Reform der Erbschaftsteuer: Wir brauchen keine neue Erbschaftsteuer, sondern eine ehrliche

Die Debatte über die
Erbschaftsteuer flammt alle paar Jahre wieder auf – meist wenn das Bundesverfassungsgericht droht, das
nächste Loch in das ohnehin löchrige Regelwerk zu reißen. Schnell fordern
manche eine grundlegende Reform, andere eine Abschaffung der Steuer und wieder
andere eine Erhöhung der Sätze. Wer genauer hinschaut, erkennt: Eine
Revolution braucht es nicht: Das deutsche
Erbschaftsteuerrecht funktioniert im Kern. Korrigiert werden muss dort, wo es
sich zugunsten weniger sehr Reicher verbogen hat.

Während Normalbürger für die geerbte Eigentumswohnung in
München oder das Elternhaus im Speckgürtel längst Erbschaftsteuer zahlen, bleiben Milliardenerbschaften in
Unternehmensanteilen oder über komplizierte Familienstiftungen oft vollständig
steuerfrei. Das ist nicht nur ungerecht, sondern ökonomisch ineffizient. Es
verzerrt die Vermögensverteilung und untergräbt die Akzeptanz einer
Steuer, die eigentlich die Chancengleichheit stärken
soll.

Das Prinzip ist richtig: Besteuert wird nicht Leistung,
sondern Zufall. Niemand sucht sich seine Eltern
aus, niemand erarbeitet sich seine Erbschaft. Wenn aber ein Prozent der Haushalte fast ein Drittel des gesamten
Vermögens hält und jährlich dreistellige Milliardenbeträge vererbt oder
verschenkt werden, dann entscheidet Erben oft mehr über Lebenswege als Bildung
oder Fleiß. Denn mehr als die Hälfte aller privaten Vermögen (PDF) in Deutschland heute wurde geerbt und nicht selbst
erarbeitet. 

Laut unseren Erhebungen am DIW Berlin werden in Deutschland jährlich Vermögen von rund
300 bis 400 Milliarden Euro übertragen. Doch nur ein gutes Viertel davon taucht
überhaupt in der Steuerstatistik auf. Der Rest bleibt steuerfrei – meist wegen
hoher Freibeträge oder großzügiger Ausnahmen. So beträgt der Freibetrag für
Kinder 400.000 Euro, für Ehepartner 500.000 Euro. Und wer clever genug ist,
kann Vermögen über Jahrzehnte verteilt immer wieder steuerfrei verschenken.

Noch gravierender sind die
Ausnahmen für Unternehmensvermögen. Wer ein Familienunternehmen erbt, kann 85
oder sogar 100 Prozent des Wertes steuerfrei erhalten – unter Bedingungen, die
in der Praxis leicht zu erfüllen sind. Solche begünstigten Unternehmensübertragungen
machen rund 30 Milliarden Euro pro Jahr aus. Dem Staat entgehen
Milliarden, während die Vermögenskonzentration zunimmt.

Die jüngste DIW-Simulationsstudie zeigt, wie stark diese Begünstigungen wirken.
Würde man allein die Steuervergünstigungen für Unternehmen und vermietete
Immobilien streichen, würde das Steueraufkommen um rund 7,8 Milliarden Euro
oder 65 Prozent steigen. Fast 80 Prozent dieser Mehreinnahmen kämen von
Übertragungen ab fünf Millionen Euro – also von den wirklich großen
Erbschaften. Die Zahl der Steuerpflichtigen würde nur um gut vier Prozent
steigen. Das widerlegt die Erzählung, die Erbschaftsteuer erdrücke den
Mittelstand.

Kein Familienunternehmen müsste verkauft werden

Auch Liquiditätsängste lassen sich entkräften: Selbst ohne
Vergünstigungen ließe sich die Steuerlast durch Stundungen oder Verrentungen
über zehn bis fünfzehn Jahre aus laufenden Erträgen tragen – ohne Engpässe oder
Arbeitsplatzverluste. Im Modell liegt die durchschnittliche Belastung bei
Verrentung über 15 Jahre und 1,8 Prozent Zins bei kaum mehr als einem bis zwei
Prozent des jährlichen Unternehmensgewinns.  

Damit wäre sichergestellt, dass
kein gesundes Familienunternehmen allein wegen der Steuer verkauft werden
müsste – ein oft bemühtes, aber empirisch kaum belegtes Argument gegen jede
Reform.

Fakt ist: Nur etwa elf Prozent aller Erbenden zahlen
überhaupt Erbschaftsteuer. Die Mehrheit der Bevölkerung erbt
wenig oder gar nichts, und selbst mittlere Erbschaften bleiben meist unter den
Freibeträgen. Das ist sozialpolitisch akzeptabel – aber nur, wenn die obersten
Vermögensgruppen tatsächlich ihren Anteil leisten. Heute ist das Gegenteil der
Fall: je reicher die Erbschaft, desto geringer der effektive Steuersatz. Ab
etwa 300 Millionen Euro wird fast gar keine Steuer mehr fällig, weil das
Vermögen fast vollständig als Betriebsvermögen gilt. Das ist regressiv und
widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz.

Eine verfestigte Erbengesellschaft

So entsteht eine Erbengesellschaft, in der sich Vermögen über Generationen verfestigt. Wer in
Deutschland geboren wird, hat nach Berechnungen des DIW Berlin heute eine etwa
50-fach höhere Chance auf ein Millionenvermögen, wenn die Eltern wohlhabend
sind. Die Erbschaftsteuer könnte diesen Trend dämpfen – wenn sie nicht durch
Ausnahmen ausgehöhlt wäre.

Sinnvoll ist ein zweiter Schritt bei den Schenkungen: Heute kann derselbe Begünstigte alle zehn Jahre
erneut steuerfrei beschenkt werden. Das begünstigt vor allem sehr Vermögende,
die ihr Geld schon zu Lebzeiten portionsweise übertragen. Klug wäre,
Freibeträge über die gesamte Lebenszeit einer Person zu kumulieren. Das
vereinfacht die Steuer, verhindert Missbrauch und entlastet normale Erbfälle.  

Ein einheitlicher
Lebensfreibetrag von einer Million Euro – wie in den DIW-Simulationen getestet
– würde die Zahl der Steuerzahlenden um 90 Prozent senken, ohne die Einnahmen
nennenswert zu verringern. Denn die Mehreinnahmen stammen ohnehin fast
ausschließlich von großen Unternehmensübertragungen.

Die Lehre ist klar: Wir brauchen
keine neue Erbschaftsteuer, sondern eine ehrliche. Keine großen Systembrüche –
sondern die Abschaffung der Ausnahmen für sehr große Erbschaften, insbesondere
bei Unternehmen. Zugleich sollten Stundungsregeln gesetzlich festgeschrieben
werden, damit Steuerzahlungen über viele Jahre gestreckt werden können. Damit
ließe sich der Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit lösen.

Das heutige System benachteiligt sogar kleine und mittlere Firmen indirekt, weil es
große Vermögen überproportional entlastet. Eine vereinfachte, transparente und
verfassungsfeste Erbschaftsteuer stärkt den Mittelstand, statt ihn zu
gefährden. Oft heißt es, eine höhere Erbschaftsteuer schade der Wirtschaft. Das
Gegenteil ist plausibel: Wer geerbten Reichtum moderat besteuert, stärkt
Chancengleichheit, lenkt Kapital in produktive Investitionen und erhöht die
Akzeptanz eines Systems, das Leistung belohnen soll.