Britischer Geheimdienst MI5 warnt vor chinesischer Spionage

Die junge Chinesin Shirly Shen nutzte ein Konto des Internetdienstes Linkedin, um sich mit dem Assistenten eines konservativen Unterhausabgeordneten bekannt zu machen. Dem kam das Kontaktangebot merkwürdig vor; er informierte den Sicherheitsdienst des britischen Parlaments.

Wenige Wochen später erhielten alle 650 Parlamentarier und ihre Mitarbeiter Post vom Parlamentspräsidenten Lindsay Hoyle. Der reichte eine Einschätzung des ­Inlandsgeheimdienstes MI5 über den Umfang chinesischer Spionageabsichten im politischen Milieu von Westminster weiter und warnte, die chinesischen Akteure seien „unablässig“ dabei, „sich in unsere Prozesse einzumischen und die Aktivitäten des ­Parlaments zu beeinflussen“.

Es gebe „aktive Anwerbeversuche, um Informationen zu gewinnen und langfristige Beziehungen aufzubauen“. Zu diesem Zweck würden professionelle Netzwerkseiten im Internet genutzt, aber auch private Headhunter und Vermittlungsagenturen.

Der parlamentarische Mitarbeiter des konservativen Abgeordneten Neil O’Brian, der als Kritiker Chinas bekannt ist, berichtete der BBC, die Nachricht von Shirly Shen habe das Angebot für einen Job enthalten, sei aber in ziemlich schlechtem Englisch verfasst gewesen. Der Inlandsgeheimdienst enthüllte noch ein zweites Konto auf Linkedin, das von einer Person namens Amanda Qiu geführt wurde.

Die Staatsanwaltschaft konnte keine Anklage erheben

Die Warnung an die Abgeordneten enthielt auch den Hinweis, misstrauisch zu sein gegenüber Einladungsreisen nach China, bei denen alle Spesen übernommen würden, oder Angeboten, für Informationen Geld oder Kryptogeld als Gegenleistung zu erhalten. Zu Zielpersonen zählten neben parlamentarischen Mitarbeitern auch Beschäftigte von politischen Forschungsinstituten, Wirtschaftsfachleute oder Berater in den Ministerien.

Vor wenigen Wochen erst hatten zwei Fälle solcher Informationsabschöpfung Aufsehen erregt, in die ein parlamentarischer Mitarbeiter in London und ein britischer Gastlehrer in China verwickelt waren. Sie hatten nach Ansicht der Ermittlungsbehörden vor zwei Jahren Interna aus dem politischen ­Betrieb an chinesische Abnehmer weitergegeben.

Der Fall fand immense Aufmerksamkeit, nachdem sich herausstellte, dass die Staatsanwaltschaft schließlich von einer Anklage absah, da seitens der Regierung nicht verlässlich genug dargelegt worden sei, dass China feindliche Absichten gegenüber dem Vereinigten Königreich hege und entschlossen sei, diesem ernsthaften Schaden zuzufügen.

Das aktuelle Warnschreiben des britischen Inlandsgeheimdienstes kann demnach auch als Versuch gesehen werden, solche Fälle künftig zu vermeiden, in denen es zwar zur Weitergabe von Insider-Informationen kommt – die unterhalb der Geheimhaltungsschwelle liegen –, in denen dann aber keine strafrechtliche Verfolgung einsetzen kann.

Bereit für Sanktionen gegen China

Der für Sicherheit zuständige Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Dan Jarvis, beteuerte, die britische Regierung werde solche „verdeckten gezielten Versuche“ nicht hinnehmen, Einfluss auf staatliche britische Angelegenheiten zu nehmen. Er kündigte an, es sollten zusätzliche Mittel für Verschlüsselungstechniken im Schriftverkehr der Regierung investiert werden.

Künftig werde es Sicherheitsbelehrungen für alle Wahlkreiskandidaten geben, die sich bei kommunalen, regionalen oder nationalen Wahlen aufstellen ließen, außerdem sollten strengere Maßstäbe in Kraft treten, um verdeckte Spenden an politische Parteien zu verhindern.

Jarvis hob auch hervor, dass China der drittgrößte Handelspartner des Vereinigten Königreiches ist, stellte allerdings in Aussicht, die britische Regierung könne sich bereit zeigen, Sanktionen gegen China zu verhängen, falls dies für notwendig erachtet werde. Der politische Ansatz der Labour-Regierung gegenüber China ist aus ihrem Wahlprogramm übernommen worden und lautet, Zusammenarbeit dort, wo es möglich ist, Wettbewerb dort, wo es nötig ist, und Gegenhalten dort, wo es unausweichlich ist.

Streit um den Neubau der ­chinesischen Botschaft

Die konservative Opposition im Unterhaus erneuerte jetzt ihre Forderung, die Regierung solle mehr Transparenz in die chinesischen Aktivitäten bringen, indem sie das Land in das „Register ausländischer Einflussversuche“ aufnehme. Staatsangehörige und Institutionen der Länder, die dort aufgelistet sind (bislang nur Iran und Russland), können nur nach einer Anmeldung ihrer Tätigkeit in Großbritannien agieren. Die Konservativen verlangten zudem, die Regierung solle geplante Reisen nach China absagen und den geplanten Neubau der chinesischen Botschaft in London verweigern.

Der Botschaftsneubau in Tower Hamlets, in direkter Nachbarschaft zum Finanzviertel in der Londoner City, ist schon seit Jahren strittig. Dort soll auf dem historischen Gelände der einstigen Königlichen Münze das größte chinesische Botschaftsareal in Europa entstehen.

Ein erster Bauantrag wurde unter der konservativen Vorgängerregierung im Jahr 2022 abgewiesen, nach der Regierungsübernahme von Labour erneuerten die Chinesen zwei Jahre später den Antrag. Die Planungen sind begleitet von Mutmaßungen, in einigen nur kursorisch gezeichneten Abschnitten des Gebäudes könnten Arrestzellen entstehen; zudem werde das Gebäude auch technische Möglichkeiten zum Abhören und Abschöpfen von Kommunikations- und Datenleitungen in der Umgebung enthalten.

Entsprechende Vermutungen betreffen unter anderem Datenstränge, welche nahebei zwischen der Londoner City und dem zweiten Finanzbezirk Canary Wharf verlaufen. Die Opposition fordert, die chinesische Seite solle für eine Verlegung der Datenleitungen aufkommen müssen. Jarvis sagte im Unterhaus, die Regierung nähere sich einer Entscheidung über den Bau der Botschaft.

Die chinesischen Reaktionen auf die britischen Spionagevorwürfe fielen harsch aus. Ein Botschaftssprecher sagte, die Vorwürfe seien „pure Erfindung“, sie stellten eine einseitige Charade der britischen Seite dar. Die Warnungen von MI5 und des Parlamentssprechers würden „scharf verurteilt“; dies habe man die britische Seite auch deutlich wissen lassen. Das Vereinigte Königreich sei aufgefordert, „den falschen Weg nicht weiter zu verfolgen, die chinesisch-britischen Beziehungen zu unterminieren“.