
Nick Woltemade trifft in Luxemburg doppelt und bewahrt Deutschland vor einer Blamage. Im Interview spricht er über Vergleiche mit Mittelstürmer-Legende Rudi Völler, das Transfer-Theater im Sommer und sein Leben in Newcastle.
Mit zwei Toren war Nick Woltemade einer der wenigen Lichtblicke beim mehr als mühsamen 2:0-Sieg der deutschen Nationalelf in Luxemburg. Seine Treffsicherheit ist auch beim abschließenden Gruppenspiel am Montag (20.45 Uhr, ZDF und im WELT-Liveticker) gegen die Slowakei gefragt. Ein Remis reicht bereits für die direkte Qualifikation für die WM 2026.
Frage: Herr Woltemade, das Thema Druck war für Sie ein beherrschendes in den vergangenen Monaten: Zunächst rund um Ihren Vereinswechsel, dann klappte es in den ersten Partien beim DFB nicht mit einem Tor. Wie groß war die Erleichterung nach Ihrem 1:0 im Länderspiel gegen Nordirland, dass die Weichen Richtung WM 2026 gestellt hat?
Nick Woltemade (23): Ich fand das gar nicht so dramatisch. Ich hatte zuvor fünf Spiele nicht getroffen, da habe ich mir noch keinen Kopf gemacht. Die Freude war dennoch sehr groß, wobei ich zunächst noch dachte, ich hätte den Ball mit dem Arm berührt: Im ersten Moment konnte ich mich beim meinem Premieren-Tor für die Nationalmannschaft daher gar nicht richtig freuen. Dann war es aber doch ein sehr wichtiger Treffer für uns als Team.
Frage: Nervt Sie das Minuten-Zählen bei Stürmern, wenn sie mal nicht treffen?
Woltemade: Ich bin Stürmer – das gehört zu meinem Business dazu! Angenehm ist etwas anderes, aber das ist der Preis, den wir dafür zahlen, dort zu spielen. Als Stürmer hat man mit den meisten Druck, hätte ich in Newcastle nicht sofort getroffen, wäre das wahrscheinlich auch losgegangen. Aber das gehört zur Position des Stürmers.
Frage: Beim DFB gibt es mit Sportdirektor Rudi Völler einen Ex-Stürmer, der damit viele Erfahrungen gemacht hat. Mit ihm wird Ihnen auch eine gewisse Ähnlichkeit nachgesagt …
Woltemade: Die Vergleiche habe ich gesehen, das finde ich sehr witzig. Sportlich ist es ohnehin eine Ehre. Über die torlosen Minuten haben wir nicht explizit gesprochen, aber Rudi versucht mir immer ein gutes Gefühl zu geben.
Frage: Deutschland hat nach Ihrem Doppelpack gegen Luxemburg (2:0) jetzt gegen die Slowakei ein Endspiel um die WM-Qualifikation. Nur noch Formsache?
Woltemade: Das ist vielleicht das Gefühl von außen. Wir haben gesehen, wie schwierig es ist, diese Spiele zu gewinnen. Die Slowakei hat viele international erfahrene Profis, auch wenn das von außen vielleicht etwas kleingeredet wird. Die Slowakei ist im Fußball keine kleine Nation, das wird kein Selbstläufer. Wir wissen, was auf uns zukommt: ein sehr unangenehmes Spiel.
Frage: Bei Newcastle trafen Sie sofort: Wie wichtig war es, dass es dort eben kein Minuten-Zählen gab?
Woltemade: Sehr erleichternd. Das ganze Paket Newcastle hatte ja Spannungspotenzial: Dadurch, dass ich am letzten Tag kam. Dann die Ablöse. Die Erwartungen an mich, weil mit Alexander Isak Newcastles Topstürmer gegangen ist. Der Saisonstart war nicht optimal. Da war schon Druck da – ich war sehr froh, dass sich der gelegt hat. Ich habe in Newcastle schnell gemerkt, dass es nicht nur auf der fußballerischen, sondern auch auf der menschlichen Ebene passt.
Frage: Sie sprachen Ihre Ablöse eben selbst an: Wie stark war das Thema im Sommer präsent?
Woltemade: Das Thema Ablöse war sehr präsent, ich bin daran nicht vorbeigekommen. Ich wurde damit häufig konfrontiert. Aber ich habe mir das ja nicht ausgesucht, ich kann dafür am wenigsten, um welche Beträge es geht. Ich war dennoch froh, dass Newcastle in mir so viel gesehen hat, um diesen Betrag zu zahlen. Für mich selbst, für die Person Nick Woltemade, macht es keinen Unterschied, ob ich ablösefrei von Werder zu Stuttgart gehe oder für 75 Millionen Euro vom VfB zu Newcastle. Auch wenn ich weiß, dass durch die Ablösesumme ein paar Augenpaare mehr auf mich gerichtet sind. Wobei das Thema Ablöse in England deutlich entspannter gesehen wird als in Deutschland. In der Mannschaft spielt das Thema Ablöse ohnehin keine Rolle.
Frage: Als im Sommer noch offen war, wohin Sie gehen, fragte Max Eberl während der Klub-WM die Reporter: „Ist Nick Woltemade 80 Millionen wert?“ Bayern wollte Sie zu diesem Zeitpunkt unbedingt. Wie haben Sie diesen Moment aufgenommen?
Woltemade: Ich war da schon im Urlaub, nach der U21-EM wollte ich einfach die freie Zeit genießen. Als immer mehr über mich und diese Ablöse diskutiert wurde, habe ich mein Handy weggepackt. Als die Aussage getroffen wurde, war ich in Como mit Freunden. Erst abends sind die Meldungen über diese Aussage auf meinem Handy aufgeploppt. Aber ich weiß, wie das Business ist, dass Fragen unangenehm sein können, wenn man vor der Kamera steht. Daher: Alles gut, da bleibt nichts hängen …
Frage: … und am Ende macht der Markt den Preis.
Woltemade: Exakt, das stimmt.
Frage: Lothar Matthäus erklärte nun im Podcast „Bayern-Insider“, Sie seien inzwischen schon 100 Mio. Euro wert.
Woltemade: In England bekommt man gar nicht mehr alles jeden Tag mit, das ist chillig (lacht). Aber klar, mein Marktwert ist deutlich hochgegangen. Ob Lothar Recht hat, weiß ich nicht. Aber die Aussage ehrt mich natürlich.
Frage: Negativer war die Aussage von Karl-Heinz Rummenigge, Stuttgart habe mit Newcastle „einen Idioten“ gefunden, der diese Summe – welche die Bayern nicht zahlen wollten – hingelegt hat.
Woltemade: Meine Mitspieler haben sich dazu geäußert, ich nicht. Ich glaube, das war auch richtig so. In diesem Sommer wurde aus meinem Namen, Bayern und Ablöse sehr viel gemacht, das war ja die Story des Sommers. Zu Ihrer Frage noch einmal: In den Überschriften stand danach überall „Idioten“. Aber ich habe mir die ganze Aussage von Herrn Rummenigge durchgelesen – es war sicher etwas unglücklich, aber auch nicht ganz so dramatisch.
Frage: Wurde ein möglicher Wechsel zum FC Bayern auch im Nationalteam diskutiert?
Woltemade: Wir hatten über die Situation gesprochen, vor allem weil wir uns auch im Supercup begegnet sind, als Stuttgart auf Bayern traf. Als wir uns dann aber das nächste Mal gesehen haben, hatte ich eh schon bei Newcastle unterschrieben.
Frage: Wie groß war der Druck beim Supercup auf Ihnen? Alle wussten, dass Sie gerne zu den Bayern wollen. Der Wechsel war aber geplatzt – und Sie trafen, da noch als VfB-Spieler, auf die Bayern?
Woltemade: Tatsächlich hätte ich es mir schlimmer vorgestellt. Am Anfang dachte ich mir schon: Nicht ganz optimal, dass mein erstes Spiel für Stuttgart gleich gegen die Bayern ist. Aber dann war es eigentlich echt angenehm und entspannt.
Frage: Welcher Bayern-Spieler hat Ihnen als Erstes gratuliert zum Newcastle-Wechsel?
Woltemade: Ich habe an dem Tag sehr, sehr viele Nachrichten bekommen, ich weiß es wirklich nicht mehr. Als ich danach zur Nationalelf kam, haben alle gratuliert.
Frage: Auch die Spieler des FC Bayern, also von dem Klub, der Sie gerne wollte?
Woltemade: Mir haben auch die Bayern-Spieler gratuliert. Wenn man sieht, dass ein Spieler einen Schritt nach vorne macht, dann gibt es Glückwünsche. Das war dann auch bei mir so, es gab keine negativen Stimmen, zumal es bei mir ja spezielle Umstände waren.
Frage: Helfen die zwei Monate England jetzt schon, was die Reife und Erfahrung angeht – auch beim Standing in der Nationalelf?
Woltemade: Das hilft sehr viel. Das waren zwei Monate, in denen ich sehr viel erlebt habe. Wir haben alle drei Tage gespielt, ich stand fast jedes Spiel in der Startelf. Ich musste direkt da sein, das hat sehr gut funktioniert. Die Liga ist viel, viel physischer als in Deutschland.
Frage: Sie hatten am Anfang sogar regelmäßig Krämpfe.
Woltemade: Stimmt, das hat sich aber schnell gelegt, weil ich alle drei Tage ran darf. Ich fühle mich sehr gut, die Eingewöhnung hat schnell geklappt. Aber es ist schon ein großer Unterschied. Die Schiedsrichter pfeifen viel weniger, das Spiel hat viel mehr Fluss. Es ist sehr intensiv. Und sich alle drei Tage mit den Besten zu messen, das hilft mir natürlich auch für die Nationalelf!
Frage: Ist die Premier League die geilste Liga der Welt?
Woltemade: Das kommt drauf an, was man sehen will. Wenn man offenes Visier sehen will, Intensität, Sprints, ein schnelles Hin und Her – dann: Ja. Es geht sehr gut ab! Ich schaue noch Bundesliga, von der Intensität ist da schon ein deutlicher Unterschied. Es ist sehr geil, so ein Spiel gegen Arsenal, das ist von der Intensität schon ein Brett! Es macht Spaß!
Frage: Gibt es Kontakt zu Newcastle-Legende Alan Shearer? Er ist nicht nur eine Klub-Legende, sondern der beste Torschütze der Premier League.
Woltemade: Wir haben uns noch nicht getroffen, aber schon ein paar Mal geschrieben. Am Anfang hat er SMS geschrieben mit: „Viel Glück, geiler Verein.“ Jetzt, nach den ersten Toren hat er auch geschrieben: „Cool, dass es so gut klappt!“
Frage: Wie groß ist Ihr WM-Traum, wie hört sich die Offensivreihe Wirtz, Musiala, Woltemade für Sie an?
Woltemade: Für welchen Spieler ist die WM kein Traum? Es wäre ein Traum, 2026 dort zu spielen – und dann womöglich in dieser Offensivreihe. Aber es ist noch so lange hin. Man hat ja bei mir selbst gesehen, was in einem halben Jahr so alles passieren kann. Es wird noch viel geschehen. Ich versuche, mich in die beste Verfassung zu bringen und so weiterzumachen, wie zuletzt: damit mein WM-Traum wahr wird.
Frage: Was schon immer auffällt: ihre Größe. Sie sind 1,98 Meter – ist es überhaupt möglich, in Newcastle nicht erkannt zu werden?
Woltemade: Mein Leben hat sich sehr geändert. Es war in Deutschland in der letzten Zeit schon viel Aufmerksamkeit, in England ist es noch mal extremer. Ausgehen ohne Fotos ist schwierig. Gerade in Newcastle lieben die Leute die Neuner, die Spieler, die Tore schießen, das ist dann nochmal besonderer. Es ist aber sehr schön, und ich bin sehr happy da. Wenn das ganze Stadion nach Toren deinen Namen singt, das ist schon sehr geil.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.
