

Es ist ein weiterer außenpolitischer Erfolg für Ahmed al-Scharaa: Als erster Präsident seit der Unabhängigkeit Syriens 1946 ist er zu einem Staatsbesuch nach Washington eingeladen worden. Der syrische Außenminister Asaad al-Schaibani sprach von einem „historischen Besuch“. Der amerikanische Präsident Donald Trump und seine Mannschaft haben der neuen Führung in Damaskus einige Rückendeckung gegeben – der Vergangenheit des neuen syrischen Machthabers zum Trotz.
Scharaa ist ein früherer Dschihadistenführer. Er saß im „Camp Bucca“ ein, einem Gefangenenlager, in dem während der amerikanischen Besatzung des Iraks gefährliche Islamisten gefangen gehalten wurden. Seine Islamistenallianz „Hayat Tahrir al-Scham“, unter deren Führung das Assad-Regime gestürzt wurde, ist aus einem syrischen Al-Qaida-Ableger hervorgegangen. Scharaa hat 2016 mit der Terrororganisation gebrochen. Jetzt wird er an diesem Montag im Weißen Haus erwartet.
Die Trump-Regierung hat nach einigem Zögern darauf gesetzt, dem neuen Machthaber in Damaskus eine Chance zu geben. Sie treibt die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien voran, die eine wirtschaftliche Erholung des von 13 Jahren Krieg ausgezehrten Landes behindern. Einen Teil hat der amerikanische Präsident schon per Erlass außer Kraft gesetzt. Seine Regierung macht sich auch dafür stark, dass der Kongress ein hartes Paket von Strafmaßnahmen aufhebt, die 2019 unter dem Namen „Caesar Act“ gegen das gestürzte Assad-Regime verabschiedet wurden. Am Donnerstag wurden Scharaa und sein Innenminister Anas Khattab von der Terrorliste des UN-Sicherheitsrats gestrichen. Washington hatte einen entsprechenden Entwurf eingebracht.
Trump: „Ich finde, er macht seine Sache sehr gut“
„Ich finde, er macht seine Sache sehr gut“, sagte Trump vergangenen Donnerstag über Scharaa. „Es ist eine schwierige Region, und er ist ein harter Kerl, aber ich habe mich sehr gut mit ihm verstanden. Und in Syrien wurden große Fortschritte erzielt.“ Schon im Mai hatte Trump während einer Begegnung in der saudischen Hauptstadt Riad Scharaas Hand geschüttelt, ihn als „jungen, attraktiven, harten Kerl“ und „echten Anführer“ bezeichnet. Tom Barrack, der für Syrien zuständige amerikanische Sondergesandte und ein enger Vertrauter des amerikanischen Präsidenten, ist ebenso voll des Lobes für Scharaas Pragmatismus und „verantwortungsvolles“ Verhalten.
„Trump hat uns viel Zeit und Ressourcen gespart“, sagt Najib Ghadbian, ein Berater im syrischen Außenministerium. Er spricht von einem „Aufbruch“ in der Außenpolitik seines Landes. Diese bringt Syrien immer näher an den Westen heran, vor allem an Washington. Sie markiert einen radikalen Bruch mit dem Kurs des alten Regimes, das ein Verbündeter Irans war. Davon profitiert auch der engste Verbündete der Vereinigten Staaten in der Region: Israel.
Trumps Sondergesandter Barrack erklärte unlängst am Rande des IISS Manama Dialogue, einer großen regionalen Sicherheitskonferenz, vor einer Gruppe Journalisten, Syrien sei nah daran, ein Sicherheitsabkommen mit Israel zu unterzeichnen. Er äußerte auch Anerkennung dafür, dass hohe Regierungsmitglieder sich nach jahrzehntelanger Erzfeindschaft mit israelischen Vertretern treffen. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, der sich auf westliche und syrische Regierungsquellen beruft, bereiten sich die Vereinigten Staaten im Zuge dieses Abkommens darauf vor, eine militärische Präsenz auf einem Luftwaffenstützpunkt in Damaskus aufzubauen.
Die neue, von Islamisten dominierte Führung in Damaskus engagiert sich auch im Sinne Washingtons in der Bekämpfung des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS). Scharaa soll in Washington der internationalen Anti-IS-Koalition beitreten. Schon seit Längerem arbeitet der syrische Sicherheitsapparat im Zuge von Anti-IS-Operationen mit Amerika und der Türkei zusammen. Am Samstag meldete das Innenministerium 61 präemptive Einsätze gegen IS-Zellen im ganzen Land und 71 Festnahmen.
Annäherung zwischen Syrien und Saudi-Arabien
Saudi-Arabien, der wichtigste arabische Alliierte der Amerikaner, ist über die außenpolitische Neuorientierung unter Scharaa erfreut. Denn die führt Syrien aus dem iranischen Orbit wieder in den Schoß der arabischen Staaten. Riad will einen verlässlichen Partner in Damaskus und stößt dort auch auf Respekt. Der faktische saudische Herrscher, Kronprinz Muhammad Bin Salman, hatte sich in Washington für den syrischen Machthaber starkgemacht. Aus der syrischen Regierung heißt es, Scharaa sei „beeindruckt“ von der Vision des saudischen Thronfolgers, der das einst erzkonservative Land modernisiert und die Gesellschaft öffnet, um eine zukunftsfähige und auf Hightech setzende Volkswirtschaft zu errichten.
Als der syrische Präsident Ende Oktober auf einer großen Konferenz in Riad auftrat und um Investitionen in sein Land warb, saß Muhammad Bin Salman lächelnd im Publikum. In der saudischen Hauptstadt herrscht unter regierungsnahen Beobachtern Vertrauen in die Läuterung des einstigen Dschihadistenführers. Und es wird eine Parallele gezogen: Wie frühere saudische Herrscher habe Scharaa radikalen Islamismus für politische Zwecke genutzt – und müsse jetzt die dschihadistischen Geister, die er selbst gerufen habe, wieder austreiben.
In einer anderen Frage wird Saudi-Arabien von syrischen Regierungsvertretern als Vorbild beschrieben: wenn es darum geht, strategische Beziehungen zu Washington zu unterhalten und zugleich funktionierende Beziehungen zu Russland. Das ist im syrischen Fall ein noch stärkerer Ausdruck von Pragmatismus, denn Moskau stand an der Seite Assads. Russische Bomber griffen nicht nur auf den Schlachtfeldern an, sondern attackierten auch Krankenhäuser und Wohnviertel in den Rebellengebieten.
Assad hat sich in die russische Hauptstadt geflüchtet, und in Damaskus wird nicht erwartet, dass es zu einer Auslieferung kommt, damit dem gestürzten Gewaltherrscher der Prozess gemacht werden kann. „Russland ist ein wichtiges Land, das man nicht ignorieren kann“, sagt der Berater Najib Ghadbian. „Aber niemand wird vergessen, welche Rolle Russland gespielt hat.“ Und die Vertreter Moskaus seien einfach nicht in der Lage, sich zu entschuldigen.
Funktionierende Beziehungen zu Moskau dürfte der syrische Präsident in der Heimat schwieriger vertreten können als vor seinem Gastgeber im Weißen Haus. Trump hat wenig Berührungsängste mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin. Auch dieser Umstand wird in Damaskus als Chance gesehen.
