Jamaika steht gegen Curacao vor einem Endspiel in der WM-Qualifikation. Es ist auch das Duell der Trainer-Routiniers Steve McClaren und Dick Advocaat. Jamaikas Fußballer wollen auch das von einem Hurrikan schwer getroffene Land wieder aufrichten.
In Europa sind so gut wie alle festen Startplätze für die Weltmeisterschaft 2026 vergeben. In der Concacaf-Zone, die Nord-, Mittelamerika und die Karibikstaaten umfasst, steuert die WM-Qualifikation dagegen auf einen hochspannenden, finalen Countdown zu.
Drei Tickets für die WM werden direkt an die Gruppensieger vergeben, in allen drei Gruppen ist das Rennen vor dem abschließenden Spiel völlig offen. In der Gruppe B kommt es am kommenden Dienstag in Kingston sogar zu einem direkten Duell um das WM-Ticket, zwischen Gastgeber Jamaika und Curacao.
Es ist zugleich das Aufeinandertreffen zweier Trainer mit langer, durchaus bewegter Vita: Steve McClaren bei Jamaika gegen die von Dick Advocaat trainierte Auswahl aus Curacao. Die Jamaikaner hatten eigentlich die bessere Position, durch ein spätes Gegentor beim 1:1 gegen Trinidad und Tobago verloren sie jedoch die Tabellenführung an das Team aus Curacao, das beim abgeschlagenen und sieglosen Schlusslicht Bermuda einen 7:0-Sieg feierte.
Jamaika schwer getroffen durch Hurrikan Melissa
Für Jamaika gerät damit die zweite WM-Teilnahme nach 1998 in Gefahr, das anstehende „Endspiel“ in Kingston findet zugleich in einer schwierigen Zeit statt: Erst drei Wochen ist es her, dass das Land schwer vom Hurrikan Melissa getroffen wurde. 45 Menschen kamen ums Leben, Zehntausende verloren ihre Häuser, viele leben nach wie vor in Notunterkünften.
Verbandspräsident Michael Ricketts sprach in lokalen Medien von der wichtigsten Qualifikation in der Geschichte des Landes: „Jamaika wurde zerstört, physisch aber auch mental. Die Teilnahme an der WM würde das ganze Land wieder aufrichten, speziell die vielen Menschen im Westen, die ihre Heimat verloren haben.“
Das Nationalstadion in Kingston blieb vom Hurrikan verschont, nur die Trainingsanlagen des Nationalteams trugen Schäden davon. Nach einem Bericht des Guardian jedoch ist vor allem die Kommunikationsstruktur nach wie vor gestört: Einige Landstriche sind weiter vom Mobilfunknetz abgeschnitten, dies erschwert auch den Ticketverkauf für das Spiel gegen Curacao.
Jamaikas Coach McClaren: „Den Menschen wieder Zuversicht geben“
Auch Jamaikas englischer Nationalcoach McClaren ging auf die schwierige Lage im Land ein, er schwor sein Team entsprechend ein : „Wir werden alles versuchen, den Menschen wieder etwas Zuversicht zu geben, inmitten all dem Leid, und ihnen vielleicht ihr Lächeln zurückzugeben.“ Die Bilder von der Zerstörung habe McClaren aus seiner englischen Heimat „mit Schrecken“ verfolgt, so zitierte ihn der Guardian. Das Spiel gegen Curacao sei auch deshalb „das wichtigste in vielen, vielen Jahren“.
McClaren vor möglichem WM-Debüt – mit 64 Jahren
Für den 64-Jährigen wäre die WM-Teilnahme mit Jamaika auch ein persönlicher Erfolg – nach vielen Stationen als Trainer, die oft unglücklich und vorzeitig endeten, unter anderem auch in der Bundesliga beim VfL Wolfsburg. Sein zuvor einziger Posten als Nationalcoach hängt McClaren wohl für alle Zeiten hinterher: Mit England verpasste er die Qualifikation zur EM 2008 durch eine Heimniederlage in Wembley gegen Kroatien. Auf der Insel wurde dies als nationale Katastrophe aufgenommen, vor allem McClaren bekam den Zorn von Englands Boulevardpresse ab.
Zuletzt hatte McClaren einen Assistentenposten bei Manchester United und schien fast vergessen, ehe er 2024 das Amt bei Jamaikas Nationalteam angeboten bekam . Nun hat er tatsächlich die große Chance, als Trainer zu einer Weltmeisterschaft zu fahren. Dafür braucht es nur noch einen Sieg vor heimischer Kulisse gegen Curacao.
Showdown in der WM-Qualifikation mit Curacao und Trainer Advocaat
Sein Gegenüber, der zwölf Jahre ältere Dick Advocaat, war bereits zweimal bei einer WM: 1994 mit der Niederlande und 2006 mit Südkorea. Doch auch Advocaat hat in seiner langen Karriere schon einige Fehlschläge erlitten, 2017 etwa, bei seinem dritten Engagement als niederländischer Bondscoach verpasste er die WM-Teilnahme.
Die Qualifikation mit Curacao wäre eine weitere kuriose Wendung für Altmeister Advocaat. Die Karibikinsel mit gerade einmal rund 150.000 Einwohnern wäre das kleinste Land, das sich jemals für eine Fußball-Weltmeisterschaft qualifizieren würde. Curacao profitierte in der WM-Qualifikation sicherlich auch davon, dass bei der XXL-WM mit den Gastgebern USA, Kanada und Mexiko, die alle automatisch qualifiziert sind, gleich drei Startplätze für Länder aus der Nord- und Mittelamerika-Region frei wurden. Dennoch, dass sie es so weit geschafft haben, ist sicherlich auch das Verdienst ihres niederländischen Trainers.
Curacao mit vielen niederländischen Profis
Advocaat fuhr in Curacao eine kreative Strategie. Er ließ in den Niederlanden, gezielt nach Spielern mit karibischen Wurzeln scouten. Das Team aus Curacao besteht fast ausschließlich aus Spielern, die in den Niederlanden geboren wurden und die ihre Profikarriere auch in der niederländischen Eredivisie starteten, wenn auch nicht bei den ganz großen Klubs. Einige der Leitungsträger im Team spielen inzwischen in der Türkei, wie Spielmacher Juninho Bacuna (Gaziantep), desen älterer Bruder Leandro Bacuna (Bandirmaspor) oder dem früheren Wolfsburger Riechedly Bazoer (Konyaspor). Beim 7:0-Sieg gegen Bermuda feierte aber auch Jordi Paulina ein erfolgreiches Debüt: Der Stürmer, der bislang für das Regionalliga-Team von Borussia Dortmund spielte, erzielte gleich zwei Treffer.
Nach dem hohen Sieg und dem Ausrutscher von Jamaika geht Curacao damit als Tabellenführer ins Endspiel um dem Gruppensieg, bei einem Unentschieden würde der Traum von der ersten WM-Teilnahme wahr werden. Oder Steve McClaren feiert einen späten Triumph mit den Reggae Boyz – für einen der beiden Trainer-Routiniers wird es in jedem Fall ein Happy-End.
