Früher waren mir Jahreszeiten weitestgehend egal. Wenn es regnete, blieb ich im Bett. Wenn die Sonne schien, gegebenenfalls auch. Diesen Stoizismus kann ich mir nicht mehr leisten. Zu den vielen Elternzwängen, die einem pränatal verschwiegen werden, gehört die Abhängigkeit vom Wetter. Und damit die Notwendigkeit, jeden Tag das Haus zu verlassen, sei es bei praller Klimawandelsonne oder Orkanböen im November.
Es ging los, als meine Tochter fast eins war, in unserer ohnehin altersschwachen Wohnung hängte sie sich an die Heizung, sie nahm die Duschkabine auseinander. Sie tat das, was in München üblich ist: Sie entkernte die Wohnung.
Und so wurde ich Mitglied in einem Klub, den ich bis dahin nur aus der Ferne registriert hatte, dem Soziotop der Spielplatzeltern. Die Tür ist nicht wirklich hart. Man darf müde aussehen, genervt ist auch okay, das Mitführen von Sektflaschen wird nicht geahndet, jenes von zuckerreichen Snacks manchmal schon. Frauen tragen klobige Stiefel und Daunenmantel, Männer, die zu 80 Prozent erst nachmittags auftauchen (sorry, ist so), irgendwas Atmungsaktives von Arcteryx. Das ist die Münchner Uniform, kann in Köln/Berlin/Hamburg je nach Viertel und Gentrifizierungsgrad variieren. Das mal zur Oberfläche.
Isst das Kind keinen Sand oder reißt einem anderen den mit Namen beschrifteten Eimer weg, ist Zeit, sich auf einer der Bänke auszuruhen. Oder man erhöht seine playground credibility, indem man es dem Mann am Klettergerüst gleichtut, der gerade einen Affen imitiert. Die nächste Hürde ist der Schritt in den inneren Zirkel, die mit Matschhosen und anderen sozialen Codes hantierende Elternbubble. Dieser Schritt kann aus reiner Elternzeit-Einsamkeit erfolgen oder aus praktischen Gründen, in der Regel: Hast du mal ein Feuchttuch? Beim ersten Mal hätte ich fast „Feuer“ verstanden, aber das ist eine andere Geschichte.
Ist die Kontaktaufnahme gelungen und wurde man nicht gleich wieder ausgestoßen, weil die kleine Tilda (natürlich nicht mein Kind!) eine notorische Eimerdiebin ist, folgen entweder noch mehr Oberflächlichkeiten oder das Gespräch schlägt in die entgegengesetzte Richtung aus. Ich habe mich mit Müttern schon so gut unterhalten, dass ich mit ihnen in die nah gelegene Bar durchbrennen wollte, und in der nächsten Sekunde waren sie für immer verschwunden. Mütter haben mir von ihren in der Schwangerschaft ramponierten Zähnen, ihren Ängsten und ihren Jeans erzählt, und ich ihnen von meinen. Beim Spielplatzbesuch ist es wie mit der Forrest-Gump’schen Pralinenschachtel: Man weiß nie, was man bekommt.
Viel Zeit, in die Tiefe zu gehen, bleibt allerdings nicht. Da ist diese Sache mit der Aufsichtspflicht. Was aber auch Spaß macht: Wortfetzen aufschnappen und spielerisch seine Toleranz trainieren, es folgt eine Auswahl aus drei Jahren Grundausbildung auf städtischen Spielplätzen.
„Ich schicke meiner Hausärztin jetzt immer Fotos von meinem Essen“ (München-Bogenhausen), „Es wäre schön, wenn Sie fragen, bevor Sie einfach unseren Eimer ausleihen“ (München-Thalkirchen, ich war nicht gemeint!), „Glaubst du, sie findet nicht ins Spiel, weil ihr Blutzuckerspiegel so hoch ist?“ (Freiburg im Breisgau), „Stell dich nicht so an, ey“ (München-Sendling), „Niemand flirtet auf dem Spielplatz“ (Belgisches Viertel, Köln).
Ich liebe nichts so sehr, wie auf den Spielplatz zu gehen.
In dieser Kolumne schreiben Patrick Bauer und Friederike Zoe Grasshoff im Wechsel über ihren Alltag als Eltern. Alle bisher erschienen Folgen finden Sie hier.
