Fitness: „Ich würde jedem, der nicht trainiert, diese Übungen empfehlen“

Fitnesstraining ohne Geräte erlebt einen Boom. Klassiker wie Sit-ups, Liegestütze und Klimmzüge feiern ihr großes Comeback. Für einen erfolgreichen Start benötigen Sie nur einen Spiegel. Anschließend kommt es auf die Steigerungsraten an. Experten klären auf.

Im Fitnessstudio von Sean Keogh gibt es weder Hanteln noch Kraftgeräte. Im Calisthenics Club Houston dreht sich alles um das Training mit dem eigenen Körpergewicht. „Das ist alles, was wir machen“, sagt Keogh – aber das reicht aus, um neue Mitglieder anzulocken, die das Ausführen von Handständen erlernen und Klimmzüge schaffen wollen.

Keogh und seine Mitglieder liegen im Trend. Heutzutage werben unabhängige Fitnessstudios und große Ketten gleichermaßen für Trainingseinheiten mit dem eigenen Körpergewicht, bei denen wenig oder gar keine Geräte zum Einsatz kommen. Manche bieten auch Calisthenics an, wo es bei Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, gepaart mit Elementen aus Akrobatik, Turnen und Breakdance, auf Kraft und Schnellkraft, auf Koordination und Beweglichkeit sowie auf extreme Körperbeherrschung ankommt.

US-Präsident Donald Trump hat dieses Jahr den Presidential Fitness Test wieder eingeführt, damit Jugendliche in den USA wieder altbewährte Übungen wie Sit-ups, Liegestütze und Klimmzüge machen. „Es ist wenig überraschend, dass diese Grundübungen in unserer durchgetakteten Gesellschaft ein Comeback erleben“, sagt Anatolia Vick-Kregel, Direktorin des Lifetime Physical Activity Program an der Rice University Texas: „Wir haben nicht immer Zeit, ins Fitnessstudio zu gehen.“ Diese Übungen könne man zwischendurch, zu Hause oder im Büro machen.

Ein weiterer Grund für das Comeback dürfte wirtschaftlicher Natur sein, sagt Michael Stack, Sportphysiologe und Präsident der Physical Activity Alliance, einem Zusammenschluss von Gruppen, die sich für körperliche Aktivität einsetzen. Da keine Geräte erforderlich sind, ist es für Sportler erschwinglich und für Fitnessstudios, die Programme auf dieser Basis anbieten, profitabel.

Außerdem hätten sich die Menschen während der Pandemie möglicherweise daran gewöhnt, mit wenig Ausrüstung zu trainieren. „Dieser Trend hat sich schon länger abgezeichnet“, sagte Stack. „Die Pandemie hat ihn definitiv beschleunigt.“

Wie effektiv ist es?

„Es gibt zahlreiche Studien, die darauf hindeuten, dass Übungen mit dem eigenen Körpergewicht vieles verbessern können, von der Muskelkraft bis hin zur aeroben Kondition“, sagte Vick-Kregel. „Das Körpergewicht als Trainingsmittel ist phänomenal.“

Aber es gebe auch Grenzen für seine Wirksamkeit, sagte John Raglin, Professor für Kinesiologie an der Indiana University School of Public Health in Bloomington: „Es kann effektiv sei, aber ich halte die Vorstellung, dass es selbst einfache Geräte ersetzen kann oder sollte, für falsch.“ Manchmal, so Raglin, könne die Verwendung von Geräten die Übungen sogar einfacher oder sicherer machen. Viele Menschen machen beispielsweise Liegestütze mit einer falschen Haltung. Raglin: „Wenn man nicht stark genug ist, Gelenkprobleme oder Arthritis hat, kann es tatsächlich sicherer und praktischer sein, sich auf eine Bank zu legen und kleine Handgewichte zu verwenden.“

Es hängt alles davon ab, was das Ziel im Training ist. Sicherlich werden Menschen, die Kraft oder Muskelmasse deutlich steigern möchten, schnellere Ergebnisse erzielen, wenn sie Gewichte verwenden, so Raglin. Das Heben von Gewichten schädigt zudem das Muskelgewebe, was produktiv sein kann, da die Muskeln durch den Reparaturprozess des Körpers größer werden. Mit der Zeit kann es jedoch sein, dass man größere Gewichte benötigt, um weiterhin Fortschritte zu erzielen. Der Fortschritt stagniert, wenn sich der Körper an die Übungen gewöhnt, die er zuvor gemacht hat.

Pralle Bizepsmuskeln? Dann braucht es wohl mehr

Es ist möglich, durch Calisthenics Muskeln aufzubauen, sagte Vick-Kregel. Es sei nur schwieriger, die Übungen kontinuierlich zu steigern, um nachhaltige Fortschritte zu erzielen. „Nachdem Sie ein paar Trainingseinheiten mit Kniebeugen mit Ihrem Körpergewicht absolviert haben, benötigt Ihr Körper eine externe Belastung, um stärker zu werden oder Muskelgewebe aufzubauen“, stimmt Stack zu.

Mit anderen Worten: Wer sich pralle Bizepsmuskeln wünscht, braucht wohl mehr Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, um dieses Ziel zu erreichen. Wer jedoch ein fittes und gesundes Leben anstrebt, dem reicht das wahrscheinlich aus. „Das eigene Körpergewicht ist das einfachste Trainingsgerät, das man verwenden kann“, sagte Stack. „Ich würde jedem, der nicht trainiert, empfehlen, mit Übungen nur mit dem eigenen Körpergewicht zu beginnen.“

Wie man beginnt

Beurteilen Sie zunächst Ihre aktuelle Fitness und Beweglichkeit, rät Vick-Kregel. Prüfen Sie mithilfe eines Spiegels, eines Trainingspartners oder eines Trainers, ob Sie Übungen wie Planks, Liegestütze und Kniebeugen korrekt ausführen können. Wenn nicht, suchen Sie nach Alternativen, wie Liegestütze aus der Kniebeuge.

Sobald Sie sich mit den Grundlagen sicher fühlen, sollten Sie versuchen, zwei- bis dreimal pro Woche zehn- bis 30-minütige Einheiten durchzuführen, empfiehlt sie. Steigern Sie die Dauer und Intensität Ihres Trainings allmählich, wenn Sie fitter werden. „Eine schrittweise Steigerung ist entscheidend“, betont Vick-Kregel.

Mit zunehmender Erfahrung können Übungen mit eigenem Körpergewicht jedoch mit hoher Intensität durchgeführt werden. Keogh sagt, dass diese Übungen nicht nur für Anfänger geeignet sind. Es gibt viele Möglichkeiten, den Schwierigkeitsgrad von Körpergewichtsübungen im Laufe der Zeit zu steigern, wodurch sie sowohl sehr anspruchsvoll als auch effektiv werden, sagte er. Für Zweifler hat Keogh eine klare Botschaft: „Probieren Sie es aus.“

lwö/SUF