wasser für die Familie zu holen. Wo es keinen Brunnen und kein Wasserloch in der Nähe gibt, muss jeder Liter zum Trinken, Kochen, Waschen nach Hause getragen werden. Dorothy folgte ihren älteren Geschwistern, die den Weg von der Siedlung auf dem Hügel hinunter zum Flussufer kannten. Die ihr die Spuren wilder Elefanten zeigten und sie auf das kehlige Brüllen der Flusspferde aufmerksam machten. Und sie warnten, am ruhig dahinfließenden Fluss die größte Gefahr von allen nie zu unterschätzen: die Krokodile.
Ihre Schwester Nomsa war zwölf Jahre alt, als sie nicht mehr vom Wasserholen zurückkehrte. Was sie angefallen hatte, erfuhr die Familie nie. Die Leiche des Kindes blieb verschwunden.
„Schlag dem Ungeheuer aufs Maul“
Als Dorothy 17 Jahre alt war, wurde sie selbst von einem Krokodil angegriffen. Es schnappte nach ihrem Bein und riss ihren Oberschenkel auf, es biss ihren rechten Daumen ab. Geistesgegenwärtig erinnerte sie sich an das, was man ihr beigebracht hatte: Schlag dem Ungeheuer aufs Maul. Das Krokodil ließ von ihr ab, das Mädchen konnte sich schwer verletzt retten. Nach dem Angriff des Krokodils blieb Dorothy fast zwei Monate im Krankenhaus, bis ihre Wunden geheilt waren. Doch die Angst vor dem Fluss blieb. Freunde und Familienmitglieder gingen damals für sie zum Fluss, um Wasser zu holen, berichtet sie. Obwohl der Ort mit schrecklichen Erinnerungen verbunden ist, wollte sie wieder zur Schule gehen, unbedingt ihren Abschluss machen.

Von der Schule aus, die Dorothy damals besuchte, sieht man von einer Anhöhe hinab auf den Sambesi. Dazwischen liegt ein grüner Garten, der der Kapululira Secondary School gehört, nun begrenzt durch einen Elektrozaun. „Dahinter, das ist jetzt eine No-go-Area für unsere Kinder“, sagt Amin Makuba, Direktor der Schule. Der gefährliche Gang zum Wasser ist Geschichte. Kein Mädchen, kein Junge muss mehr das eigene Leben aufs Spiel setzen, um ein paar Liter vom Fluss zu holen. Seit einigen Jahren haben die Schule und die angrenzende Gemeinde eine Quelle mit Solarpumpe, aus der sie schöpfen können. Gebaut wurde sie mithilfe der Stiftung Kinderzukunft, für die die F.A.Z. ihre Leser in diesem Jahr um Spenden bittet, damit drei weitere Schulen im Süden Sambias mit Brunnen, sanitären Anlagen und Schulgärten versorgt werden können.
Der Brunnen erspart den Schülern der Kapululira-Schule im Distrikt Chirundu nicht nur den lebensgefährlichen Weg, er liefert ihnen auch reichlich Wasser, weil tief genug gebohrt wurde. Deshalb ist genug vorhanden, um auch einen großzügigen Schulgarten zu bewässern. Die älteren Schüler erhalten dort eine praktische Grundausbildung in landwirtschaftlichen Fähigkeiten.

Vincent ist einer von ihnen, der an seine Familie weitergeben konnte, was er im Unterricht gelernt hat: Wie man Zwiebeln oder Grünkohl anpflanzt und richtig bewässert. Er möchte nach dem Abschluss in der Landwirtschaft Geld verdienen, sagt der Einundzwanzigjährige. Der praktische Unterricht sei auf jeden Fall besser, als nur im Klassenzimmer zu sitzen.

Seine Mitschülerin Margret ist die poetischere Natur: Sie liebe es, in der Natur zu arbeiten und zu sehen, wie durch das Wasser „etwas zum Leben erweckt werden kann“. Statt Klassenarbeiten zeugen hier Wettbewerbsfelder von hochgewachsenem Erfolg und kümmerlichem Misserfolg: Deutlich verkünden Namensschilder, wer seinen kleinen Acker besser als der Schulfreund nebenan bestellt hat.
Doch der Schulgarten liefert nicht nur Anschauungsunterricht, der Kapululira Secondary School soll er auch Zusatzeinnahmen verschaffen, etwa um die Solarpumpe instand zu halten oder weitere Solarmodule auf dem Dach installieren zu können. Der Lehrer für die landwirtschaftlichen Fächer, Muchindu Press, stellt sich gern vor, was er alles mit dem Erlös aus 181.840 Zwiebelpflanzen anfangen könnte, die sie zuletzt gesetzt haben. Für jede dicke Zwiebel bekommt er auf dem Markt einen sambischen Kwacha, wenn er 26 verkauft, hat die Schule einen Euro verdient.

Aber er zeigt auch auf einen Haufen roter Knollen, die zu früh aus der Erde gezogen wurden und nun unverkäuflich sind. Die Lehrer und Schüler, sie alle lernten noch dazu, aber Press zeigt sich zuversichtlich, dass sie zu „Experten für Zwiebeln“ würden. Der Elektrozaun, der das Areal umgibt, schützt die jungen Pflanzen vor ihren Fressfeinden, den umherziehenden Ziegen, aber auch den wilden Elefanten, die die Aussaat zertrampeln könnten.
Dorothy, die ehemalige Schülerin der Kapululira-Schule, lebt immer noch in unmittelbarer Nähe. Sie ist heute 22 Jahre alt, vor wenigen Monaten hat sie einen Sohn, Jaden, geboren. Ihn trägt sie, in ein großes Tuch gewickelt, überall mit sich herum und schützt ihn mit einem großen Regenschirm vor der Sonne. Ein kleines Tuch hat sie um den Daumenstumpf ihrer rechten Hand gewickelt, den sie, wann immer möglich, versteckt. Ihren Schulabschluss hat die junge Frau trotz des schrecklichen Erlebnisses geschafft.

Ihre Großmutter Verinice hat ihr ein fruchtbares Stück Land vererbt, für das Dorothy sehr dankbar ist. Es klingt wie „very nice“, wenn die Enkelin ihren Namen ausspricht. Das Feld liegt neben anderen auf einer Terrasse, die in den Hang oberhalb des Sambesi gebaut wurde. Dank dessen, was sie im landwirtschaftlichen Schulunterricht gelernt hat und was sie im Schulgarten praktisch üben konnte, kann Dorothy das Stück Land allein bewirtschaften. Sie weiß, was sie wann anpflanzen muss, was Ertrag verspricht, wie sie bewässert, ohne einen Tropfen Wasser zu verschwenden.
Die Auberginenpflanzen, die die junge Frau auf ihrem Feld in ordentlichen Reihen anbaut, sind im September noch nicht kniehoch, aber die Blätter sehen saftig und gesund aus. Sie hofft auf eine ertragreiche Ernte, die sie auf dem Markt verkaufen kann. Nur Zwischenfrüchte, sagt sie. Erst im November, wenn die Regenzeit beginnt, wird sie Pflanzen wie Mais oder Kochbananen anbauen, die noch mehr Wasser brauchen, aber auch einen höheren Verdienst versprechen. Bewässert wird das Feld mit einem Schlauch. Gegen ein kleines Entgelt kann sie eine elektrische Pumpe nutzen, die Wasser aus dem Sambesi aus hundert Meter Entfernung bis auf ihren kleinen Acker drückt. Hinunter muss sie nicht mehr gehen. Von ihrem Feld aus überblickt sie den Fluss, der sie fast das Leben gekostet hätte. Aber er hat seinen Schrecken verloren.
