Ein Abend für Fans: „Pretty Woman“ im Deutschen Theater – eine Kritik – Kultur

Eigentlich ist diese Geschichte aus der Zeit gefallen: Ein reicher Geschäftsmann rettet eine Prostituierte und ermöglicht ihr ein besseres Leben. Ein Märchen, in dem die Frau erst glücklich wird, wenn sie einen Mann findet, und das wie eine romantisierte Klassenflucht wirkt. Trotzdem trifft die Musicalproduktion von „Pretty Woman“ im Deutschen Theater genau den Nerv des Publikums. Dieses sehnt sich offenbar nach Vertrautem, nach einer Liebeskomödie, die viele seit 1990 auswendig kennen.

Nach Erfolgen am Broadway und im Londoner West End gastiert die Tourneeproduktion bis zum 14. Dezember im Deutschen Theater in München und orientiert sich dabei eng an der Hollywood-Vorlage mit Julia Roberts und Richard Gere in den Hauptrollen. Die Dialoge werden weitgehend übernommen, und Regisseurin Carline Brouwer setzt auch optisch auf Referenzen zum Film. Das gelingt: Verschiebbare Bühnenmodule lassen Hotel, Rodeo Drive und Hollywood Boulevard elegant wechseln. Die dynamische Choreografie von Eline Vroon hält das Stück immer im Fluss. Die Kostüme treffen nicht immer den ikonischen Stil des Originals, sie sind teils modernisiert und setzen eher auf „smart casual“ als klassisch.

Musikalisch lebt der Abend von Bryan Adams’ und Jim Vallances Pop-Rock-Nummern. Die eingängigen und emotionalen Songtexte erinnern in manchen Szenen an den Kuschelrock der Neunzigerjahre – im besten wie im kitschigsten Sinn. Spätestens beim Finale mit  „Pretty Woman“ von Roy Orbison singt das gesamte Publikum stehend mit.

Shanna Slaap bringt als Titelfigur Vivian Ward viel Charme und eine sichtbare Entwicklung von einer unsicheren Straßenbekanntschaft zu einer selbstbewussten Frau auf die Bühne. Vor allem bei den ruhigeren Liedern überzeugt ihre Stimme mit Ausdrucksvielfalt. Mathias Edenborn verkörpert Edward Lewis mit Gespür für Balance zwischen kühlem Geschäftsmann und verletzlichem Liebhaber.

Der heimliche Liebling aber ist Benedikt Ivo, der als „Happy Man“ und Mr. Thompson mit Humor, Timing und Augenzwinkern durch den Abend führt. Sophie Reinicke als Kit de Luca, die Mitbewohnerin von Vivian Ward, zieht mit einer starken Präsenz und souligem Timbre die Aufmerksamkeit auf sich. Grundsätzlich geht es an diesem Abend aber nicht um tiefe Charakterzeichnung. Hier setzt man auf Humor. Gerade in der ersten Hälfte sorgen viele Pointen für Begeisterung im Publikum.

Die Inszenierung von „Pretty Woman“ interpretiert den Film nicht neu. Gerade das ist aber ihr Erfolgsrezept. Nostalgische Unterhaltung setzt sich durch, auch wenn das Frauenbild der Filmvorlage sichtbar in die Jahre gekommen ist.