Volleyball-Bundestrainer Winiarski tritt zurück: Die Familie ist jetzt wichtiger – Sport

Am Montag fand Michal Winiarski immerhin noch ein kleines Abend-Zeitfenster, um die eigenen Spieler von seinem überraschenden Schritt zu unterrichten. In einem eilig anberaumten Videogespräch schilderte der Volleyball-Bundestrainer jenen, die sich die Teilnahme einrichten konnten, die Gründe für seinen Rücktritt, mit dem er nicht nur seine Mannschaft überraschte.

Für jene, die ihn besser kannten, kam seine Entscheidung allerdings nicht ganz so unvermittelt. Er habe zuletzt gemerkt, „dass meine Familie mehr Zeit und Präsenz von mir braucht“, begründete der Vater zweier Söhne seinen Schritt in einer Mitteilung des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV). „Die Arbeit in der PlusLiga ist sehr intensiv, und zwischen Liga und Nationalteam blieb kaum Zeit zum Durchatmen. Hinzu kamen kleinere gesundheitliche Probleme. Das alles hat mir gezeigt, dass es nun an der Zeit ist, eine Pause einzulegen, neue Kraft zu schöpfen und mit einer frischen Perspektive nach vorne zu schauen.“

Winiarski trainiert in der polnischen Profiliga den Spitzenklub Warta Zawiercie, mit dem er vergangene Saison ins Champions-League-Finale kam, dort aber knapp gegen Perugia verlor. Kurz nach diesem Endspiel ließ er sich bei einem Länderspiel der Deutschen gegen Italien in München von seinen Co-Trainern vertreten. Eingeweihte spürten da längst, dass der Doppeljob Tribut forderte. Winiarski gilt als einer, der beim Thema eigene Belastung eher zu spät als zu früh auf die Bremse tritt. Sein Rücken plagt ihn noch aus Spielerzeiten, im Sommer quälten ihn monatelang Hustenanfälle.

Aber im deutschen Volleyball schätzte man eben seine Expertise. Seit 2022 war er im Bundestraineramt, hatte die DVV-Männer zuvor fast sensationell zu den Olympischen Spielen von Paris geführt, wo sie im Viertelfinale hauchdünn gegen den späteren Sieger Frankreich verloren. Allerdings schied er vor zwei Monaten mit Georg Grozer und Co. auch recht schmucklos in der WM-Vorrunde aus.

„Wenn der Verband mir das zutraut und eine Neuausrichtung möchte, dann stehe ich bereit“, sagt der bisherige Co-Trainer Thomas Ranner

Der 42-jährige Pole, der als Spieler 2009 Champions-League-Sieger und Europameister sowie 2014 Weltmeister wurde, genießt im eigenen Land fast Heldenstatus. Volleyball hat dort einen wesentlich höheren Stellenwert als in Deutschland. Zum WM-Auftaktspiel der Polen vor elf Jahren kamen 60 000 Zuschauer ins Warschauer Nationalstadion. In Zawiercie macht Winiarski weiter, seinen Vereinsjob gibt er nicht auf. Bei den deutschen Männern hinterlässt der empathische Coach, der dem Team viele Freiheiten schenkte, aber auch nicht vor harten Entscheidungen zurückschreckte, nun eine riesige Lücke. Denn sein Vertrag war eigentlich erst im vergangenen Jahr bis 2028 verlängert worden. Winiarski war fest als Architekt einer Mannschaft eingeplant, die sich auch für die Sommerspiele in Los Angeles qualifizieren soll.

Christian Dünnes, Chef-Bundestrainer des gesamten deutschen Volleyballs, charakterisiert Winiarski als „sehr, sehr guten Trainer und tollen Menschen, der alles andere als ein Selbstdarsteller ist“. In der Mitteilung sprach Dünnes von „einem großen Verlust“ für den DVV: „Michal hat die Mannschaft auf ein neues Level gebracht.“ Winiarskis Nachfolger muss nun ein kompliziertes sportliches Erbe antreten. Die Generation um den inzwischen 40-jährigen Grozer tritt langsam ab, neue Führungspersönlichkeiten werden nicht nur neben, sondern auch auf dem Feld gesucht. Der Verband muss sich zugleich fragen, ob er wieder einen international renommierten, erfahrenen Coach ins Amt befördert. Oder ob der DVV auf eine heimische Lösung baut und diese womöglich mit einer Vollzeitstelle ausstattet, ganz ohne fordernde Doppelbelastung zwischen Nationalteam und Verein.

In den kommenden Wochen will der Verband Gespräche mit fünf bis sechs potenziellen Kandidaten führen, einer davon ist Herrschings Trainer Thomas Ranner. Der 38-Jährige war Winiarskis Assistent und zuvor Teammanager der DVV-Auswahl. Seit fast zehn Jahren ist der Münchner in diesen Funktionen Teil der Nationalmannschaft. Ranner ist nicht erfahren als Chefcoach auf internationalem Parkett, aber er wäre prädestiniert als junge deutsche Lösung. Auch, weil er die Mannschaft wie kaum ein Zweiter kennt. „Ich fühle mich ihr verpflichtet“, sagte er am Mittwochabend am Telefon, kurz bevor er sich zum Training seines Klubs am Ammersee aufmachte: „Und wenn der Verband mir das zutraut und eine Neuausrichtung möchte, dann stehe ich bereit und habe mega Bock auf diese neue Aufgabe.“