Der Satirefilm „Yes“ wirft einen fatalistischen Blick auf die israelische Gesellschaft nach dem 7. Oktober

Für eine gelungene Orgie dürfen keine Mühen gescheut werden. Yud und Yasmin toben durch die Menge und heizen die Stimmung an. Es wird gesoffen, gefressen, getanzt. Aus den Boxen schallt der Eurodance-Klassiker „Be My Lover“ von La Bouche. Dem einen Gast wird die Zunge in den Mund gesteckt, beim anderen mit einem Baguette ein Blowjob imitiert.

Die Kamera wackelt den beiden durch das freidrehende Spektakel hinterher. Beide wurden als sexy Animateure für eine Feier der dekadenten israelischen Oberschicht engagiert. Der Abend endet für das Paar im mondänen Haus einer älteren Dame, die sie für ihre kinky Vorlieben einspannt.

Es ist ein furioser Auftakt, den Nadav Lapid für seinen neuen Film „Yes“ gewählt hat. Ein Auftakt, der eine Vorahnung gibt, welche Richtung der Film in seinen zweieinhalb Stunden einschlägt. Yud ist eigentlich Musiker, Yasmin HipHop-Tänzerin. Beide sind sich für nichts zu schade.

Mit ihren schrillen Performances für eine zügellose Elite wollen sie das große Geld machen, um ihr prekäres Leben hinter sich zu lassen. Israel nach dem Massaker des 7. Oktober ist für sie unerträglich geworden – erst recht mit einem kleinen Kind. „Es gibt keinen schlimmeren Ort als Zuhause“, sagt Yasmin einmal resigniert.

Der Film

„Yes“. Regie: Nadav Lapid. Mit Ariel Bronz, Efrat Dor u. a. Deutschland/Frankreich/Israel/Zypern 2025, 150 Min.

Schizophrener Alltag

Der Alltag in Tel Aviv wirkt schizophren. Yud bringt den Sohn in die Kita, Yasmin arbeitet im Tanzstudio, während wenige Kilometer entfernt der Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt wird. Push-Benachrichtigungen über Bombardements, Tote und Verletzte krachen wie Raketen in den Alltag hinein. Zugleich ist die Regierungspropaganda allgegenwärtig. „Die Armee lügt nicht“, redet sich Yud ein.

Der Ausweg aus dem Wahnsinn ist permanente Zerstreuung, Rastlosigkeit, der Zwang zum Eskapismus. Immer wieder schallt aus den Wohnzimmerboxen oder Kopfhörern bassübersteuerte Musik. Die Kamera schwenkt hastig durch den Raum, genauso verloren und orientierungslos wie die beiden Protagonist:innen.

„Yes“ ist eine schrille Satire, eine völlige Überzeichnung der israelischen Gesellschaft. Und genau deshalb erzählt der Film sehr viel über den Gemütszustand der Menschen in diesem zerrissenen Land – und auch über den Regisseur. Nadav Lapid zählt zu den härtesten Gegnern der Netanjahu-Regierung, seine Filme sind so kunstvoll wie anklagend und kreisen immer auch um die Frage der eigenen israelischen Identität.

Die Figuren sind immer auch sein Alter Ego. Wie in „Synonymes“ (2019), in dem ein in Paris lebender Israeli zwanghaft versucht, sich seiner Herkunft zu entledigen, oder in „Aheds Knie“ (2021), in dem ein Filmemacher, ebenfalls Yud genannt, die Verrohung der israelischen Gesellschaft und die Bedrohung der Meinungsfreiheit anprangert.

Hymne auf den Krieg

Auch „Yes“ richtet sich gegen den Wahnsinn der Regierung, gegen den grassierenden Nationalismus, der keinen Dissens akzeptiert. Yud soll für einen russischen Oligarchen, der sich im gelobten Land mit seinem Reichtum austobt, eine Hymne auf den Krieg in Gaza schreiben, „eine Hymne für die Generation des Sieges“, wie es heißt, in der die Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen in einer Art endzeitlichem Kampf zu den neuen „Trägern des Hakenkreuzes“ dämonisiert werden. Mit der fürstlichen Entlohnung vor Augen macht sich Yud an die Arbeit.

Nadav Lapid spricht unbequeme Wahrheiten an, schlägt sich aber auf keine Seite im Kampf um die Deutungshoheit des Krieges. Er sucht auch nach ruhigen Momenten in all den Widersprüchen, nach Halt und Orientierung. Immer wieder befragt Yud seine tote Mutter, was sie gesagt hätte über Israel nach dem 7. Oktober. In einem Restaurant am Toten Meer, wohin er sich für seine Arbeit zurückzieht, trifft er auf seine Jugendliebe Leah. Für einen kurzen Moment macht sich so etwas wie Unbeschwertheit breit.

Leah arbeitet für die israelische Armee und übersetzt Zeugenaussagen und Berichte über die Gräueltaten am 7. Oktober für internationale Medien. Eine der erschütterndsten Szenen zeigt beide im Auto auf dem Weg zur Grenze zu Gaza. Sie wollen „vom Meer des Todes zur Hölle“. Wie auf Knopfdruck beginnt Leah Yud von der Brutalität der Hamas-Terroristen zu erzählen, von ihrer sadistischen Lust an Vergewaltigungen und Verstümmelungen.

Kein Detail, das sie nicht kennt. Wie in einer Dauerschleife ist sie im 7. Oktober gefangen. Die Kämpfe im nahegelegenen Gazastreifen sind als Echo der Gewehrsalven und Bombenschläge wahrzunehmen. Zwei israelische Militärs, die ihnen den Weg versperren, empfehlen ihnen einen Aussichtspunkt, von dem aus man einen guten Blick auf die Bombardierungen habe. Der Krieg als vergnügliches Panoramaspektakel.

Nadav Lapid zeigt keinen Ausweg für seine Figuren. Es ist ein fatalistischer Blick auf Israel. Als Yud seine Propagandahymne fertig hat, richtet er erneut seine Worte an die tote Mutter: „Entschuldige, dass ich ein Feigling bin.“ Aus dem ewigen Ja-Sager ist ein Zweifler geworden. Immerhin.