Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen: Sie sind noch nicht mal im Beruf und schon erschöpft

Wenn eine Therapeutin oder ein Therapeut eine neue
Praxis im Emsland eröffnet, steht Volker Inholte mit seinen Kollegen immer als
Erstes vor der Tür. Inholte ist Jugendberufsberater. Eigentlich ist seine
Aufgabe, junge Menschen in Jobs oder Ausbildungsplätze zu vermitteln. Doch seit
einiger Zeit muss er statt beruflicher Beratung zunehmend auch psychologische Begleitung leisten. „Wir haben immer mehr Jugendliche mit psychischen Problemen
bei uns“, sagt Inholte. Nur reine Vermittlung in Ausbildung oder Arbeitsplätze
funktioniert meist nicht.

Viele junge Menschen leiden unter sozialen Ängsten und
können deshalb nicht ins Berufsleben starten, sagt Inholte. „Wir haben fast
keinen Jugendlichen, der allein telefonieren kann, der allein auf Menschen
zugehen kann.“ Testanrufe mit Kollegen, um ein Telefonat zu üben, seien
inzwischen normal. „Wie sollen diese jungen Menschen an Ladentheken stehen, wenn sie
nicht mal irgendwo anrufen können?“

Eigentlich sollten junge Menschen, gerade die, die in
Ausbildungsberufe gehen wollen, sehr gefragt sein. „Die Betriebe brauchen
dringend Nachwuchs“, sagt Inholte. Viele Ausbildungsbetriebe im Emsland überbieten
sich im Wettstreit um die Schulabgängerinnen und -abgänger. Da gibt es zum
Ausbildungsvertrag schon mal das Netflix-Abo dazu oder einen vom Betrieb
bezahlten Mopedführerschein. Und trotzdem kann Inholte immer weniger
Jugendliche und junge Erwachsene in Arbeit oder Ausbildung vermitteln.

Die Jugend hat sich noch nicht von der Corona-Pandemie
erholt. Das belegen zahlreiche Studien wie die Shell-Jugendstudie, die COPSY-Studie
oder der DAK-Kinder- und
Jugendreport
. Die
junge Generation steht wie kaum eine andere unter Druck. Krieg in Europa und im
Nahen Osten, die drohende Aufrüstung und der Militärdienst, den nun auch junge
Menschen wieder leisten sollen. Dann kommt noch die Klimakrise hinzu. Nicht zu
vergessen sind die Auswirkungen von sozialen Medien und Handynutzung auf die
psychische Gesundheit junger Menschen. Die junge Generation ist erschöpft,
schon bevor sie den Arbeitsmarkt erreicht. Und das könnte teuer werden.

Psychische Erkrankungen verursachen schon jetzt enorme
volkswirtschaftliche Kosten: 2020 beliefen sich die direkten Ausgaben im
deutschen Gesundheitswesen laut der Nationalen Akademie der Wissenschaften
Leopoldina auf 56,4 Milliarden
. Rechnet man weitere Belastungen durch
Produktivitätsausfälle, Sozialleistungen oder zusätzliche medizinische
Versorgung hinzu, summierten sich die Gesamtkosten im Jahr 2015 auf rund 147
Milliarden Euro – das entspricht etwa 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Und die Kosten werden nur noch steigen: Schätzungen zufolge könnten allein die
pandemiebedingten psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen in
Zukunft jährlich bis zu 328 Millionen Euro an Zusatzkosten verursachen.

Volker Inholte arbeitet seit zehn Jahren bei der
Jugendberufsagentur im Kreis Emsland. Meistens kommen die Jugendlichen zu ihm und
seinen Kolleginnen und Kollegen, wenn sie einen erhöhten Unterstützungsbedarf haben. Allerdings stehen die Berufsberater im engen
Kontakt mit Schulen im Landkreis. Rund 500 feste Kundinnen und Kunden
werden pro Jahr von der Jugendberufsagentur im Emsland betreut. Inholte weiß
also, was die jungen Menschen gerade beschäftigt. 

Die jüngeren, sagt Inholte, hielten schlechter als die älteren
Generationen unbequeme Situationen aus. Rund 20 Prozent der
Ausbildungsverträge würden schon nach einem Jahr wieder gebrochen. „Unsere
jungen Menschen müssen erst mal lernen, Sachen auszuhalten und auch mal
Tätigkeiten zu machen, die gerade keinen Spaß machen“, sagt Inholte. Sind die
Jungen also faul oder gar verwöhnt?

Faule Generation-Z?

Wenn man Quentin Gärtner danach fragt, wird er
geradezu wütend. „Wir haben ein ernst zu
nehmendes Problem“, sagt der 18-Jährige. Gärtner ist in den letzten Monaten so
etwas wie der Sprecher der jungen Generation geworden, zumindest in den Medien.
Denn der 18-Jährige ist Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz und vertritt
in diesem Amt die Interessen der jungen Generation. Gärtner hat selbst in
diesem Jahr Abitur gemacht, sein Mandat für die Schülerkonferenz endet bald.
Trotzdem hängt er sich rein, die Lobbystimme seiner Generation zu sein. „Es
belastet unsere Volkswirtschaft, wenn viele junge Menschen, von denen es sowieso
nicht mehr so viele gibt, nicht resilient auf den Arbeitsmarkt kommen.“
Oder gar nicht auf den Arbeitsmarkt kommen. 

„Es reicht offenbar nicht, einfach nur nach Hilfe zu
rufen“, sagt Gärtner. „Wir müssen zeigen, dass es sich hier um ein
gesamtgesellschaftliches Problem handelt.“ Deshalb sind Gärtner und die
Bundesschülerkonferenz zum Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)
gegangen.

„Die haben uns gefragt, ob wir ihnen helfen können,
dieses Thema nach vorne zu bringen“, sagt Christina Anger, Leiterin der
Forschungsgruppe Mikrodaten beim IW. Also hat sie einen Report zur ökonomischen
Bedeutung von psychischer Gesundheit von Schülerinnen und Schülern
zusammengestellt. Der Direktor des IW, Michael Hüther, hat das Thema zur
Chefsache gemacht und vergangene Woche gemeinsam mit der Bundesschülerkonferenz
die Studie vorgestellt.