„Spiel in Essen“: Wenn die App zentral fürs Brettspiel wird

Würfeln, Karten in der Hand halten oder Holzfiguren über ein Spielfeld bewegen – es sind das haptische Erlebnis und die direkte Kommunikation am Tisch, die Menschen an Brettspielen begeistern. Und die bis Sonntag voraussichtlich wieder 220.000 Besucher zur Messe „Spiel“ nach Essen bringen werden. „Spielen ist Trend, Spielen bleibt Trend“, sagt Carol Rapp vom Merz Verlag, der die Messe ausrichtet. Im digitalen Zeitalter ist das Analoge trotz der ebenfalls wachsenden Games-Branche auf dem Vormarsch – aber digitale Elemente sind längst auch Teil der Brett­spielwelt.

Die ersten hybriden Spiele seien vor mehr als zehn Jahren auf den Markt gekommen, sagt Jens Junge, Leiter des ­Instituts für Spielwissenschaft. „Seitdem gab es immer wieder Studien, wie stark eigentlich auch Digitalität bei Brettspielen gewollt, gewünscht und akzeptiert wird“, berichtet er. Das Ergebnis: Das ­Digitale müsse harmonisch in das Spielgefühl hineinpassen.

So wie beim erfolgreichen Musikspiel „Hitster“. Das funktioniert ausschließlich mit der dazugehörigen App, die sich mit Spotify verbindet und Lieder nach dem Scannen von QR-Codes abspielt. Zum Kartenspiel „Mischwald“ gibt es eine App, die am Spielende das lästige Zusammenrechnen der Punkte übernimmt, indem man ein Foto seiner Kartenauslage macht. In neueren sogenannten Dungeon Crawlern, bei denen es darum geht, ein Labyrinth zu erkunden, Monster zu bekämpfen und Schätze zu finden, übernehmen Apps die Spielleitung. Von beliebten Spielen wie „Catan“, „Zug um Zug“ und „Codenames“ gibt es eigenständige App-Umsetzungen. Und es kommen immer weitere hinzu.

„Gut, dass wir es nicht gewusst haben“

Der Verlag Pegasus Spiele hat zur Messe die Neuheit „Boss Fighters QR“ mit tragendem digitalem Element mitgebracht – mit der größten Startauflage, die der Verlag jemals für ein Spiel aufgelegt hat. Dabei übernimmt die App auf dem Handy oder Tablet die Rolle des Monsters. Im Team versucht man, mit dem Einscannen von Spielkarten über die Frontkamera die Monster zu besiegen. Zudem gibt es je nach Aktion verschiedene Soundelemente. „Wir haben versucht, die Vorteile eines Brettspiels und die Vorteile eines Videospiels zu verschmelzen – ohne die Nachteile“, sagt Lukas Zach. Er hat das Spiel mit Michael Palm entwickelt. Die erste Idee gab es 2019, die Entwicklung hat vier Jahre gedauert.

Spieleautoren: Michael Palm und Lukas Zach haben „Boss Fighters QR“ entwickelt.
Spieleautoren: Michael Palm und Lukas Zach haben „Boss Fighters QR“ entwickelt.Maximilian Mann

Die Spieleautoren haben auch „Dorfromantik“ entwickelt, das 2023 zum „Spiel des Jahres“ gewählt wurde. „Dorfromantik“ ist ursprünglich ein PC-Spiel. Für die Autoren sei es bedeutend ein­facher gewesen, das als Brettspiel umzusetzen, als „Boss Fighters“ zu entwickeln. „Hätten wir gewusst, wie viel Arbeit das macht, hätten wir das Projekt wahrscheinlich nicht gemacht. Es war also gut, dass wir es nicht gewusst haben“, sagt Zach.

Michael Palm kommt aus dem Handel und hat am Bodensee ein eigenes Spielwarengeschäft. Er hat schon einige Beispiele gesehen, bei denen die App nicht gut implementiert war, weil sie etwa technisch nicht gut funktioniert habe. Es gebe auch Fälle, bei denen man sich frage, ob sie überhaupt notwendig sei, oder bei denen die Konzentration so stark auf der App lag, dass man sich gefragt habe, ob man noch die Karten brauche. „Unsere Prämisse war: Die App muss zentral für das Spiel sein, aber darf nicht die Hauptrolle spielen“, sagt Palm. Man solle nach wie vor das Gefühl haben: „Wir sitzen am Tisch, wir spielen miteinander, und die App unterstützt uns.“

„Wir wollen das analoge Spiel nicht durch digitale Features stören“

Eine andere Strategie bei der Digitalisierung der Produkte fährt der Kosmos Verlag. „Für uns ist Digitalisierung im Brettspiel vor allem ein Zusatznutzen, um Spiele zu lernen. Wir wollen das analoge Spiel nicht durch digitale Features stören“, sagt Michael Kienzle, Geschäftsführer des Verlags. Begleitende Apps, die sie bei einigen Kinderspielen entwickelt hätten, hätten nicht gut funktioniert. Der Verlag konzentriert sich dagegen auf eine eigene Erklär-App, die es seit 2015 gibt. „Eine der größten Kaufbarrieren für Brettspiele ist es, das Spiel zu lernen“, sagt Kienzle.

Die App funktioniere wie ein Tutorial. Für rund 200 Spiele gibt es Erklärungen. Vor allem während der Corona-Pandemie sei die Zahl der Downloads geradezu explodiert, besonders für die Exit-Spiele, in denen man Rätsel löst, sagt Kienzle. Die Timer-Funktion der Exit-Spiele sei dabei die mit Abstand am häufigsten ­genutzte Funktion.

10,8 Millionen Accounts auf Board Game Arena

Gespielt werden Brettspiele auch auf der weltweit größten digitalen Plattform Board Game Arena (BGA). 1162 Spiele gibt es derzeit dort und 10,8 Millionen angemeldete Accounts. „Im Monat werden rund sechs Millionen Stunden auf der Plattform gespielt“, sagt Aurélien Gournay, BGA-Marketingdirektor. Vor vier Jahren hat die französische Asmodee Group die 2010 in Frankreich gegründete Plattform gekauft, die während der Pandemie um 600 Prozent gewachsen ist. BGA ist kostenlos, man kann aber auch einen Premium-Account abschließen, um unbegrenzt Zugang zu allen Spielen zu bekommen.

„Man findet immer jemanden zum Spielen. Wir haben keine Bots, keine KI“, sagt Gournay. So könne man in Deutschland etwa an einem Tisch mit jemandem aus Südamerika und jemandem aus Asien sitzen – und alle spielten in ihrer Sprache. Über die Plattform könne man auch jüngere Menschen erreichen, die dann eventuell die Spiele auch analog ausprobierten.

Stephan Rink ist Geschäftsführer des Feuerland-Verlags. Er sieht jede Form von digitaler Umsetzung als gute Ergänzung für das physische Brettspiel. „Wir sind fest davon überzeugt, dass digitale Spiele eher Werbung für die Spiele sind und Umsätze eher ankurbeln als sie kannibalisieren“, sagt Rink. Dazu gehören neben der BGA auch Umsetzungen als eigenständige Apps sowie solche für Steam, die größte Onlineplattform für PC-Spiele.

„Die beiden Branchen Brettspiel und Games wachsen immer mehr zusammen und kennen sich gut“, sagt Spieleforscher Jens Junge. Große Unterschiede gibt es weiterhin nur bei den Fördertöpfen. Während sich Computerspieleentwickler von nächstem Jahr an über 130 Millionen Euro vom Bund freuen können, ­bekommt die Brettspielbranche keinen Cent. Auch um das zu ändern, sei die Messe ein guter Ort, findet Junge.