

Verläuft die wahre Grenze innerhalb der gespaltenen Gesellschaft gar nicht zwischen Oben und Unten, auch nicht zwischen Rechts und Links, Westen und Osten, sondern zwischen Alt und Jung? Leben die fröhlichen Alten immer länger auf Kosten immer weniger Rentenbeitragszahler, denen selbst eine darbende Existenz im Alter vor Augen steht? Sollten die Renten daher sinken? Oder wenigstens langsamer steigen als die Lohnentwicklung? Kann man andererseits von einer Rente von heute nur durchschnittlich rund 1500 Euro – viele Menschen liegen also deutlich darunter – überhaupt in Würde leben?
Das Thema birgt sozialen Sprengstoff, aber es birgt auch die Chance auf eine endlich einmal spannende Talkshow, weil es die gewohnten Oppositionen durcheinanderwirbelt. Und tatsächlich ist genau das passiert in der Sendung „Hart aber fair“ zum Thema „Wird die Rente unbezahlbar?“ Der mit 18 Jahren fast schon erschreckend eloquente Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner, zugleich Mitglied bei den Grünen, argumentierte etwa oft gemeinsam mit dem CDU-Mann Johannes Volkmann, Mitglied jener Jungen Gruppe der Unionsfraktion im Bundestag, die gegen die Rentenpläne von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas Sturm läuft. Die Gegenposition nahm der sechzigjährige SPD-Grande Andreas Bovenschulte ein, Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen, der in wenigen Tagen zudem neuer Bundesratspräsident wird. Nicht einmal Moderator Louis Klamroth gelang es diesmal, alle aufbrandenden Diskussionen mit seinem Standardsatz „Ich verspreche Ihnen, dass wir darauf später noch schauen werden“ abzuwürgen. Kurz: Es lag Spannung in der Luft.
Grundsätzlich aus der Balance geraten
Dabei wurde zu Beginn fast schon reihum beschworen, dass der Generationenkonflikt gar nicht wirklich existiere. Volkmann bezog sich dabei auf Zuspruch von älteren Abgeordneten zu seinen Vorbehalten. Auch die ehemalige Journalistin und FDP-Unterstützerin Patricia Riekel („Bunte“) wollte gern Brücken statt Mauern zwischen Jung und Alt bauen. Gärtner betonte, es sei nicht sein „Anliegen, meinen Großeltern die Butter vom Brot zu nehmen“. Bovenschulte wiederum bestritt die Insinuation, die Bundesregierung mache angesichts von deutlich mehr älteren als jungen Wählern Klientelpolitik für die Alten. Allerdings zog er als Beleg just das Sondervermögen heran, von dem ja auch die Jungen etwas hätten – ohne dazuzusagen, dass sie selbst für diese gesamten Schulden aufkommen müssen.
Es wurde im Ton jedenfalls eingangs beschwichtigt. Genau diese Beschwichtigungen aber sollten hellhörig machen, denn wenn sie nötig werden, dann ist grundsätzlich etwas aus der Balance geraten. Dafür sprach auch die Zahl von 51 Prozent der deutschen Bürger, die sich laut einer von Klamroth zitierten neuen repräsentativen Umfrage große oder sehr große Sorgen über Geldprobleme im Alter machen.
Und tatsächlich machte in Sachen Lastenausgleich niemand über die Rhetorik hinausgehende Zugeständnisse an die Gegenseite. Volkmann, der Enkel Helmut Kohls, argumentierte ein ums andere Mal, dass das Erfüllen der Verpflichtungen aus dem Koalitionsvertrag nicht zur Debatte stehe („Haltelinie“ bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens), aber die Sicherung des höheren Rentenniveaus über 2031 hinaus – Bärbel Bas strebt eine Absicherung bis 2040 an: das Rentenniveau soll bis dahin nicht unter 46 Prozent des Durchschnittslohns sinken – nicht finanzierbar sei. Es müsse ab dem Jahr 2031 in der Rentenformel wieder der Nachhaltigkeitsfaktor greifen, der durch Dämpfung der jährlichen Rentenanpassung dafür sorgt, dass die Rentenversicherung die Herausforderung durch den demografischen Wandel abfedert: Bei weniger Beitragszahlern und mehr Beitragsempfängern fiele die Rentensteigerung geringer aus. Dass er selbst dadurch später einmal weniger Rente erhielte, würde Volkmann in Kauf nehmen.
Umverteilung statt steigender Beiträge
Auch Gärtner kam immer wieder auf sein Hauptargument zurück: Er sei – und zwar übrigens gerne – Teil einer „Gebergeneration“, die unglaublich viele gesellschaftliche Probleme vom Klimawandel bis zum Wirtschaftswachstum im Alleingang zu lösen hätte. Es sei ihm dennoch nur darum zu tun, dass man seiner Generation entgegenkomme, indem etwa die Bildungskatastrophe aufgehalten werde. Außerdem sollten die Belastungen ein noch erträgliches Maß nicht übersteigen. In Sachen Rente etwa sei nicht nur der Lastenausgleich zwischen den Generationen gefragt, sondern mehr noch der innerhalb der Generationen. Das zielte auf Umverteilung der Vermögen etwa durch Erbschaftssteuern.
Andreas Bovenschulte hingegen spielte den Abgebrühten. Die SPD stehe dafür, dass das Rentenniveau bei 48 respektive 46 Prozent stabilisiert werde und die gesellschaftlichen Kosten dafür mobilisiert würden. Er sei übrigens nicht nervös angesichts der angedrohten Blockade durch die Gruppe von 18 jungen Unionsabgeordneten, „weil ich da im Leben nicht dran glaube, dass sie das blockieren“.
Überhaupt schien er die ganze Debatte für viel zu aufgeregt zu halten: Man habe ähnlich apokalyptische Warnungen schon vor zehn oder zwanzig Jahren gehört, aber im Vergleich zur Wirtschaftsleistung sei der Bundeszuschuss zur Rente gar nicht angestiegen. Eine Grafik, die Klamroth einblendete, bezeichnete er als „Propaganda“. Nicht, weil die Zahlen nicht stimmten, sondern weil die Darstellung so aussehe, als sei der Bundeszuschuss im Jahr 2024 mit 116,2 Milliarden Euro eine gewaltige Steigerung zu den Jahren zuvor. Man müsse das natürlich ins Verhältnis setzen: „In den letzten zwanzig Jahren ist der Anteil des Bundeszuschusses am Bundeshaushalt gesunken.“ Ebenso sei es mit dem Anteil an der Wirtschaftsleistung und an den Steuereinnahmen.
Rentenbelastungen durch Babyboomer enorm
Für Bovenschulte ist bei der Rente also alles weitgehend in Ordnung. Die perspektivisch steigenden Bundeszuschüsse aufgrund des demografischen Wandels (bei Zusicherung des höheren Rentenniveaus bis 2040) seien schulterbar „bei dem Reichtum in unserer Gesellschaft“. Es sei doch ganz richtig zuvor gesagt worden, dass mit einer Durchschnittsrente von 1500 Euro kaum eine Existenz in einer Großstadt finanzierbar sei. Da dürfe die Rente nicht noch weiter sinken. Noch einmal: Der Großteil der Wähler gehört zur älteren Generation. 59 Prozent der Wähler bei der Bundestagswahl waren über 50 Jahre alt, 13 Prozent unter 30 Jahre. Jeder vierte Deutsche ist Rentner. Das alles orientiere sich allein an Bedarfsgerechtigkeit, warf Gärtner denn auch ein, überhaupt nicht an Generationengerechtigkeit.
Zum wichtigsten Gegenspieler Bovenschultes wurde aber ausgerechnet der eigentlich der SPD zuneigende Wirtschaftsexperte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), der vorrechnete, dass die Renten in den kommenden Jahren stärker steigen werden als die effektiven Löhne aufgrund der steigenden Beiträge. Die Belastungen durch den Renteneintritt der selbst nachwuchsarmen Babyboomer würden dabei ganz enorm werden. Ein Stück weit steuere Kapitän Bovenschulte mit zugekniffenen Augen auf einen Eisberg zu. Einen Ausgleich wie in den vergangenen Jahrzehnten, als viele Frauen und Zuwanderer in den Arbeitsmarkt einstiegen, gebe es diesmal nämlich nicht. Wenn man dabei die junge Generation und die Arbeitgeber überlaste, gehe letztlich sogar wirtschaftlicher Wohlstand verloren. Die Unternehmen produzierten hier nicht mehr.
Die Sonderstellung der Beamten
Weil die Grundsatzproblematik der Lastenverteilung innerhalb der Gesellschaft eine so gewaltige ist und sich in einer Talkshow allenfalls beschreiben, aber nicht einmal in Ansätzen politisch aushandeln lässt, stürzte man sich beinahe erleichtert auf kleinere Fragen wie die, ob die kürzlich beschlossene „Aktivrente“ – letztlich ein Steuervorteil für partiell weiterarbeitende Rentner – eine merkliche Verbesserung der Situation darstelle. Man schien sich einigermaßen einig darin zu sein, dass die Idee richtig, aber inkonsequent durchgeführt sei, schon allein, weil Selbstständige dabei ausgenommen würden. Wieder nur Stückwerk also, wieder nur halbherzig.
Sehr vorhersehbar waren die Positionen zu der Forderung der beiden Rentnerinnen in der Runde (neben Patricia Riekel noch eine Aufstockerin namens Cordula Kersbaum), Beamte mögen doch wie in Österreich oder in der Schweiz ebenfalls in die Rentenkasse einzahlen. Bovenschulte räumte ein, dass das nicht über Nacht einzuführen sei, perspektivisch aber dennoch richtig, während Volkmann kategorisch widersprach, weil die Pension bei Beamten zum Gesamtvergütungspaket gehöre und das dann komplett aufgeschnürt werden müsste. Warum das ein Gegenargument sein sollte, wurde allerdings nicht ganz klar. Schließlich werden Beamte in Deutschland vielfach bevorteilt.
Marcel Fratzschers fliegender Ideenzirkus
Gleich zweimal wurde dann Marcel Fratzscher zum Paten der Debatte, zum einen, als über den bereits anderweitig – vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bis hin zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) – deutlich kritisierten Vorschlag des DIW diskutiert wurde, einen „Boomer-Soli“ einzuführen, eine Sonderabgabe auf Alterseinkünfte jenseits eines Freibetrags. Fratzscher erklärte diesen Vorschlag einer Umverteilung (angeblich von Reich zu Arm) allerdings so konfus anhand von unnachvollziehbaren Beispielrechnungen, dass man den Eindruck gewann, er habe selbst schon damit abgeschlossen.
Und noch eine wilde Idee hatte Fratzscher zuletzt ventiliert, wobei man sich fragt, wann er bei seinem Vollzeitjob plus permanenten Fernsehauftritten für das Ausbaldowern solcher Diskussionsanstöße, die vor allem auf Fratzschers Bekanntheit einzahlen, überhaupt Zeit findet. Die Idee also lautet: ein verpflichtendes soziales Jahr für Rentner. Und sie wurde von so gut wie allen Gästen in der Luft zerrissen. Hier waren sich dann auch Bovenschulte und Volkmann endlich einig. Gerade der Generation, von der zumindest die Männer zum großen Teil bereits einen verpflichtenden Dienst für die Gesellschaft geleistet hätten (ob Wehr- oder Zivildienst), einen weiteren aufzubürden, sei ungebührlich. Man solle es bei Freiwilligkeit und Ehrenamt belassen.
Neue Arbeit ohne Menschen: Umrisse einer Horrorvision
So waren Jung und Alt am Ende der Sendung auf Kosten Fratzschers wieder einigermaßen versöhnlich zusammengekommen. Und doch bleibt für entspanntes Zurücklehnen bei diesem Thema, das den sozialen Grundkonsens der Gesellschaft aufsprengen könnte, sicherlich keine Zeit, sofern man nicht das dicke Fell eines Andreas Bovenschulte besitzt.
Das wurde noch einmal massiv deutlich durch einen Hinweis aus der Praxis, den die ansonsten eher schweigsame Unternehmerin in der Runde gab, Clara Hunnenberg, Leiterin eines Betriebs für Bodenbeläge und Teppichkettelei. Selbst in ihrem Unternehmen würde wie in vielen anderen gerade über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz nachgedacht. Auch wenn Hunnenberg noch daran interessiert zu sein scheint, die ausgebildeten Fachkräfte so lange wie möglich zu halten – auch dank Instrumenten wie der Aktivrente –, könnte sich das in vielen Branchen bald drehen. Wenn aber Arbeitsplätze im großen Stil durch KI ersetzt werden, zahlt niemand mehr die Rentenbeiträge für die Herausgedrängten.
Dann spätestens fallen alle Finanzierungsberechnungen für die Rente, auch die wohlwollendsten, in sich zusammen. Es war wohl kein Zufall, dass niemand an beiden Tischen auf diesen Einwurf antwortete. Man möchte wider bessere Ahnung einfach hoffen, dass in der Politik trotzdem darüber nachgedacht wird.
