NFL in Berlin: So lief das Spiel der Colts gegen die Falcons – Sport

Die gute Nachricht konnte bereits vermeldet werden, noch bevor das Spiel überhaupt begonnen hatte: Erstmals seit fast zweieinhalb Jahren kam im Berliner Olympiastadion wieder Erstliga-Sport zur Aufführung – vor restlos ausverkauftem Haus und bei bester Stimmung. Die Sache hatte allerdings gleich zwei kleinere Haken: Der eigentliche Hausherr Hertha BSC war nicht zugegen an diesem Sonntagnachmittag, der vermeintliche Big-City-Club fristet bekanntlich seit Längerem ein eher trauriges Dasein im Niemandsland der zweiten Fußballbundesliga. Und: Es war nicht die hiesige Fußballvariante, die die 72 000 Zuschauer in Wallung versetzte, sondern die nordamerikanische, bei der sich 22 behelmte Akteure wie Bulldozer durch die Arena pflügen und versuchen, ein eiförmiges Spielgerät in die gegnerische Endzone zu tragen.

Die National Football League (NFL) in Berlin also: Mit dem Ligaspiel der Indianapolis Colts gegen die Atlanta Falcons setzte die US-Profiliga ihren Expansionskurs nach Europa und Südamerika fort, der sie weltweit noch bekannter machen und ihren bescheidenen Reichtum weiter mehren soll. Schon jetzt erwirtschaften die 32 Teams einen Gesamtumsatz von umgerechnet rund 20 Milliarden Euro pro Jahr, bald sollen es 25 Milliarden sein. Außer in der deutschen Hauptstadt war die Liga dieses Jahr auch in London, Dublin und São Paulo zu Gast, nächste Woche treffen im Madrider Bernabéu-Stadion die Washington Commanders auf die Miami Dolphins.

Die Rollen für das Spiel in Berlin schienen eigentlich klar verteilt zu sein: hier die klar favorisierten Colts, divisionsübergreifend derzeit die Nummer zwei der Liga, dort die Falcons, die seit Wochen im unteren Tabellendrittel herumdümpeln. Was sich jedoch entwickelte, war ein rasantes Hin und Her, ein Mix aus grandiosen Spielzügen und grotesken Fehlern auf beiden Seiten. Matchwinner beim überaus hart erkämpften Erfolg seines Teams war am Ende Colts-Running-Back Jonathan Taylor, dem drei Touchdowns gelangen, darunter der zum Sieg in der Verlängerung. Endstand: 31:25.

Running back Jonathan Taylor (Mitte) beim entscheidenden Touchdown.
Running back Jonathan Taylor (Mitte) beim entscheidenden Touchdown. (Foto: Kirby Lee/Imagn/Reuters)

Symptomatisch für das ständige Auf und Ab war die Leistung von Colts-Quarterback Daniel Jones, dem einerseits eine ganze Reihe von klugen Läufen und ein grandioser 35-Meter-Pass auf Wide Receiver Alec Pierce zum zweiten Touchdown gelangen. Zugleich jedoch wurde er auch sieben Mal von der Falcons-Verteidigung gesackt, also zu Boden gerissen, bevor er abspielen konnte. Doch am Ende war es der 28-Jährige, der mit blutenden Lippen und schmerzverzerrtem Gesicht sein Team mit einem beherzten Lauf und einem klugen Pass in die Verlängerung rettete.

Katarina Witt übernahm den Münzwurf – und wurde anders als 1990 dabei nicht ausgepfiffen

Mit einem Auftritt, der Mut erforderte, hatte das Spiel schon begonnen. Katarina Witt, Doppel-Olympiasiegerin und Eislaufstar der untergegangenen DDR, übernahm den Münzwurf zu Beginn der Partie, der darüber entscheidet, welches Team den ersten Angriff starten darf. Witt war diese Ehre schon einmal zuteilgeworden, als die NFL im August 1990 erstmals ein Spiel in Berlin ausgetragen hatte, wenn auch nur im Rahmen der Saisonvorbereitung. Witt war damals ausgepfiffen worden, weil das Publikum im tiefen Westen der Stadt sie für eine frühere SED-Sympathisantin hielt. Diesmal ging die Sache sehr viel freundlicher aus für die heute 59-Jährige, was auch daran liegen mochte, dass viele der eher jungen Zuschauer mit dem Namen Witt vielleicht nicht mehr allzu viel anzufangen wussten. Vielleicht auch nicht mit der SED.

Interview am Rande des Spiels: Die ehemalige Eiskunstläuferin Katarina Witt durfte – wie schon 1990 – den Münzwurf ausführen.
Interview am Rande des Spiels: Die ehemalige Eiskunstläuferin Katarina Witt durfte – wie schon 1990 – den Münzwurf ausführen. (Foto: Jenni Maul/Eibner/Imago)

Überhaupt, die Fans: Wer erwartet hatte, dass sich vor allem Champagner- und Eventpublikum zu dem Ereignis einfinden würde, der sah sich getäuscht. Viele Zuschauer trugen Trikots statt Balenciaga, wobei nicht nur die Farben der Colts und der Falcons vertreten waren, sondern auch die fast aller anderen 30 NFL-Teams, von den Steelers und den Packers über die 49ers und die Rams bis zu den Patriots und den Chiefs. Mehr noch: Das Publikum erwies sich als ausgesprochen sachkundig, sangesfreudig und lautstark – lauter jedenfalls als die Fans in manchem US-Stadion, die auch während des Spiels gerne Burger, Pommes und XXL-Cola-Nachschub holen gehen. Die Colts, die in Berlin offiziell die Gastgeber waren, konnten jedenfalls nicht klagen, dass ihnen durch die Reise nach Übersee ein Heimvorteil genommen worden sei, zumal es das Gros der Zuschauer offenkundig mit dem Team aus Indiana hielt.

Nicht nur die Colts, auch die NFL-Verantwortlichen dürften Lust haben wiederzukommen nach diesem kalten Sonntagnachmittag in Berlin. Zwei weitere Spiele für die Jahre 2027 und 2029 sind bereits anberaumt. Und auch Hertha BSC kann sich freuen: Nicht nur, dass nach dem Football-Spiel der Rasen im Olympiastadion neu verlegt wird, vielmehr wurden für den NFL-Besuch die Duschen erneuert und einige Türen im Kabinentrakt auf satte 1,26 Meter verbreitert. Denn auch wenn mancher Fußball-Purist in Deutschland immer noch geringschätzig auf das Schiebe-, Lauf- und Wurf-Spektakel aus dem Football-Land USA herabschaut: Die breiteren Kreuze haben definitiv die Amerikaner.