

Was für ein Panorama! Von den etwa 450 Meter hohen Tafelbergen Papststein und Gohrisch öffnen sich überwältigende Blicke auf den nahen Pfaffenstein mit der bizarren Felsnadel der Barbarine, auf die Festung Königstein, den Lilienstein und andere Sandsteinformationen, die aus bunt gefärbten Wäldern herausragen. Man kann sich gar nicht sattsehen. In Sachsen haben die Ferien begonnen, Familien mit Kindern machen es sich nach dem Aufstiegt durch schmale, moosbewachsene Schluchten und Felsspalten auf den Gipfelplateaus gemütlich, lassen sich den mitgebrachten Imbiss schmecken und schmieden Pläne für die nächste Tour.
Auch Yvonne Brückner vom Tourismusverband Sächsische Schweiz ist passionierte Wanderin. Als Projektkoordinatorin hatte sie sich bei der Planung des Malerwegs vor 20 Jahren dafür engagiert, auch die linkselbischen Gebiete mit ihren typischen Tafelbergen und weiten Ebenen in das Projekt einzubeziehen. Ursprünglich zog sich die Route von Liebethal aus bis in die angrenzende Böhmische Schweiz nur entlang des rechten Elbufers. Mit den zusätzlichen drei Wanderetappen auf der linken Seite gelang es den Initiatoren im Jahr 2006 einen 116 Kilometer langen Rundwanderweg ins Leben zu rufen, den das Wandermagazin gleich im Folgejahr zum „Schönsten Wanderweg Deutschlands“ kürte. Seither erfreut sich die Strecke durch das wildromantische Elbsandsteingebirge zunehmender Beliebtheit. Die Maler des 18. und 19. Jahrhunderts, die wie Johann Alexander Thiele, Adrian Zingg, Ludwig Richter, Carl August Richter, Carl Gustav Carus, Canaletto, Caspar David Friedrich oder Carl Blechen die Landschaft durchstreift und in ihren Bildern festgehalten haben, waren die ursprünglichen Wegbereiter eines aufkeimenden Tourismus. „So wie es diese Maler in der Zeit der Industrialisierung in die Natur zog, sehnen sich die Menschen auch im Informationszeitalter nach authentischen Erlebnissen und Ursprünglichkeit“, ist sich Yvonne sicher.
In Wehlen beginnt die zweite Etappe des Malerwegs. Zunächst geht es steil bergauf, aber auch wenn es dann und wann in den Waden zwickt, macht sich ein Gefühl der Entspannung breit. Die Blicke hinunter ins Elbtal sind ein Fest für die Augen, befinden auch drei junge Frauen, die an der Schwarzbergaussicht eine Pause einlegen. Schnell kommt man angesichts der gemeinsamen Freude an der Natur ins Gespräch. Maria aus der Ukraine, Olga aus Russland und Anna aus Lettland waren bereits auf dem Jakobsweg unterwegs, jetzt haben sie sich die ersten drei der fünf Etappen des Malerwegs auf der rechten Elbseite vorgenommen. Bei einem Treffen am Steinernen Tisch bestätigt Nationalpark-Sprecher Hanspeter Mayr, dass auch er vielen Wanderern aus dem Ausland begegnet. Die gute Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus Tschechien trägt dabei besonders reiche Früchte. Ein engmaschiger Bus- und Schienenverkehr zwischen beiden Ländern erleichtert den Zugang zu den Wanderwegen.
Ein Highlight auf der zweiten Etappe ist zweifellos die Bastei, die dem Besucher imposante Blicke auf das 200 Meter tiefer gelegene Elbtal auf der einen und auf steile Kletterfelsen sowie auf die Felsenburg Neurathen auf der anderen Seite offeriert. So wundert es nicht, dass die Aussichtspunkte gut besucht sind. Besonders beliebt ist die erst 2023 eröffnete Basteiaussicht, Besucher fotografieren sich am äußersten Geländer gegenseitig, Selfie-Enthusiasten legen ihr Sonntagslächeln auf. Für den Abstieg zum Amselsee wählen einige Wanderfreunde mit den Schwedenlöchern eine Alternative zum Malerweg. Die enge Schlucht setzt den wildromantischen Charakter des Wegabschnittes mit seinen Wandteppichen aus Moosen, Farnen und Flechten eindrucksvoll in Szene. Unten am Amselsee angelangt, lässt mit dem hoch über dem Wasser thronenden Kletterfelsen „Lokomotive“ ein weiteres spektakuläres Motiv die Fotoapparate klicken. Dann geht es wieder bergauf über Rathewalde bis zum Hockstein, von dem aus bereits das Tagesziel Hohnstein zu entdecken ist. Noch einmal durchquert man einen engen und etwas mystischen Felsabstieg, die Wolfsschlucht, die einst Carl Maria von Weber zu seiner berühmten „Freischütz“-Szene inspirierte, hinab ins Polenztal, bevor der Schindergraben hinauf zur auf Felsen thronenden Burg Hohnstein führt. Nach fünfeinhalb Stunden bergauf und bergab melden sich die Kniegelenke, und es ist kaum zu glauben, dass die zurückgelegte Strecke gerade einmal elf Kilometer beträgt.
Grund genug, den nächsten Tag etwas ruhiger anzugehen. Nicht ganz regelkonform lässt sich Etappe 4 abkürzen. Nutzt man die gemütliche Kirnitzschtalbahn von Bad Schandau entlang der plätschernden Kirnitzsch, so erhält man einen Eindruck davon, wie einst Mühlen und Flößer das Tal dominierten. Der am Lichtenhainer Wasserfall gelegene Gasthof gehörte zu den ersten Partnern des Malerwegprojektes, berichtet Gastwirt Rainer König stolz. „Nicht alle Wirte waren anfangs aufgrund des Aufwandes begeistert, Zimmer für eine Nacht bereitzustellen“, erinnert er sich. „Doch schließlich überzeugte ein schlüssiges Marketingkonzept, das den Malerweg weit über die Grenzen Sachsens bekannt machte.“ 400 Kilometer traditioneller Wanderwege, ein seit Ende des 18. Jahrhunderts Zug um Zug entstehendes Netz von Restaurants und Hotels und die Entwicklung des ÖPNV boten beste Voraussetzungen. Viele Wanderer stärken sich in seinem Gasthof, bevor sie den Weg zum zweitgrößten Felsentor des Elbsandsteingebirges antreten, dem Kuhstall, in dem hiesige Bauern im Dreißigjährigen Krieg ihre Rinder vor den Schweden versteckten. Vom Kuhstall aus lohnt auf Teilstücken der vierten Etappe des Malerwegs ein Abstecher zum Frienstein. Von der Idagrotte über die Hentzscheltürme und den Carolafelsen begeistert ein Höhenweg mit einzigartigen Panoramaaussichten, die erst mit dem Abstieg über die Heilige Stiege und den Heringsgrund Richtung Schmilka ihren Abschluss finden. Dort, im ersten Biodorf Deutschlands, lädt die Schmilk‘sche Mühle zur Einkehr ein, und erste warme Sonnenstrahlen belohnen den Wanderer für die Mühen des Tages. Über der Elbe schweben kleine Nebelwolken vor dem prächtigen Panorama der am Ufer hoch aufragenden Schrammsteine – einer Landschaft, die nicht nur für Maler leicht zu einem Sehnsuchtsort werden kann.
