Plötzlich muss die Hälfte des Publikums den Saal verlassen. Gerade erst ist der Applaus für den Pianisten Kit Armstrong verhallt, als Markus Fein, Intendant der Alten Oper in Frankfurt, zum Mikrofon greift, um einen Teil der Zuhörer des Saals zu verweisen.
Merkwürdige Szenen, die sich da im Mozart-Saal des Konzerthauses abspielen – und die doch eher zu amüsiertem Gelächter denn zu Irritation führen. Denn die Konzertbesucher sind ein Testpublikum, und die Aufführung ist der Auftakt eines außergewöhnlichen Projekts.
„Wir wollen für den Mozart-Saal eine ähnlich perfekte Akustik schaffen wie im Großen Saal der Alten Oper“, sagt Fein und fragt lieber gleich selbst rhetorisch: „Ist die Akustik im Mozart-Saal schlecht? – Nein, sie ist bereits gut. Aber das reicht uns nicht. Wir wollen eine exzellente Akustik.“
Zumal es immer relativ sei, den Klang eines Raums zu bewerten. Denn verschiedene Veranstaltungen benötigten eine unterschiedliche Akustik und gerade im Mozart-Saal sei die Bandbreite der Aufführungen groß, wie Fein weiter ausführt: von Klavierabenden über Kammermusik bis zu Weltmusik und Big Band.
2027 soll der Klang perfekt sein
Um optimale Bedingungen für sämtliche Veranstaltungen zu schaffen, geht das Team der Alten Oper neue Wege. „Wir nehmen nicht nur bauliche Verbesserungen vor, sondern setzen auch auf innovative Technik und Künstliche Intelligenz“, sagt Fein.
Dabei arbeitet die Alte Oper mit dem bayerischen Unternehmen Müller-BBM zusammen. Dessen Geschäftsführer Marcus Blome präsentiert sichtlich stolz das elektronische Raumakustiksystem „Vivace“ und ist fast noch ein bisschen stolzer auf die Institutionen in aller Welt, in denen es schon zu finden ist. Das Joan Sutherland Theatre im Opernhaus von Sydney ist ebenso darunter wie das Wiener Volkstheater und das Stadtcasino in Basel.
Blome erklärt, dass bei „Vivace“ Mikrofone den Klang an zahlreichen Stellen im Saal aufzeichnen. Anschließend verarbeite und analysiere das System die Informationen und passe den Klang über Lautsprecher so an, dass er überall im Saal optimal sei.
Eine Künstliche Intelligenz analysiert die Testdaten
„Falls Sie jetzt denken, dass das bestimmt total technologisch klingt, kann ich ihnen sagen – das dachte ich erst auch“, sagt Fein: „Aber ich habe mich überzeugen lassen. Der Klang hat viel Weite und Wärme.“ Das vor 25 Jahren entwickelte und seitdem stetig verbesserte System solle zukünftig auch die Akustik im Mozart-Saal so präzise steuern, dass sie sich jeder erdenklichen musikalischen Situation „optimal anpassen lässt“, wie Blome sagt.
Neu wird im Mozart-Saal der Einsatz von Künstlicher Intelligenz sein. Sie soll die Saalakustik zukünftig steuern. Dabei kommt ein weiterer Partner der Alten Oper ins Spiel. Das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie mit Sitz im thüringischen Ilmenau untersucht als Teil der Fraunhofer-Gesellschaft die Schnittstelle zwischen Klang und Technik.
Christoph Sladeczek, der das Forschungsprojekt in der Alten Oper leitet, stellt verschiedene laufende Vorhaben des Instituts vor. Mittels akustischer Regensensorik wolle man anhand des Klangs von Wasser auf Solaranlagen Echtzeit-Daten über Niederschlagsmengen sammeln. Beim akustischen Monitoring von Aquakulturen höre man hingegen Fischen beim Essen zu, um zu erkennen, wann sie satt seien.

Auch mit Konzerten habe das Fraunhofer-Institut schon Erfahrung. So arbeite es bei der Akustik der Bregenzer Festspiele mit. In Frankfurt solle ein KI-basiertes System den Analysepart im „Vivace“-System übernehmen.
Die Idee zu dieser KI-Steuerung hatte die Frankfurter Hertie-Stiftung, die das Forschungsprojekt finanziell unterstützt. Die genauen Kosten möchte Fein nicht nennen, spricht aber von mehreren Hunderttausend Euro. 2027 soll das Projekt abgeschlossen sein.
Bei einem Vorhaben, in dem Technik und Musik zusammenspielen, ist aus Sicht Feins nicht nur technische, sondern auch musikalische Expertise nötig. Diese kommt vom amerikanischen Pianisten, Organisten und Komponisten Kit Armstrong, der Musik und Naturwissenschaft verbindet wie kaum ein anderer.

Er gibt ein Anwendungsbeispiel: „Vor einem Konzert hat man eine kurze Nachmittagsprobe in einem leeren Konzertsaal. Wenn er am Abend dann meist gut gefüllt ist, verändert sich die Akustik.“ Was für Laien wie eine Kleinigkeit wirke, sei für die Musiker auf der Bühne eine echte Herausforderung.
Die neue Raumakustik im Mozart-Saal könne helfen und schon während der Probe die Akustik eines vollen Saals nachstellen.
Künstliche Intelligenz muss mit Informationen gefüttert werden, um diese zukünftig anwenden zu können. In der Alten Oper wird die „Vivace“-KI in den nächsten Jahren bei zahlreichen Testkonzerten verschiedene akustische Szenarien kennenlernen. Den Anfang macht Armstrong gleich selbst und spielt an Flügel und Cembalo Werke von Bach, Mozart, Chopin und Liszt.
Etwa 100 Hörer sind geladen, um die Akustik eines locker gefüllten Saals zu imitieren. Und weil diese mit weniger Menschen anders ist, wird die Hälfte zwischenzeitlich kurzerhand des Saals verwiesen. Natürlich nur zu Imitationszwecken und ganz im Dienste der Forschung. Und selbstverständlich durften alle nach wenigen Minuten zurück in den Saal.
