Rangierbahnhof Hamm: Hamburger Hafengesellschaft steigt in Projekt ein

Ein moderner Knotenpunkt für den Schienengüterverkehr soll in Hamm entstehen, auf den Brachflächen des ehemals größten Rangierbahnhofs Europas. Und zwar jetzt wirklich. Das Projekt „Multi Hub Westfalen“ gibt es auf dem Papier nämlich schon seit Oktober 2021. Straße, Schiene und Wasserstraßen sollen dabei miteinander verknüpft werden am günstigen Verkehrsknotenpunkt Hamm.

Die Stadt, das Landesverkehrsministerium und die Gütertochtergesellschaft der Deutschen Bahn, DB Cargo , haben vor vier Jahren eine Absichtserklärung für den Bau des geplanten Güterverkehrszentrums unterzeichnet. Nur ist DB Cargo seit Jahren in angeschlagener Verfassung und darf auch in Hamm überhaupt nicht investieren, solange die Defizite nicht ausgeglichen sind.

Deshalb hat die Stadt eine neue Gesellschafterin für ihre „Entwicklungsagentur für nachhaltigen Güterverkehr“, kurz EANG, gefunden. Metrans, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), will von der DB Cargo deren Anteil von 27 Prozent übernehmen, und am Multi Hub Westfalen ein eigenes Terminal aufbauen und betreiben. „Der Standort bietet großes Potential als zen­trale Drehscheibe entlang der Nord-Süd- und West-Ost-Achsen in Europa“, sagte Peter Kiss, der Vorstandsvorsitzende von Metrans am Montag. „So können wir die Anbindung dieser Region an die größten europäischen Seehäfen und Wirtschaftszentren stärken.“

Was steckt hinter der Metrans?

Die Bahngesellschaft Metrans hat Anfang der Neunzigerjahre angefangen mit einer Containerverbindung zwischen Prag und Hamburg und inzwischen ein europaweites Netz mit 20 eigenen Terminals aufgebaut. Bislang hat das Unternehmen allerdings einen stärkeren Fokus auf Osteuropa und Südosteuropa, mit Präsenzen in Tschechien, Polen, der Slowakei, Rumänien und der Türkei. Heute gehen Routen von Hamburg, Wilhelmshaven und Bremerhaven über Leipzig und Prag weiter in den Osten. Die großen Häfen Antwerpen und Rotterdam sind über Duisburg angebunden. Hamm als Knotenpunkt und Drehkreuz könnte die Verbindung in den Westen verstärken.

Die Beteiligung an der Entwicklungsgesellschaft ist nur ein erster Schritt für den geplanten Ausbau. Das Gelände gehört noch der Bahntochtergesellschaft DB Infrago. Der Staatskonzern will dem Ausbauprojekt aber nicht im Weg stehen. „Der Austritt der DB Cargo AG ist ein Schritt im Sinne der Fortführung des Projekts“, teilte DB Cargo am Montag auf Anfrage mit. „Um die Ziele der Entwicklungsagentur nicht zu gefährden, erfolgt der Gesellschafterwechsel in partnerschaftlicher Abstimmung.“

Mehrheitseigner der Entwicklungsagentur mit 51 Prozent ist die städtische Wirtschaftsagentur Impuls. Über die zu den Stadtwerken gehörende Hafengesellschaft hält die Stadt indirekt weitere 14 Prozent. Auch die Deutsche Gesellschaft für kombinierten Güterverkehr und ein Logistikunternehmen, das ein Terminal am Hafen betreibt, gehören mit kleinen Anteilen zu den Gesellschaftern.

„Ein Gewinn für die gesamte Region“

Über den Übertrag der 27 Prozent von DB Cargo an Metrans muss der Rat der Stadt in seiner Sitzung am 3. November abstimmen. Am Montag ist die Einladung an die Ratsmitglieder versandt worden. Die Zustimmung für das Projekt gilt als ausgemachte Sache, nach der Kommunalwahl regiert ein „Ampel- plus“-Bündnis aus SPD, Grünen, FDP und Volt unter der Führung des wiedergewählten Oberbürgermeisters Marc Herter. Der SPD-Mann ist froh über den Gesellschafterwechsel: Die HHLA und Metrans hätten europaweit bewiesen, dass sie nachhaltige Logistik und Schiene beherrschten. „Das Engagement in Hamm ist ein Gewinn für die gesamte Region“, sagte Herter am Montag.

Für die Stadt ist nicht nur wichtig, dass das Projekt wieder an Fahrt gewinnt, sondern auch, dass es eingebettet ist in eine Infrastrukturplanung rund um das Bahngelände. Eher zähneknirschend haben die Grünen zugestimmt, dass neue Straßenprojekte gebaut werden. Das mag zunächst widersinnig klingen, wenn man Güter von der Straße auf die Schiene bringen will, doch braucht es für den Anschluss eines neuen Terminals eben auch Straßenverbindungen dorthin. Und eine abgestimmte Planung, damit sich nicht plötzlich die Laster mit Containern stauen. So etwas führt zu Unmut in der Bevölkerung und dann verliert ein Projekt, was die Wertschöpfung erhöhen soll, schnell an Rückhalt.

Damit das Bahnareal in Hamm nicht an der Akzeptanz scheitert, soll die Entwicklungsagentur alles koordinieren. Im Beirat sollen das Land NRW genauso wie die Bahninfrastrukturgesellschaft und die öffentlichen Träger wie etwa das Baudezernat beteiligt werden. Ausgestattet ist die Entwicklungsagentur mit einer Landesförderung in Höhe von 6,3 Millionen Euro.

Hamm will seinen Standortvorteil besser nutzen

Das Bauprojekt an sich wird freilich deutlich teurer. Vergleichbare Bahnterminals kosten schnell einen dreistelligen Millionenbetrag, hinzu kommen die Investitionen der Stadt für die Infrastruktur. Hamm will seinen Standortvorteil jetzt besser nutzen: Dicht am Kamener Kreuz und umschlungen von den Autobahnen A 1 und A 2 liegt die Stadt am Rand des Ruhrgebiets. Nach Duisburg hat Hamm den zweitgrößten Binnenhafen im Land und in den jüngeren Zeiten der bald 800 Jahre währenden Stadtgeschichte hat auch die Eisenbahn immer eine wichtige Rolle gespielt.

Hamm war angebunden an die zweite Eisenbahnlinie im Land, seit 1847 gibt es hier einen Bahnhof. Besonders für den Güterverkehr wurde die Stadt schnell zu einem Eisenbahnknotenpunkt. 1911 wurde ein neuer Verschiebebahnhof gebaut, der mit den Industrialisierungsschritten wuchs – bis hin zu einem Schienennetz von 325 Kilometern zum zeitweilig größten Rangierbahnhof des Kontinents.

Mit Stahl und Kohle kamen die Röhrenwerke und die Drahtindustrie, die bis heute in Hamm angesiedelt sind. Andere Bereiche wie die Kohle verschwanden im Strukturwandel und auch für den Güterverkehr wurde der Siegeszug des Lkw-Transports auf der Straße zu einem Problem. 1999 wurde der Rangierbahnhof in weiten Teilen stillgelegt und die günstige Position mit Schienenverbindungen in den Achsen Nord-Süd und Ost-West für den Güterverkehr wenig genutzt.

56 Hektar sollen jetzt entwickelt werden mit Schienen auf drei Kilometern, die an der breitesten Stelle auf bis zu 250 Meter nebeneinander liegen. Das entspricht etwa einem Viertel der Fläche des Tiergartens in Berlin oder – im Schienenvergleich – einem Fünftel der Fläche des heute größten Rangierbahnhofs Maschen südlich von Hamburg. Die alte Bahntradition soll nun wieder aufleben. Als Hendrik Wüst noch nicht Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens war, sondern in seiner vorherigen Position als Verkehrsminister 2021 den Projektplan für den Multi Hub Westfalen unterzeichnete, sprach der CDU-Mann von 170.000 Lkw-Fahrten, die auf die Schiene gebracht werden könnten. Zum Ende des Jahrzehnts soll es dann soweit sein.