Ingolstadts Fußball-Trainerin Sabrina Wittmann beantwortet FAZ-Fragebogen

Diesen Fragebogen hat Marcel Proust nie ausgefüllt. Denn er ist eine auf den Fußball zugespitzte Variante eines zu Zeiten des französischen Schriftstellers beliebten Gesellschaftsspiels. Wir spielen es weiter mit Menschen aus dem Fußball, die bereit sind, die Herausforderung an Geist und Charme anzunehmen: diesmal mit Trainerin Sabrina Wittmann.

Was ist für Sie das größte Glück als Trainerin?

Dass ich das Privileg habe, die besten Athleten in ihrem Talent zu Höchstleistungen zu treiben. Dass ich die Verantwortung habe, ihnen einen gemeinsamen Sinn und eine Richtung zu geben. Am Ende ist es aber vor allem, dass ich mit Menschen anlässlich ihrer größten Hingabe und Begeisterung arbeiten darf. Das empfinde ich wirklich als ein sehr großes Glück.

Und was ist für Sie das größte Unglück als Trainerin?

Dass es alle besser wissen und machen würden.

Woran erkennen Sie einen guten Spieler?

An seinen Entscheidungen, die er unter maximalem Gegner- und Zeitdruck treffen kann. Vor allem aber, wie sehr er in der Lage ist, sein Potential in Kombination mit seiner Persönlichkeit in den entscheidenden Momenten auf den Platz zu bringen.

Wer ist der beste Spieler, gegen den Sie gespielt haben?

In all meinen Jugendjahren habe ich wirklich gegen sehr viele beeindruckende Spieler, die heute zu absoluten Topspielern reifen, gespielt. Mir fallen hier sofort die Begegnungen in der U 19 gegen den junge Tom Bischof ein. Aber auch Can Uzun, der auch unter mir gespielt hat und später mein Gegner war, oder sein guter Freund Kenan Yildiz. Schön zu sehen, was aus den Jungs wird!

Als Trainerin am Spielfeldrand: „Grundsätzlich ist Angst kein guter Begleiter.“
Als Trainerin am Spielfeldrand: „Grundsätzlich ist Angst kein guter Begleiter.“Picture Alliance

Welcher Spieler ist besser, als die Allgemeinheit glaubt?

Merlin Röhl. Nicht nur ein unfassbar guter und flexibler Spieler auf dem Platz, sondern auch ein unglaublich beeindruckender und smarter Mensch. Seinen Weg hab ich schon immer gerne verfolgt und bin sehr gespannt auf alles, was noch kommen wird.

Wer ist der wichtigste Trainer in Ihrer Karriere?

Zwei Menschen haben mich besonders geprägt: Roberto Pätzold, heute Trainer der Frauen von Bayer Leverkusen, und mein damaliger Ausbilder Roland Reichel. Ich habe nie wieder jemanden getroffen, der den Spieler inhaltlich so sehr in den Mittelpunkt gestellt hat, wie Roland. Ohne Roland wäre ich nie Trainerin geworden und hätte es nie so sehr geliebt. Er hat mir die Chance gegeben und ganz früh mehr in mir gesehen, als ich in mir sehen hätte können. Roberto hat Spieler, wie auch Menschen um sich immer geschafft zu maximalen Höchstleistungen zu treiben. Er hat die Gabe sehr altruistisch, Menschen neben sich wachsen und groß werden zu lassen. Oftmals auch über sich hinaus.

Über was möchten Sie in der Kabine nicht sprechen?

Die Kabine ist nicht mein Ort – der gehört den Jungs. Aber wenn ich zu „Gast“ bin, dann möchte ich – und musste ich auch zum Glück noch nicht – am wenigsten über mein Geschlecht sprechen.

Meine Eltern. Wenn ich das Herz und vor allem die Gutherzigkeit meiner Eltern habe, dann hab ich – für mich – alles Wichtige erreicht.

Sabrina Wittmann im Kreis ihrer Spieler: „Das Glück, ihnen einen gemeinsamen Sinn und eine Richtung zu geben.“
Sabrina Wittmann im Kreis ihrer Spieler: „Das Glück, ihnen einen gemeinsamen Sinn und eine Richtung zu geben.“Frank Röth

Was fürchten Sie in einem Spiel?

Grundsätzlich ist Angst kein guter Begleiter und wenn sich ein solches Gefühl anbahnt, dann ist es mir wichtig es zuzulassen, aber auch schnell und bewusst zur Seite zu schieben. Was ich aber nicht ertragen würde, wäre, wenn ich das Gefühl hätte, mein Team wäre nicht gut vorbereitet und ich hätte ihnen im Vorfeld nicht genug zur Seite gestanden.

Ein Gedanke, der Sie während eines Spiels überrascht hat?

Ein Spiel überrascht einen ständig – deshalb lieben wir es doch so! Daher auch natürlich vieler meiner Gedanken und Gefühle. Aber ich hatte vor allem so einige unglaubliche Momente des Stolzes, die mich komplett ummantelt und eingenommen haben. Von dieser Intensität war ich wirklich überrascht.

Welche Fußballregeln würden Sie ändern?

Die Handregel – oder darf ich die Strafe für zu emotionales gestikulieren nehmen?

Wer führt Ihre Gehaltsverhandlungen?

Meine Agentur Sports360 mit meinem Berater und Freund Edgar.

Was ist der Sinn des Spiels?

Gewinnen, natürlich! Aber mit einer eigenen Ideologie und Identität, die vor allem Konstanz nach sich zieht.

Grundsätzlich habe ich keine Lieblingstrainer. Aber ich bewundere Trainer wie Julian Nagelsmann, Thomas Tuchel und Pep Guardiola. Ihre Liebe zum Detail und die Bessesennheit auf das Spiel. High-Perfomer!

Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

22 Bahnen. Ein tolles simples Buch, um einfach einmal abzuschalten. Gerade bin ich dabei „Belonging“ von Owen Eastwood zu lesen.

Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem/er Trainerkollegen (in) am meisten?

Loyalität, Ehrlichkeit und Wertschätzung. Bisher hatte ich das große Glück in meinem unmittelbaren Umfeld von ganz tollen und loyalen Trainerkollegen umgeben zu sein – bin aber ehrlicherweise auf ganz viele gegnerische tolle Kollegen und ihre Offenheit getroffen. Besonders intensiv erlebe ich das während meines Pro-Lizenz-Kurses: Die Offenheit und gegenseitige Wertschätzung meiner Mitstreiter bedeutet mir echt viel.

Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Freund, bei einer Freundin am meisten?

Gutherzigkeit, Loyalität, Verständnis, Selbstverständlichkeit. Ich liebe es, wenn man das Gefühl hat, dass Dinge in einem inneren Kreis für beide Seiten selbstverständlich sind. „Leider“ – und dankbarer Weise – muss und darf ich auch das Verständnis meiner Freunde und Familie schätzen. In meinem Beruf ist das oftmals notwendig.

Da fällt mir direkt ein Zitat aus Juli Zehs Buch „leere Herzen“ ein: „… weiß ich, dass richtig und falsch erst existieren, nachdem man sich entschieden hat.“ Alle Fehler haben maximale Daseinsberechtigung für das, was ich heute sein darf. Sie waren nicht immer angenehm, aber nützlich. Und ich bin mir sicher, dass ich einige gemacht habe.

Ihre Helden der Gegenwart?

Ärzte. Ihre Arbeitstage/-zeiten, ihre Verantwortung und ihre Leistung.

Ihre Heldinnen der Geschichte?

Menschen, die in der Vergangenheit losgelöst von Gefahren, für den Gedanken Demokratie selbstlos eingestanden sind oder gekämpft haben.

Was ist der größte Irrtum über das Leben als Fußballprofi?

Dass Fußballprofis faul sind. Jahrelang durfte ich viele heranwachsende Spieler begleiten, die neben ihrem Dasein als Leistungssportler noch das „normale Leben“ handeln mussten. Dieses Durchhaltevermögen und ihre Disziplin fand ich damals schon beeindruckend und hat sich auch bei meinen erwachsenen Spielern nicht verändert. Das Wort „Verzicht“ ist in diesem Leben omnipräsent.

Schwer zu entscheiden. Guardiola für die Art, wie er Fußball spielen lässt und das Spiel geprägt hat. Klopp für seine Emotionalität und seine Art, Menschen und Teams zu bewegen.

Was lieben Sie am meisten am modernen Fußball?

Die Intensität und taktische Flexibilität.

Was verabscheuen Sie am meisten am modernen Fußball?

Falscher Applaus, bzw. dass der Regler für Schulterklopfer und „Abscheu“ so schnell in die eine oder andere Richtung kippt.

Ihre Lieblingsbeschäftigung an einem Spiel- und trainingsfreien Tag?

Keine Frage: Egal was, aber Zeit mit meinen Liebsten!