
Curaçao ist bekannt als farbenfroher Klassiker – bei der Zubereitung von Cocktails wie „Blue Lagoon“ oder „Swimming Pool“. Das markante Blau ist dabei nur für die Optik zuständig und steht in einem verblüffenden Kontrast zum Geschmack nach Orange, der von den Schalen der Curaçao-Orange stammt. Ähnlich wie ein guter Barkeeper ist Dick Advocaat vorgegangen, als er die Fußball-Nationalmannschaft des kleinen Inselstaats zusammengestellt hat.
Mit einem Rezept, Raffinesse und einem guten Händchen: In den blauen Trikots des Karibik-Teams, das sich anschickt, völlig unerwartet die Teilnahme an der Fußball-Weltmeisterschaft 2026 zu bewerkstelligen, steckt erstaunlich viel Einfluss von Oranje.
Ausnahmslos alle Stammspieler, die der Trainerveteran aus Den Haag für die Qualifikationsspiele aufgeboten hat, haben ihre Fußballwurzeln in den Niederlanden. Kein einziger Spieler ist in der Karibik geboren. Doch alle zusammen bilden einen enormen Zusammenhalt, der das kleine Curaçao zur großen WM führen könnte.
Verbindungen zur ehemaligen Kolonialmacht bestehen weiter
Neun von zehn Spielen in der nord- und zentralamerikanischen sowie karibischen Fußballkonföderation (CONCACAF) hat Team „Oranje II“ absolviert, davon sieben gewonnen und zweimal unentschieden gespielt. Richtungsweisend war der 2:0-Erfolg Anfang Oktober in der schmucken Hauptstadt Willemstad gegen die favorisierte Auswahl Jamaikas.
Nach dem jüngsten 7:0-Auswärtssieg auf den Bermudas fehlt Curaçao nun nur noch ein Punkt im finalen Gruppenspiel auf Jamaika an diesem Dienstag (Ortszeit, 2.00 Uhr MEZ in der Nacht zu Mittwoch), um eine der größten Sensationen der WM-Geschichte festzuschreiben.
Curaçao ist nur eine rund 444 Quadratkilometer große Insel vor der Nordküste Venezuelas, auf der gerade mal 150.000 Menschen leben. Weniger Fläche und Einwohner hatte noch kein Endrunden-Teilnehmer in knapp 100 Jahren Fußball-WM aufzuweisen. Gemeinsam mit den noch kleineren Nachbar-Eilanden Aruba und Bonaire zählt Curaçao zu den „ABC-Inseln“. Bis 2010 gehörten diese „Inseln unter dem Winde“ zu den „Niederländisch Antillen“. Mittlerweile gilt Curaçao als autonome Nation innerhalb des Königreichs der Niederlande.
Doch die Verbindungen zur ehemaligen Kolonialmacht bestehen weiterhin, was sich nicht nur daran zeigt, dass Niederländisch neben dem kreolischen Papiamentu noch immer als Amtssprache gilt. Es zeigt sich auch in der Mannschaftsaufstellung.

Torwart Eloy Room, 36 Jahre alt, ist in Nijmegen geboren und steht bei Vitesse Arnheim unter Vertrag. Abwehrspieler Shuramby Sambo, 26, verteidigt für Sparta Rotterdam. Sein Nebenmann Armando Obispo, ebenfalls 26, spielt bei der PSV Eindhoven. Als Spielmacher agiert Juninho Bacuna, 28, der aus Groningen stammt und nach Stationen in Glasgow und Birmingham derzeit in der Türkei kickt. Sein älterer Bruder Leandro, 34, ist der Kapitän des Teams.
WM-Teilnahme wäre ein besonderer Coup
Auch auf der Trainerbank der „Selekshon di Futbòl Kòrsou“ hat Oranje Tradition. Der 78 Jahre alte Advocaat ist in der Ahnengalerie der Nationaltrainer der siebte Niederländer binnen zehn Jahren, darunter waren auch Prominente wie Patrick Kluivert und Guus Hiddink.
Doch Advocaat ging konsequenter bei der Rekrutierung vor. Er suchte bewusst Akteure mit karibischen Vorfahren, die sich Hoffnungen machten, für die Niederlande international spielen zu können – wofür es dann aber nicht ganz reichte.
Nun könnten sie es über ihren Doppelpass zur WM schaffen – auch den glücklichen Umständen geschuldet, dass das Turnier auf 48 Teilnehmerstaaten ausgeweitet wurde und die drei Großen der CONCACAF-Region – USA, Mexiko und Kanada – als Ausrichter gesetzt sind und somit Qualifikationsplätze freimachten.
Advocaat verfügt über weitreichende Erfahrungen bei Großereignissen. Mit den Niederlanden erreichte er bei der WM 1994 das Viertelfinale, in einer zweiten Amtszeit führte er das Team 2004 ins EM-Halbfinale. Südkorea coachte er bei der WM 2006. Die WM-Teilnahme mit Curaçao wäre für den 78-Jährigen freilich ein besonderer Coup.
Doch ausgerechnet beim entscheidenden Spiel gegen Jamaika kann er aus familiären Gründen nicht dabei sein. „Es ist eine sehr schwere Entscheidung, die Jungs hier verlassen zu müssen“, sagte Advocaat dem niederländischen Fachmagazin „Voetbal International“. Er habe die Entscheidung schweren Herzens treffen müssen, „aber die Familie ist wichtiger als Fußball“.
Der Verband zeigte Verständnis. In Kingston werden nun Advocaats Assistenztrainer das Team betreuen. Schon jetzt gilt seine Amtszeit als Erfolg. Als er 2024 in dem Inselstaat angefangen hatte, seien 100 Zuschauer zu den Spielen gekommen, erzählte Advocaat jüngst dem „Jamaica Observer“: „Jetzt sind es 10.000“. In der FIFA-Weltrangliste hat sich Curaçao auf Rang 82 verbessert – als Nummer zwei der Karibik, hinter Jamaika.
Doch das könnte sich an diesem Dienstagabend ändern. Schon ein Unentschieden genügt Curaçao, um sich für die WM zu qualifizieren.
