Den Treppenwitz der beiden großen Erzählungen von gestohlenen und wiedergewonnenen Juwelen lieferte Deutschland. Das Land der Protestanten, Preußen und Perfektionisten bot in einer dramatischen Szene wieder einmal ein schönes Beispiel für den Vorsprung durch Technik: Die Diebe, die den Louvre um Schmuck im Wert von etwa 88 Millionen Euro erleichterten, gelangten in das erste Stockwerk mit dem Schrägaufzug eines Unternehmens aus Werne im südlichen Münsterland. Der Lastenaufzug, für Personen eigentlich nicht zugelassen (aber wen kümmert’s außerhalb des Geltungsbereichs deutscher Berufsgenossenschaften), brachte die Diebe auch sicher nach unten, sodass sie ungehindert davonbrausen konnten.
Wie bezeichnend! Frankreich ist entgeistert, weil einige Diebe mit billigen Tricks Kronjuwelen stehlen konnten. Und die ganze Welt ist begeistert, weil die Technik der Meisterdiebe, die am Ende doch nur Lehrlinge waren, aus Deutschland kam. Frankreich, das Land eitler Verschwendung, höfischer Repräsentation, mangelnder Sicherheitsvorkehrungen. Deutschland, das Land, in dem der Coup bei Partygesprächen in ironischem bis freudigem Ton kommentiert wird. Und womöglich wieder einmal das Land, in dem ausgereifte Technik nur die landesübliche ästhetische Ahnungslosigkeit überkompensiert.
Mit kostbarem Schmuck verbinden wir eine Welt von gestern
Denn so richtig fasziniert ist die nivellierte deutsche Mittelstandsgesellschaft nicht von den höfischen Klunkern, die nun in den Schlagzeilen glänzen. Dass die Habsburger ihre Juwelen wiederentdeckt haben, unter ihnen den gelben Riesendiamanten, den schon Karl der Kühne trug, als er in der Schlacht fiel? Das wird als nettes Kuriosum aus dem Nachbarland verbucht. Mit kostbarem Schmuck verbinden wir eine Welt von gestern, die nichts mit unserer Gegenwart zu tun hat, in der es so sehr um Gerechtigkeit und Gleichheit geht. Wer bei uns heraussticht, erst recht durch Schmuck, der macht sich verdächtig. Auf gut Deutsch: Check your privilege!
Auch in unseren Nachbarländern herrscht ein gespanntes Verhältnis zu den abgesetzten Herrscherfamilien mit ihrem feudalen Gewese. Das Verständnis für die Macht des Schmucks überbrückt aber Klassenunterschiede und Neidgedanken. Der Schock über den Diebstahl im Louvre war deshalb groß, auch weil der symbolische Wert der Klunker brutal auf ihren materiellen Wert heruntergebrochen wurde. Und in Wien war die Freude über die nach historischen Irrwegen wiedergefundenen Schätze der Habsburger so groß, weil der Fund den ewigen Phantomschmerz der Österreicher zu lindern schien, dass man ein Weltreich war und jetzt nur noch eine Alpenrepublik ist. Der historische Abstand von mehr als einem Jahrhundert schrumpfte auf einen Augenblick zusammen.
„Familienschmuck“ ist das beste Label für gediegene Wertbeständigkeit
So zeigen beide Anlässe, dass Schmuck mehr ist als nur Schmuck: nämlich ein Wert, der über das Individuelle hinausgeht und Gemeinschaft stiften kann, sogar so etwas Ähnliches wie nationale Identität. Nicht umsonst ist die Nachfrage nach Vintagestücken besonders in Frankreich hoch. Dort werden auch alte Schmuckmarken erfolgreich revitalisiert (Repossi) oder gar neue gegründet (Messika). Die Kultur des Schmucks erfährt man in Paris auf eine ganz andere Art als hierzulande. Victoire de Castellane, seit Jahrzehnten Schmuckdesignerin bei Dior, erschafft in der „Haute Joaillerie“ sogar auf einem kleinen Ring ganze Welten. Auch durch den Witz der Entwürfe lösen sich alle Gedanken über strukturelle Ungleichheit in Wohlgefallen auf.
Die Schmuckbranche hat viele Techniken entwickelt, die schönen Stücke nicht als eitlen Tand hängen zu lassen. Auch als überzeitliche Wertanlage werden Gold und Juwelen beschworen. Der „Familienschmuck“ ist das beste Label für gediegene Wertbeständigkeit, die sich nicht um den Moment schert, sondern Vergangenheit und Zukunft mit einer Goldkordel verbindet.
Kein Wunder, dass laut Statista der Umsatz auf dem weltweiten Schmuckmarkt in diesem Jahr voraussichtlich 374 Milliarden Dollar erreichen soll. Erwartet wird ein Wachstum von fast fünf Prozent. Juwelen dokumentieren nicht nur die Liebe zu ornamentalen Schnörkeln, sondern sind auch ein Ausweis ewiger Kaufkraft: Schmuck schmückt sogar das Portfolio.
Karl Habsburg hat vielleicht recht damit, dass der „Privatschmuck“ 1918 vor Inkrafttreten des „Habsburgergesetzes“ außer Landes gebracht wurde. Aber natürlich muss die Republik Österreich Interesse haben an diesen Traditionsbeständen. Sie hat dem Herrn Habsburg schon das „von“ weggenommen, dann wird sie das mit den Juwelen auch noch schaffen. Warum nicht die Steine in der Hofburg ausstellen, auf Kosten der Republik? Da kann auch ein Habsburg nichts dagegen haben, denn am Beispiel des Louvre sieht er nun, wie gut und teuer Sicherheitsvorkehrungen heute sein müssen. Ganz Österreich hätte etwas davon. Und der Schmuck wäre da, wo er hingehört: im Zentrum.
