Den Übergang von der ersten zur zweiten Phase von Donald Trumps Gazaplan markiert ein Fragezeichen. So sei es zumindest in einem Dokument dargestellt gewesen, das kürzlich auf einem Symposium des amerikanischen Militärs präsentiert worden sei, berichtete diese Woche das Onlinemagazin „Politico“.
Mit dem Thema befassten amerikanischen Beamten und externen Fachleuten wurde dort demnach eine Power-Point-Präsentation zum Gazaplan gezeigt. Auf einer der Folien war auf der linken Seite festgehalten, was weitgehend schon umgesetzt wurde: Waffenruhe, Teilrückzug der israelischen Armee hinter die „gelbe Linie“, Rückkehr der Geiseln, Entlassung inhaftierter Palästinenser, aufgestockte humanitäre Hilfe. Als letzter Punkt genannt war die „internationale Stabilisierungstruppe“ (ISF), die noch mehr Wunsch als Wirklichkeit ist.
Auf der rechten Seite war aufgelistet, was Trumps ambitionierter Plan als Nächstes vorsieht: Entwaffnung der Hamas, weiterer Armeerückzug, Übergangsregierung unter internationaler Aufsicht, Reform der Palästinensischen Autonomiebehörde und wirtschaftliche Entwicklung des Gazastreifens. Von der linken zur rechten Seite führte ein Pfeil, darauf zu sehen: das Fragezeichen.
Trump wollte „ewigen Frieden“ in die Region bringen
Trump hatte seinen 20-Punkte-Plan Ende September vorgestellt. Danach ging alles schnell. Zwei Wochen später hatte die Waffenruhe eingesetzt, und die lebenden Geiseln waren freigelassen. Schon damals war indessen offenkundig, dass viele Punkte zwar auf dem Papier gut klingen, aber schwierige Fragen aufwerfen. Nicht zuletzt lehnten Israel und die Hamas manche Bestimmungen ab. Trump sah darüber großzügig hinweg, inspiriert von dem Gedanken, der Region „ewigen Frieden“ zu bringen.
Der hochtrabenden Rhetorik des amerikanischen Präsidenten entsprach die Energie, mit der seine Regierung sich an die Umsetzung des Plans machte. Kurz nach dem Beginn der Waffenruhe richteten die Vereinigten Staaten in der südisraelischen Stadt Kiryat Gat ein „zivil-militärisches Koordinierungszentrum“ (CMCC) ein, nicht weit vom Gazastreifen entfernt. Das in einer Fabrikhalle angesiedelte CMCC soll die Lage in Gaza überwachen und gleichzeitig stabilisieren.

Wenige Wochen später sind auch die Amerikaner in der Wirklichkeit des Nahen Ostens angekommen und stehen vor der Frage, wie krisenfest Trumps Plan ist. Die Waffenruhe hält mit Mühe, beide Seiten werfen einander regelmäßig Verstöße vor. Neue Probleme sind aufgetaucht, etwa die Hamas-Kämpfer, die im von Israel kontrolliertem Gebiet festsitzen. Und die größten offenen Fragen, die nach der Zukunft des Gazastreifens, sind weiterhin nicht beantwortet: Wer wird dort regieren? Wer soll für Sicherheit sorgen? Was geschieht mit der Hamas?
Welche Aufgaben soll die Stabilisierungstruppe haben?
Immer häufiger hört man jetzt, dass unter ausländischen Akteuren und auch den Amerikanern selbst die Bedenken zunehmen, ob der Trump-Plan umgesetzt werden kann. Das betrifft etwa die ISF. Immer noch ist unklar, welche Aufgaben und Befugnisse die vorgesehene Stabilisierungstruppe haben soll – und wer sich daran beteiligen wird. Amerikanischen Wünschen zufolge sollen vor allem islamisch geprägte Länder Truppen stellen.
Die Trump-Regierung sprach offenbar unter anderem mit Indonesien, Pakistan, Aserbaidschan, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Qatar und der Türkei. Manche Länder haben Interesse bekundet, etwa Indonesien; ebenso die Türkei, deren Präsenz Israel aber ablehnt. Andere Länder haben den USA eine Absage erteilt, beispielsweise die VAE: Es gebe keinen „klaren Rahmen“ für den Einsatz der ISF, sagte der außenpolitische Chefberater der Emirate vor wenigen Tagen. Fest zugesagt hat noch niemand.
Viele Länder fordern, dass der Einsatz vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen abgesegnet wird. Inzwischen liegt ein von Washington ausgearbeiteter Resolutionsentwurf vor. Außenminister Marco Rubio sagte am Mittwoch am Rande des G-7-Treffens in Kanada, es gebe „gute Fortschritte“ auf dem Weg zu einer Resolution. „Wir wollen das Momentum nicht verlieren.“ Russland kündigte am Donnerstag allerdings an, einen eigenen Resolutionsentwurf einzubringen.
Den Frieden sichern oder erzwingen
Eine zentrale Frage ist, welche Aufgabe die Stabilisierungstruppe haben soll: Soll sie an der Seite lokaler Sicherheitskräfte die Lage beobachten und Frieden sichern helfen – oder den Frieden selbst erzwingen, gegebenenfalls mit Gewalt? Die Vorstellung, ISF-Einheiten könnten in bewaffnete Auseinandersetzungen mit Hamas-Kämpfern geraten, schreckt viele ab. Jordaniens König Abdullah sprach das Ende Oktober klar aus. Der Auftrag der ISF werde hoffentlich Friedenssicherung sein, sagte er in einem Interview mit der BBC, „denn wenn es Friedenserzwingung ist, wird sich niemand daran wagen wollen“. Rubio antwortete jetzt auf eine diesbezügliche Frage, die ISF solle „keine Kampftruppe sein“.
Die Frage hängt eng mit einem weiteren wichtigen Punkt zusammen: der Entwaffnung der Hamas. Die islamistische Organisation hat dem nie zugestimmt. Sie werde ihre Waffen an eine legitime palästinensische Regierung übergeben, wenn die Besatzung ende, hatte einer ihrer Anführer Anfang Oktober gesagt. Rubio dagegen gab an, die Hamas habe zugesagt, sich zu entwaffnen; Partnerländer müssten jetzt Druck auf sie ausüben. Laut dem jüngsten amerikanischen Resolutionsentwurf soll die ISF unter anderem „den Prozess der Entmilitarisierung des Gazastreifens sicherstellen“.
Der israelische Islamismusfachmann Michael Milshtein hält es für ausgeschlossen, dass die Hamas freiwillig alle Waffen abgibt. „Das ist eine fundamentale Frage für ihre Identität als Widerstandsbewegung“, sagt er. Vermittlerländer wie Ägypten und Qatar versuchten daher, einen Kompromiss zu finden: etwa dass die Hamas ihre „Offensivwaffen“ abgibt, vor allem Raketen, aber kleinere „Defensivwaffen“ behält.
Ein Dilemma für Israel
Die Hamas würde sich wahrscheinlich darauf einlassen, sagt Milshtein, der das Forum für Palästinastudien an der Universität Tel Aviv leitet. Das brächte Israel in ein Dilemma, fügt er hinzu. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu fordert die komplette Entmilitarisierung des Gazastreifens. Aber wenn Trump den Kompromiss gutheiße, könne er sich dem Präsidenten nicht verweigern, sagt Milshtein.
Generell galt in den vergangenen Wochen, dass die USA den Ton vorgaben. Seit Trump seinen Plan verkündet hat, gab seine Regierung sich entschlossen, dem Projekt zum Erfolg zu verhelfen. Auch in dem Ringen um die Hamas-Kämpfer, die jenseits der „grünen Linie“ festsitzen, versucht Washington, in diesen Tagen einen Kompromiss zu finden. Zwischen 50 und 200 Islamisten sollen sich nach wie vor in Tunneln verstecken, vor allem in der Gegend von Rafah. Zweimal kam es schon zu Angriffen, bei denen israelische Soldaten getötet wurden.
Die Armee reagierte jeweils mit massiven Luftangriffen im Gazastreifen, die zahlreiche Todesopfer forderten. Die USA haben vorgeschlagen, dass diese Kämpfer ihre Waffen abgeben, sich dann aber in das von der Hamas kontrollierte Gebiet begeben dürfen, ohne angegriffen zu werden. Das stößt bislang aber auf Widerstand vonseiten Israels.
Zusammenarbeit mit Milizen im Gazastreifen
In anderen Fragen dagegen ziehen Israel und die USA stärker an einem Strang. In Israel gibt es Bestrebungen, im Gazastreifen mit Milizen zusammenzuarbeiten, die jeweils mit Clans verbunden sind und der Hamas feindlich gegenüberstehen. Sie sollen künftig für Ordnung sorgen. Auch Washington erwärmt sich offenbar für die Idee, die schon während des Krieges erprobt wurde. Milshtein hält das dagegen für undurchdacht. Es handele sich um Kriminelle, die bei den meisten Palästinensern keine Achtung genössen. Zudem seien die Milizen jeweils nur in kleinen Gebieten verankert. Der Gedanke, man könne ihnen die Sicherheit anvertrauen, sei eine „Phantasievorstellung“, kritisiert Milshtein.
Das Vorhaben, mit lokalen Hamas-Gegnern zusammenzuarbeiten, ist wohl Teil einer Idee, über die vermehrt diskutiert wird: zwei Zonen im Gazastreifen zu schaffen, die sich mit Blick auf Sicherheit, Verwaltung und Lebensbedingungen deutlich unterscheiden. Mit solchen Gedanken reagieren Israel und die USA auch auf die Möglichkeit, dass die Hamas ihre Waffen nicht abgibt und ein anhaltender Faktor bleibt. In dem Gebiet, das derzeit von Israel kontrolliert wird und das künftig von einer Technokratenregierung unter der Aufsicht von Trumps „Friedensrat“ regiert werden soll, sollen demnach Sicherheit und gute Lebensbedingungen herrschen. Dieser Teil soll „florieren und wohlhabend sein“, wie Milshtein es formuliert. Das übrige Gebiet dagegen „wird arm sein, und die Bevölkerung wird unter der Hamas leiden“.
In diese Richtung weist auch ein Projekt, an dem in dem von den USA eingerichteten CMCC-Koordinierungszentrum gerade mit Hochdruck gearbeitet wird. Der Arbeitsbegriff lautet „Alternative Safe Community“ (ASC): Im Süden des Gazastreifens soll eine Modellstadt errichtet werden. 20.000 bis 25.000 Menschen sollen im Gebiet von Rafah unterkommen, vorerst in Containern. Errichtet wurde noch nichts, aber es gibt schon konkrete Zeitpläne: So sollen in den nächsten vier Wochen Schutt und nicht explodierte Munition beseitigt werden. Noch vor Jahresende sollen Dienstleister mit den Bauarbeiten beginnen.
Anderes an dem Projekt ist noch unklar, etwa das Sicherheitskonzept. Generell änderten die im CMCC diskutierten Pläne sich ständig, sagt ein Diplomat, der Einblick in die Arbeit des Zentrums hat, der F.A.Z. Klar sei bislang nur, dass die erste ASC von den USA finanziert werden soll, um die Tragfähigkeit des Konzepts unter Beweis zu stellen. Für die Kosten weiterer solcher Städte sollen dann andere Geber aufkommen. Hinter dem Bau der ASC steht der Gedanke, die humanitäre Stadt solle so attraktiv sein, dass Palästinenser freiwillig dorthin ziehen, trotz einer geplanten israelischen Sicherheitskontrolle.
Der Diplomat äußert indessen Bedenken. So sei derzeit vorgesehen, dass Palästinenser, die in die ASC ziehen, diese nicht mehr verlassen dürfen. Falls die Errichtung solcher humanitären Städte dazu führen sollte, dass Menschen vor die Wahl gestellt werden, entweder dort akzeptable Lebensbedingungen vorzufinden oder in dem von der Hamas kontrollierten Gebiet zu hungern, dann würde sich die Frage stellen, ob es sich um eine „softe Form von Vertreibung“ handele.
