
AUDIO: Eva Lys und Ella Seidel – Tennishoffnungen aus Hamburg (2 Min)
Stand: 13.11.2025 14:05 Uhr
Ab Freitag kämpft die deutsche Mannschaft im Billie Jean King Cup um den Verbleib in der Tennis-Weltgruppe. Erster Gegner ist die Türkei, am Sonntag wartet Belgien. Mittendrin für Deutschland sind mit Eva Lys und Ella Seidel zwei junge Hamburgerinnen, die einen beachtlichen Aufstieg hingelegt haben.
Für Tennisprofi-Verhältnisse ist es noch ziemlich früh. Dienstagmorgen, kurz vor 9 Uhr in Ismaning, nördlich von München. Es ist die erste Trainingseinheit für das deutsche Billie-Jean-King-Cup-Team. Rookie Ella Seidel drischt die Bälle übers Netz. Die 20-Jährige ist zum ersten Mal im Kreise der absoluten deutschen Tennis-Elite berufen worden. Mit dabei ist auch Teamchef Rainer Schüttler und auf der anderen Seite des Netzes die nachnominierte Jule Niemeier, in den vergangenen Jahren eine feste Größe im deutschen Team
Drumherum wird noch Hand angelegt. Die Tribünen für knapp 1500 Zuschauer stehen schon, aber sonst ist noch viel zu tun. Fast sinnbildlich für das deutsche Tennis. Nach dem Rücktritt von Angelique Kerber ist nur Alexander Zverev Weltspitze. Von sporadischen Erfolgen der End-Dreißigerinnen Laura Siegemund und Tatjana Maria abgesehen, herrschte sonst länger Ebbe.
Aber das hat sich geändert. Mit Eva Lys und Ella Seidel sind zwei junge Hamburgerinnen auf die Bühne getreten, die versuchen wollen, das Frauen-Tennis aufzumischen. Und sie haben schon angefangen, es zu tun.
Das Märchen von Lucky Lys
Bei Lys, mit 23 Jahren die ältere der beiden, ging das mit einem großen Knall. Zwar hatte sie im Januar bei den Australian Open in der letzten Qualifikationsrunde verloren, rückte dann aber doch ins Hauptfeld, weil eine andere Spielerin verletzt passen musste. Diese unerwartete Chance nutzte Lys und kam bis ins Achtelfinale. „Das hat mein ganzes Tennis-Leben verändert. Ich bin dadurch erstmals unter die Top 100 der Weltrangliste gekommen und das macht vieles leichter“, sagt die Hamburgerin.
Sprung auf Platz 40 der Weltrangliste
Darüber hinaus hat die redegewandte Lys, der man den Spaß an ihrem Sport auf dem Platz ansehen kann, viele Tennis-Fans aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Plötzlich war da wieder eine, mit der man mitfiebern kann. Werbeverträge und Fernsehauftritte waren die Folge. Und Lys bestätigte ihren Erfolg von Melbourne mit immer konstanteren Leistungen, die sie bis auf Platz 40 der Weltrangliste gebracht haben.
„Ich habe eine Familie, die mich auf dem Boden hält und das ist gut so.“
Eva Lys
So sehr sich die Rahmenbedingungen für sie veränderten, ist die 23-Jährige doch als Mensch gleich geblieben. „Im persönlichen Leben hat sich im Großen und Ganzen nichts geändert. Ich habe eine Familie, die mich auf dem Boden hält und das ist gut so“, sagt sie.
Kein Vergleich mit Graf und Becker
Der plötzliche Aufstieg von Lys ist nicht mit dem von Steffi Graf oder Boris Becker zu vergleichen. Es ist alles eine Nummer kleiner. Und so talentiert sie auch ist, der Vergleich mit den für den deutschen Tennis-Boom in den 1980er-Jahren Verantwortlichen hinkt. Lys hat noch spielerische Defizite, dazu vor allem körperliche. Eine rheumatische Autoimmunerkrankung stoppt sie immer wieder. Aber sie weiß mit der Krankheit umzugehen. „Geduld, sehr viel Geduld, die musste ich lernen. Wenn der Körper Stopp sagt, dann muss ich wirklich zuhören, sonst bin ich Monate raus“, erklärt die Deutsche.
Die Krankheit hat Lys dieses Jahr selten gestoppt und deshalb konnte sie im Oktober ihren wertvollsten Sieg landen. Beim 1000er-Turnier in Peking, der höchsten Kategorie nach den Grand Slams, besiegte sie Elena Rybakina und damit zum ersten Mal eine Top-Ten-Spielerin. „Das hat mir natürlich ganz viel Selbstbewusstsein gegeben und mir gezeigt, dass ich mit den Besten mithalten kann“, sagt Lys.
Seidels Erweckungserlebnis in Cincinnati
Eine ähnliche Erfahrung hat die jüngere der beiden Hamburger Tennis-Aufsteigerinnen gemacht. Ella Seidel hatte ihr großes Erweckungserlebnis in Cincinnati, ebenfalls ein Turnier der höchsten Kategorie. Dort gewann sie gegen die US-Amerikanerin und damalige Nummer elf der Welt, Emma Navarro. Genießen konnte sie diesen Erfolg nicht wirklich. „Es war so warm, so schwül und plötzlich war es vorbei. Aber im Nachhinein habe ich mich sehr gefreut“, erinnert sich die 20-Jährige. Gewirkt hat dieser Sieg wie bei Lys. Er gab einen Boost fürs Selbstvertrauen.
Aha-Moment nach Verletzung in Wimbledon
Der zweite Aha-Moment in Seidels Tennis-Jahr kam in Wimbledon. Auf dem heiligen Rasen hatte sich die Norddeutsche souverän durch die Qualifikation gespielt. Allerdings knickte sie dann in der ersten Runde um, handelte sich einen Außenbandriss ein und musste vier Wochen aussetzen. „Diese Pause tat sogar gut und hat mir gezeigt, wie sehr ich Tennis spielen möchte“, so Seidel. „Ich wollte unbedingt schnell zurück auf den Platz und spiele seitdem mit mehr Spaß und Freude.“
Vor der Verletzung war Seidel häufig zu verbissen, wollte zu viel. Schon Ex-Bundestrainerin Barbara Rittner hatte früh erkannt, dass ihr Perfektionismus und Ehrgeiz manchmal kontraproduktiv sind. Schüttler kann diese Einschätzung gut nachvollziehen: „Ella muss man manchmal bremsen. Sie hat schon gestern zwei Trainingseinheiten auf dem Platz und eine im Kraftraum gemacht.“ Und das noch bevor die anderen aus dem deutschen Team in München eingetroffen waren.
„The sky is the limit“
Die Einstellung stimmt bei Seidel und Lys. Auch das ist ein Grund, warum Schüttler „richtig viel Potenzial“ bei beiden sieht. „Und man darf nicht vergessen, sie sind noch so jung. Da kommt noch was.“ Um es in den Worten von Lys zu sagen: „The sky is the limit.“
Es spricht einiges dafür, dass beide, bei allen Unterschieden, weiter im Gleichschritt nach oben gehen werden. Und das mit gegenseitigem Respekt und viel Empathie für die jeweils andere. „Wir sind ja aus unterschiedlichen Altersklassen und sind uns erst in diesem Jahr nähergekommen, haben uns aber echt gut angefreundet. Ella ist ein sehr lebensfroher Mensch“, betont Lys. Seidel schätzt an ihrer Teamkollegin, „dass man mit ihr über alles sprechen kann, und sie mir so gut es geht versucht zu helfen“.
Am Freitag beim ersten Match für das deutsche Team beim Billie Jean King Cup gegen die Türkei wird neben Lys vermutlich die 37-jährige Siegemund im Einzel spielen. Seidel wird sich erst einmal gedulden müssen. Aber damit hat sie kein Problem: „Wenn das so ist, werde ich am Rand sitzen und Eva und die anderen anfeuern.“


