
Dass ein Bundeskanzler einem Journalisten empfiehlt, seine Töchter um Rat zu bitten, ist doch erst mal erfreulich. Vielen Männern täte es gut, öfter ihre Töchter zu konsultieren.
Aber nun ist Friedrich Merz nicht als großer Freund der Töchter berühmt, weswegen auch nicht viele Töchter ihn gewählt haben. Und dieser Hinweis („… fragen Sie mal ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte!“) machte sein nebliges „Stadtbild“-Geraune noch nebliger.
Meine zwei Töchter sind zum Glück zu jung, um mir erklären zu müssen, was Merz gemeint haben könnte. Und doch würde ich behaupten, dass ich als Mann bereits viel gelernt habe darüber, was es heißt, eine Frau zu sein – seitdem ich Töchter habe. Ich weiß, es gibt wenig Schmierigeres als Männer, die behaupten, sie könnten nichts gegen Frauen haben, weil sie doch eine zu Hause und außerdem Töchter haben. Das meine ich nicht.
Ich musste nicht Vater von Töchtern werden, um zu verstehen, wie gefährlich Mädchen und Frauen leben. Aber als Vater von Töchtern weiß ich es nicht nur, ich spüre es – in so vielen Momenten im Alltag. Ob es Kommentare zum Sommerkleid von älteren Herren im Bus sind. Sexistische Fangesänge, während ich mit einer Fußballbegeisterten im Stadion sitze. Oder wenn ich Grundschülerinnen erklären muss, dass ein Mann um ihre Schule schleicht und sie zu sich nach Hause locken will. Wie sagt man Kindern, dass sie sich daran gewöhnen müssen, als Objekt betrachtet zu werden?
Wie viel sorgloser ich als Junge und Mann durchs Leben gehen konnte, erkenne ich als Vater auch daran, wie viel sorgloser im Vergleich zu seinen Schwestern ich jetzt meinen Sohn durch seinen Alltag gehen lasse.
Ich weiß jetzt, was eine halbe Drehung im Ballenstand ist
Trotzdem: Wenn ich an meine Töchter denke, denke ich nicht zuerst an Sorgen. Ich denke an ihre wunderbare Sturheit und ihren einzigartigen Humor. Daran, dass ich textsicher durch das neue Album von Taylor Swift komme – und weiß, dass Pferde nur 20 Minuten schlafen und was eine halbe Drehung im Ballenstand ist. Töchter zu haben, bedeutet für mich, das Leben und mich selbst aus ganz anderen Perspektiven betrachten zu dürfen.
Und damit sind wir wieder bei Merzens Stadtbild. Als Berliner kenne ich genügend Plätze, an die ich meine Töchter derzeit nicht allein lassen würde. Orte, an denen diverse Probleme zusammenkommen; sozial-, sicherheits- oder stadtpolitische. Und ja: an denen sich auch die Folgen einer überforderten und ungerechten Migrationspolitik zeigen. Man muss nichts gegen Migration haben, um das zu sehen.
Im Versuch, der AfD hinterher- oder davonzurennen, scheint mir in dieser unwürdigen Debatte von vielen Seiten wieder mal an der Realität vorbeigeredet zu werden. Natürlich waren Merz’ Äußerungen pauschalisierend. Natürlich sind „Rückführungen“ nicht die Lösung. Aber auch einige der Proteste gegen Rassismus und „für Vielfalt“ erscheinen mir arg reflexhaft. Doch selbst eine Debatte, die dumm beginnt, könnte schlauer fortgeführt werden. Zu viel Vielfalt ist an einem Brennpunkt wie dem Alexanderplatz, an dem zu viele junge Männer zu wenige Perspektiven und Grenzen haben, jedenfalls nicht das Problem – es fehlt vielmehr an Vielfalt.
In dieser Kolumne schreiben Patrick Bauer und Friederike Zoe Grasshoff im Wechsel über ihren Alltag als Eltern. Alle bisher erschienen Folgen finden Sie hier.