taz | Wo auf dem Ausstellungsgebäude früher der Name der Stifterin prangte, ist jetzt eine Leerstelle. Das ehemalige „Edith-Russ-Haus“ in Oldenburg heißt seit wenigen Monaten offiziell „Haus für Medienkunst“. Die taz hatte im letzten Jahr auf die NS-Vergangenheit der 1993 verstorbenen Namensgeberin der städtischen Galerie aufmerksam gemacht.
Für den Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Krogmann von der SPD war die anschließende Debatte um ihre Verstrickung im NS-Regime persönlich. Ruß war in Studienzeiten seine Nachbarin und gute Bekannte. „Eine nette ältere Dame“, wie er sich in einer Ausschussitzung erinnerte.
Grundlage für die Umbenennung war ein von der Stadt in Auftrag gegebenes Gutachten. Es sollte als Reaktion auf die taz-Recherche „unabhängig“, wie die Stadt betonte, Ruß‘ Rolle im Nationalsozialismus aufarbeiten. Den politisch brisanten Auftrag erhielten die Historiker:innen Mareike Witkowski und Joachim Tautz.
Zumindest an der Unabhängigkeit von Witkowski muss jedoch gezweifelt werden: Denn neben ihrer Arbeit als Historikerin ist sie Mitglied des Parteivorstands der SPD Oldenburg und Vorständin des Ortsvereins Oldenburg-Nord. Die Sitzung zu ihrer Vorstandswahl im Ortsverein 2022 leitete: Jürgen Krogmann. Hätte die SPD bei der Wahl 2021 besser abgeschnitten, würde die damalige Listenkandidatin Witkowski sogar heute im Stadtrat sitzen.
Aus der NS-Propagandistin wird eine „Mitläuferin“
Den Auftrag hat die Stadt ohne öffentliche Ausschreibung direkt an die ambitionierte SPD-Genossin und ihren Kollegen vergeben. Rein rechtlich ist das erlaubt. Dennoch wirft der Vorgang Fragen auf.
Die Verwaltung des SPD-Oberbürgermeisters hat seine Parteifreundin damit beauftragt, die NS-Vergangenheit seiner ehemaligen Nachbarin und guten Bekannten zu untersuchen. Herausgekommen ist ein posthumer Persilschein, laut dem Ruß trotz Tätigkeit als NS-Propagandistin angeblich nur „Mitläuferin“ gewesen sei.
Zur Erinnerung: Ruß war bis 1945 Feuilleton-Chefin der Oldenburger NSDAP-Zeitung. In dutzenden Artikeln lobte sie „die Führung Adolf Hitlers“, verbreitete Aufrufe zum Völkermord und warb noch kurz vor Kriegsende für den „Volkssturm“, wie die taz in früheren Artikeln ausführlich dargelegt hat.
Ihre Ausführungen zum „germanischen Erbteil“ seien dabei weder antisemitisch noch rassistisch gewesen, so die Historiker:innen. Und dass Ruß NSDAP-Mitglied war, erklären sie schlicht mit „besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt“. Es gebe „keine Belege“, dass Ruß überzeugte Nationalsozialistin gewesen sei, so das schräge Urteil von Witkowski. Diverse belastende Aussagen und Artikel von Ruß unterschlägt das Gutachten, wie die taz nachweisen konnte.
Angeblich kein Interessenkonflikt
Bestand hier vielleicht ein Interessenkonflikt? „Nein“, erklärt die Stadt auf Anfrage. Das Amt für Kultur habe den Auftrag allein aufgrund der Expertise an die Historiker:innen vergeben. Krogmann selbst sei „bei der Vergabe nicht involviert“ gewesen, versichert die Stadt. Dabei war er zum Zeitpunkt der Vergabe auch Kulturdezernent und damit Vorgesetzter des für die Vergabe zuständigen Amts für Kultur.
Um den Filz etwas zu entwirren, stellte die taz vor mehreren Monaten einen Antrag nach der Informationsfreiheitssatzung der Stadt. Dadurch war die Verwaltung eigentlich verpflichtet alle Unterlagen, inklusive Mailverkehr, zum Gutachten offenzulegen.
Zunächst lehnte die Stadt den Antrag mit der Begründung ab, es handle „sich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“. Nachdem die taz darlegte, dass es bei einer Vergabe ohne Wettbewerb keine wettbewerbsrelevanten Geheimnisse geben kann, änderte sie den Vorwand für die Ablehnung und griff auf einen juristisch abenteuerlichen Trick zurück.
Sie behauptete nun, dass die taz allein nach der Vergabeakte gefragt hätte. Da diese per Gesetz einer besonderen Vertraulichkeit unterliege, lehnte sie letztendlich den gesamten Antrag zum „Schutz öffentlicher Belange“ ab.
Nicht nur hatte die taz ausdrücklich auch nach Informationen außerhalb der Vergabeakte verlangt. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte in einem ähnlichen Fall, dass Informationsfreiheitsanfragen auch für Vergabeakten zulässig sind. Das alles interessierte die Stadt wenig. Der Vorgang ist bezeichnend für die Oldenburger Intransparenz.
Intransparenz statt Erinnerungskultur
Bis zum letzten Jahr hatte die Stadt Ruß‘ NSDAP-Mitgliedschaft geleugnet und behauptet, sie hätte sich ihre „Unabhängigkeit“ im Nationalsozialismus bewahrt. Dass die Stadt schon seit Jahrzehnten im Besitz von Ruß‘ Schriftleiterausweis ist, der ihre NSDAP-Mitgliedschaft belegt, verschweigt sie noch immer. Und woher Ruß‘ Millionenvermögen stammt, weiß bis heute niemand.
Nun inszeniert sich die Stadt mit dem fehlerhaften Gutachten als Aufklärerin, verhindert aber gleichzeitig eine vollständige Aufarbeitung. Passend dazu erfolgte die Umbenennung des „Edith-Russ-Hauses“ Anfang des Jahres nicht etwa, weil Ruß NS-Propagandistin war. Ausschlaggebend war, wie Krogmann erklärte, der durch die Debatte verursachte „Image-Schaden“ für die Stadt.
