Studio in Stockholm: Zu Besuch beim Prinzen von Schweden





9. November 2025 · Carl Philip von Schweden war einst Thronfolger, nun ist der Prinz zusammen mit seinem Partner Oscar Kylberg vor allem auch Designer. Erstmals öffnen die beiden für unser Magazin ihr Studio in Stockholm und zeigen ihre Arbeiten.




Wie aufs Kommando beginnt eine Militärkapelle zu spielen. „Das haben wir extra für heute arrangiert“, sagt Carl Philip Bernadotte und lacht. Das stimmt natürlich nicht, die Blaskapelle begleitet im Sommer an jedem Tag mittags die königliche Garde durch Stockholm, zur Wachablösung am Schloss, wo Carl Philip Bernadottes Vater, König Carl XVI. Gustaf, und seine Mutter, Königin Silvia, ihren offiziellen Wohnsitz haben, auch wenn die Familie selbst seit mehr als 40 Jahren etwas außerhalb im Schloss Drottningholm lebt. Die Musik der Blaskapelle schwillt zunächst an, wird immer lauter, im Studio von Bernadotte & Kylberg versteht man sein eigenes Wort nicht mehr. Die Garde zieht aber schnell vorbei, hinüber auf die Insel Gamla Stan, auf der die Altstadt und das Kungliga slottet liegen, das königliche Schloss. Als wieder Ruhe eingekehrt ist, kann das Interview beginnen.




„Wir fühlen uns wie eine Person mit vier Augen“: Carl Philip Bernadotte (rechts) und Oscar Kylberg gründeten 2012 ihr Studio Bernadotte & Kylberg in Stockholm.








Erstmals überhaupt haben Carl Philip Bernadotte und Oscar Kylberg ihr Studio in Stockholm für einen Journalisten und einen Fotografen geöffnet. Wo Bernadotte & Kylberg, wie sich das Duo nennt, genau arbeiten, soll ein Geheimnis bleiben. Auch aus Sicherheitsgründen. Eine Treppe führt hinauf in das alte Gebäude. Die Decken sind hoch, im ersten Raum, rechts eine Küche, finden Besprechungen statt. Dahinter ein zweites großes Zimmer: Hier haben die beiden ihre Schreibtische, nebeneinander. Auf dem Boden Teppiche, an den Wänden Möbel, daneben Ständer mit Schals und Decken. Wo man auch hinsieht, man sieht Bernadotte & Kylberg. Alles hier im Raum ist in den vergangenen 13 Jahren entstanden, seit es das Studio gibt, wenn auch zunächst an anderem Ort.

Nach einem Rundgang durchs Studio, bei dem ausführlich die Neuheiten gezeigt und erläutert werden, nehmen die beiden am Konferenztisch Platz. Es gibt Kaffee aus einer Silberkanne, die zur Helix-Kollektion von Bernadotte & Kylberg gehört, entstanden 2018 für die dänische Marke Georg Jensen. Dann spielt erst einmal die Militärkapelle auf. Erst danach beginnt Oscar Kylberg zu erzählen, wie die beiden sich kennengelernt haben.








Bernadotte, geboren 1979, und Kylberg, Jahrgang 1972, haben Grafikdesign an der Forsbergs Skola in Stockholm studiert. Der Ältere war eine Art Mentor für den Jüngeren. „Ich habe schon gearbeitet“, sagt Kylberg. „Du hast noch studiert. Wir hatten gemeinsame Freunde. Und dann hast du dich auch für Design interessiert.“ Bernadotte ergänzt: „Genau. Und die Freunde sagten dann: ,Oh, du solltest mal mit Oscar reden.’“

Carl Philip hatte da schon seine Militärausbildung hinter sich. Als langjährige Nummer zwei hinter seiner älteren Schwester Victoria (sie wurde erst am 1. Januar 1980 Kronprinzessin aufgrund eines neuen Thronfolgegesetzes, das festlegte, dass auch weibliche Nachkommen nachfolgeberechtigt sind) wurde der Prinz nach allen königlichen Regeln und für alle Eventualitäten ausgebildet. Inzwischen ist er nur noch die Nummer vier in der Thronfolge, steht aber mit seiner Frau Sofia und ihren vier Kindern der Krone weiterhin zur Verfügung. Die beiden sind überaus beliebt und quasi das Gegenteil von Harry und Meghan, die ihrer Familie und dem Vereinigten Königreich im Streit den Rücken gekehrt haben. Carl Philip zeigt, dass man durchaus ein bürgerliches Leben führen und dennoch für die Königsfamilie da sein kann.








Hier aber, im Studio, sitzen nun Herr Bernadotte und Herr Kylberg. Zwei erfolgreiche Designer, die über die Jahre mit ihren Produkten überzeugt haben. Das auf den ersten Blick so ungleiche Paar hat viel gemeinsam. Beide tragen einen großen Namen, beiden liegt das Kreative im Blut. Carl Philips Großonkel war ein bekannter schwedischer Designer: Auch Sigvard Bernadotte (1907 bis 2002), der eine Zeitlang auf Platz drei in der Thronfolge stand, arbeitete mit einem anderen Designer zusammen, Acton Bjørn. Von Bernadotte & Bjørn, wie sie sich nannten, stammt unter anderem ein Haushaltsprodukt, das sich auch in fast jedem deutschen Haushalt findet: die Rührschüssel Margrethe aus Melamin. Sigvard Bernadotte benannte das gute Stück, das in Deutschland vor allem von Dr. Oetker vermarktet wurde und sich besonders für elektrische Handrührgeräte eignet, nach seiner Nichte, der früheren Königin von Dänemark, die Carl Philips Patentante ist.

„Er hatte einen sehr praktischen Ansatz“, sagt Bernadotte. „Und trotzdem hat er auch sehr schöne Produkte hervorgebracht.“ Leider sei er noch vor seinem Studienbeginn 2002 gestorben. „Daher hatte ich keine Gelegenheit, mit ihm über seine Arbeit zu sprechen, weder über sein Design noch seine Vorstellungen von Form und Funktion.“

Schon lange vor Sigvard Bernadotte gab es einen künstlerischen Freigeist in der Königsfamilie: Prinz Eugen (1865 bis 1947), den jüngsten Sohn des schwedischen Königs Oskar II. (1829 bis 1907). „Prinz Eugen war ein großer Kunstliebhaber und -sammler und mit Erlaubnis seiner Eltern sogar selbst Künstler“, erzählt Carl Philip Bernadotte. „Er malte phantastische Naturlandschaften, die heute in seiner für ihn errichteten Villa Waldemarsudde auf der Insel Djurgården in Stockholm zu sehen sind. Wie er fotografiere ich auch gerne, und das seit meiner Kindheit.“








Oscar Kylberg wiederum ist der Nachfahre einer weit verzweigten Künstlerfamilie, deren bekanntestes Mitglied Kylbergs Urgroßvater ist, der Maler Carl Oscar Kylberg (1878 bis 1952). Eines seiner berühmtesten Gemälde nennt sich „Die Heimkehr“. Es hängt im Kunstmuseum in Göteborg und zeigt ein Segelschiff, das auf einem orangeroten Meer vor gelbem Himmel auf den Betrachter zufährt. Auf seine künstlerischen Gene angesprochen, lacht Kylberg und sagt: „Es gibt viel mehr Ärzte und Ingenieure in meiner Familie.“

Wie die beiden, Bernadotte und Kylberg zusammenarbeiten? „Wir fühlen uns wie eine Person mit vier Augen“, sagt Kylberg. Meinungsverschiedenheiten gebe es nicht. „Wir haben jeder eine Meinung zum Produkt, an dem wir arbeiten, und dann stehen wir da und streiten uns wie zwei Anwälte über ein Thema, werfen Argumente in die Waagschale, ohne Stellung zu beziehen. Wir stellen uns nie gegeneinander.“ Bernadotte ergänzt: „Natürlich versuchen wir, verschiedene Perspektiven einzunehmen, aber das dient dem Fortgang des Designprozesses und am Ende vor allem der Weiterentwicklung des Produkts.“



„Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie wir durch Design etwas verändern können. Wie tragen wir etwas Neues bei?“

OSCAR KYLBERG



Ihr Designprozess besteht aus mehreren Phasen. Zuerst wird recherchiert, im Archiv des Auftraggebers, in Bibliotheken und Datenbanken. Dann wird das Wichtigste zusammengetragen. „Danach beginnen wir in der dritten Phase, Was-wäre-wenn-Szenarien zu entwerfen“, erläutert Kylberg. „Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie wir durch Design etwas verändern können. Wie tragen wir etwas Neues bei? Vor allem: Können wir etwas verbessern? Erst dann kommt die Idee. Beim Design, wenn man professionell arbeitet, kommt die Form immer zuletzt.“ Bernadotte fügt hinzu, dass man bei dem Prozess, den einzelnen Etappen, nicht schummeln dürfe: „Man darf nicht vorpreschen. Man kann aber jederzeit zurückgehen.“

Zeigen sich denn persönliche Stärken und Schwächen bei ihrer Arbeit? „Du bist sehr detailorientiert“, sagt Kylberg nach längerer Pause. „Und da bist du auch gut drin. Wenn wir uns zwischen neun verschiedenen Blautönen entscheiden müssen, dann nimmst du dir die Zeit und schaust sie dir bei unterschiedlichem Tages- und Abendlicht an, sehr akribisch, sehr genau. Ich hingegen bin konzeptionell schneller.“

Auch für sie war nach ihrer Studiogründung im Jahr 2012 aller Anfang schwer. Ihre erste gemeinsame Arbeit war Svenska Djur (Schwedische Tiere) für die Gustavsbergs Porslinsfabrik in Stockholm, Schalen, an denen Hasen, Maulwürfe, Stockenten und Rotfüchse als Motive zu sehen sind. Nicht gemalt – Köpfe und Pfoten sind Teil des weißen Porzellans.








Danach bekamen sie den Auftrag, Daunenjacken zu entwerfen. Ove Sundberg von der Firma A-One suchte den Kontakt. Das Stockholmer Unternehmen, das seit 1977 zu einem der größten Sportbekleidungshersteller im Norden wurde, verbindet eine besondere Geschichte mit dem Haus Bernadotte: Bei den Olympischen Spielen in Lake Placid trug die schwedische Mannschaft Jacken von A-One, auch König und Königin erschienen 1980 erstmals in der knallgelben Daune. Bernadotte & Kylberg entwickelten Jacken und Mäntel, die nicht nur für die Skipiste, sondern auch für die Straße gedacht sind.

Dann waren es schon wieder Schalen und Vasen. Dieses Mal für Stelton, eine dänische Marke. Bernadotte und Kylberg ließen sich dabei von der Natur ihrer Heimat inspirieren. In Stockholm Aquatic spiegeln sich die schwedischen Schären wider. Auf den Behältnissen, die aus Aluminium und Emaille bestehen, verschwimmen blaue Muster wie Tusche auf zu feuchtem Papier. „Wir beide wuchsen am Wasser auf“, sagt Bernadotte. „Wir lieben das Meer und Wassersportarten.“ Da zudem Stockholm, wo sie leben, und Kopenhagen, wo Stelton seinen Unternehmenssitz hat, am Meer liegen und Schweden und Dänemark zudem durch Wasser getrennt sind, sei Wasser für sie auch ein verbindendes Element. „Uns begeistert, dass das Meer nie gleich aussieht, es wandelt sich ständig.“ Genau das wollten die beiden in die Emaille ihrer Kollektion übertragen. So ist jedes Stück ein Unikat, jedes Stück wird von Hand gefertigt.

Einer der nächsten Kunden kam aus Deutschland. Sie trafen ihn 2015 auf der Messe Ambiente in Frankfurt, zufällig. Dort waren sie eigentlich für Stelton, aber nach zwei Stunden auf dem Stand brauchten sie eine Pause, wie Bernadotte erzählt. „Wir gingen zu einem anderen Stand, auf dem es wunderschöne Gläser gab. Wir blieben eine Weile und unterhielten uns mit einem Mann, und als wir schon wieder weitergegangen waren, kam er hinter uns hergerannt und sprach uns an.“ So begann ihre Zusammenarbeit mit Zwiesel Glas mit Sitz im niederbayerischen Zwiesel. Eine Karaffe und Weingläser sollten es sein. Ein Himmelfahrtskommando, wie Kylberg sagt. „Denn das Weinglas hat sich seit der Zeit Jesu eigentlich nicht verändert.“ Sie aber wollten etwas Praktisches und Neues einbringen, zum Beispiel eine Funktion. Nur damit lasse sich die Arbeit an noch einem Weinglas oder noch einem Stuhl rechtfertigen. „Wir fragten uns, was es braucht, um Wein besser zu machen? Die Lösung: Luft.“ Sie verpassten den Gläsern eine Kugel am Glasboden, über die der Wein fließt und sich verteilt. „Die Kugel stört die Bewegung“, sagt Kylberg, „der Wein wird dekantiert.“








Die Gläser wurden von einem Experten am Deutschen Weininstitut getestet und für sehr gut befunden. „Vinum – Das Magazin für Weinkultur“ kürte die Gläser mit dem Namen Air Sense gleich in vier von sieben Kategorien zum besten Weinglas und darüber hinaus sogar noch zum besten Allround-Rotweinglas.

Danach entwarfen die beiden eine Vielzahl von Produkten: darunter immer wieder Kerzenständer und kleine Gefäße für Teelichter. Tulip etwa erinnert an eine kleine Tulpe, die sich öffnet. Aus Messing, für Teelichter und niedrige und hohe Kerzenhalter. „Ein Journalist“, erzählt Kylberg, „hat einmal zu mir gesagt: ,Stühle sind wohl das Schwierigste, was man als Designer machen kann.‘ Ich habe daraufhin zu ihm gesagt: ,Versuchen Sie doch einmal, einen Kerzenhalter zu entwerfen, den Sie noch nie gesehen haben.‘ Alles hat seine eigenen Herausforderungen, man kann es nicht wirklich vergleichen.“

Stühle können sie auch: etwa die Kollektion Vior, benannt nach dem altnordischen Wort für Holz. „Sie umfasst einen Esstisch, Stühle und ein Küchensofa“, sagt Bernadotte. „Historisch war das Küchensofa ein fester Bestandteil skandinavischer Häuser, heute ist es eher eine Seltenheit. Darum wollten wir es in die Kollektion aufnehmen.“ Nachdem sie schon 2020 das Label NJRD, ausgesprochen Njord, zusammen mit Nordic Nest gegründet hatten (Nordic Nest hat gerade ein Geschäft in Hamburg am Neuen Wall eröffnet), kam vor zwei Jahren ihre eigene Marke Bernadotte & Kylberg hinzu. Mit einer Textilkollektion aus Schals und Decken (Signature), danach Möbeln, die für das Hotel Eriksberg im Südosten Schwedens entstanden sind, sowie ganz neu auch dem Kerzenhalter Tulip.



„Wir machen kein japanisches Design. Oder norwegisches Design oder spanisches, wir machen schwedisches Design. Weil wir Schweden sind.“

OSCAR KYLBERG



Eines ihrer Projekte liegt ihnen besonders am Herzen: das Icehotel in Jukkasjärvi. „Als wir den Anruf mit der Einladung bekamen, sagten wir sofort zu“, erzählt Carl Philip Bernadotte. „Doch dann schauten wir uns an und dachten, was machen wir bloß.“ Kylberg lacht: „Was machen wir bloß!?“ Das Icehotel entsteht jedes Jahr aufs Neue, rund 200 Kilometer nördlich des Polarkreises. Dafür werden zu Beginn des Winters Eisblöcke aus dem Fluss Torne gesägt und zu einem Hotel geformt. Das Eis schmilzt im Frühjahr wieder, fließt zurück in den Fluss, und vom Hotel bleibt nichts übrig.





Bernadotte & Kylberg griffen 2021 für ihre Hotelsuite dort eine weitere schwedische Tradition auf: In der Nacht vor Mittsommer, sozusagen dem Nationalfeiertag Schwedens, pflücken unverheiratete Mädchen sieben Sorten wilder Blumen von sieben verschiedenen Wiesen, die sie unter ihr Kopfkissen legen. Der Legende nach träumen sie dann von dem, den sie einmal heiraten werden. Sie müssen beim Pflücken still sein, und am nächsten Tag dürfen sie niemandem erzählen, von wem sie geträumt haben, sonst geht der Traum nicht in Erfüllung. Genau diese sieben Blumen packten Bernadotte & Kylberg ins Eis des Hotels.

Die beiden lieben es praktisch, was für sie gleichbedeutend mit minimalistisch ist. Das wiederum scheint skandinavisch zu sein. Oder? „Ich weiß nicht, wie oft wir schon gefragt wurden: ,Was ist skandinavisches Design?’“, sagt Kylberg. „Für uns ist es das, was wir tun. Wir machen kein japanisches Design. Oder norwegisches Design oder spanisches, wir machen schwedisches Design. Weil wir Schweden sind.“