
In der Reihe „Die Pflichtverteidigung“ ergreifen wir das Wort für Personen, Tiere, Dinge oder Gewohnheiten, die mehrheitlich kritisiert und abgelehnt werden. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 45/2025.
Es ist November. Noch keine Vorfreude auf Heiligabend. Kein Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, an einem Feierabend, an dem man danach verlangt, dass es früh dunkel wird. Das Herbstgefühl, bei dem man sich freut, dass man endlich wieder Mäntel tragen kann, ist vorbei. Und eigentlich ist es einfach nur dunkel. Und das zu früh.
Ich bin bei Instagram. Vor ein paar Tagen habe ich noch gedacht, dass mich das zunehmend langweilt. Die schönsten Strände, fancy Essen, diese nervigen Entweder-oder-Spiele. Irgendwie so, als gäbe es nichts Neues mehr auf dieser Welt.
Dann hab ich es gesehen. War auch nicht zu übersehen. Zum Glück.
Marketing ist King, und der DFB weiß seit ein paar Jahren, wie Marketing geht. Finde ich jedenfalls. Das neue Trikot der Deutschen Nationalmannschaft also für die WM 2026 in den USA, Mexiko und Kanada. Dachte erst, das sei so ein limitiertes Retrotrikot, und war glücklich, dass wir mit dem Ding zur WM fahren. Deutschland zeigt sich von seiner besten Seite. Und dann mitten in diesem November, wo alles nur öde und gleich ist … ein neues Gefühl.
Das erste Mal, seit ich mich erinnern kann, steht ein Trikot für Aufbruch. Ich will’s jetzt nicht doller machen, als es ist. Ist am Ende auch nur ein Trikot. Aber mit dem sah ich uns direkt im Sommer bei den wichtigen Spielen. Bei denen, wo es kribbelt, wo man Vorberichte guckt. Bei denen, wo nicht mehr viele Mannschaften im Wettbewerb sind. Ein ganz anderes Gefühl. Durch ein Foto von einem Trikot. Verrückt, dass das möglich ist.
Bin natürlich direkt auf die Homepage des DFB, zum Fanshop. Liebe die Funktion des Individualisierens: Kramer, Rückennummer 23. Das Trikot. Richtig geil. Aber kann man ja nicht so gut anziehen. Käme viel zu selbstverliebt. Deswegen habe ich Kimmich, Rückennummer 6, genommen. Auch echt geil. Und trotzdem noch ein Individualisiertes mit Mertesacker, Rückennummer 17. Vielleicht sieht der das ja anders mit dem selbstverliebt. Außerdem schenke ich dem immer gerne was.
Was die Spieler denken, dachte ich mir noch … Das Gleiche wie alle. Nur, dass sie es auch noch tragen dürfen. Nicht vor dem Fernseher, sondern im Fernseher.
Das Ding erinnert an einen Mix aus 1990 und 2014. Haben schon alle gesagt, aber ich dachte, ich erwähne es auch nochmal. Ist jedenfalls ein gutes Omen. Auch wenn wiederum der DFB gesagt hat, das Zickzack verweise auf das Nationaltrikot 1994, als zum ersten Mal eine Fußballweltmeisterschaft der Männer in den USA stattfand. Dort aber bald ohne Deutschland. Kein so gutes Omen.
Es gibt Trikots, die trägst du als Spieler lieber. Damit fühlst du dich cooler, auf eine eigene Art schöner, keine Ahnung, wie ichs genau erklären soll. Aber sowas wie „Kleider machen Leute“ gibt es als Fußballer tatsächlich auch. Die deutschen Nationalspieler werden das neue mit besonderem Stolz bei der WM 2026 tragen. Das liegt allerdings nicht am Trikot. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl zu wissen, dass eine ganze Nation dir zuguckt; dass du mit deiner Leistung für den Sommer des Lebens eines ganzen Landes sorgen kannst. Ja, es soll auch die geben, die keinen Fußball gucken. Ich kenne nur keinen. Ich würde viel bis alles dafür geben, in diesem Trikot zu spielen. Und freue mich für die, die es tun werden.
Fußball fällt nicht immer leicht. Mit dem Trikot – ohne es überzubewerten – fällt es leichter. Am Ende ist es nur ein Trikot. Aber ein schönes. Vielleicht das schönste, und es macht Lust auf Sommer. Ein Aufbruch, mitten im November.
