
Es ist schon eine Ewigkeit her, dass sich Eintracht Frankfurt und der FC Liverpool zuletzt in einem Europapokalspiel begegneten. Die Historie führt zurück in den September 1972, als die Hessen in der ersten Runde des Uefa-Cups ausschieden. Nach einem 0:2 im Hinspiel an der Anfield Road sollte die Nullnummer im alten Waldstadion vor bloß 18 000 Zuschauern der Generation um Bernd Hölzenbein nicht reichen. 53 Jahre später könnte die Eintracht im Champions-League-Heimspiel gegen den englischen Meister (Mittwoch, 21 Uhr/Dazn) mit einem solchen Resultat bestens leben. Ganz Frankfurt hatte sich allerdings gefragt, wie das mit einem verunsicherten Torwart gelingen soll. Denn Kauã Santos hatte in fünf Pflichteinsätzen tatsächlich schon 18 Gegentreffer kassiert.
Nun folgt daraus die Konsequenz. „Michael Zetterer wird morgen im Tor stehen“, verkündete Trainer Dino Toppmöller am Dienstag auf der Pressekonferenz mit einem vielsagenden Grinsen, weil er genau diese Frage ja erwartet hatte. Man habe die Entscheidung nach dem „ein oder anderen Austausch getroffen. Wir haben den Eindruck, dass es für Kauã gerade gut ist, noch mal einen Schritt nach hinten zu machen.“ Es ist für den Coach der Punkt gekommen, den zuletzt fast hypernervös wirkenden Brasilianer zu schützen. Die Versetzung auf die Bank solle Santos, 22, helfen, „Lockerheit und Leichtigkeit“ irgendwann zurückzuerlangen.
Vorerst gehört Zetterer, 30, das Vertrauen. Der gebürtige Münchner werde „dann auch in den nächsten Wochen“ spielen, betonte Toppmöller, eine ständige Rochade sei auf keinen Fall vorgesehen. Die Frankfurter Defensive, mit 18 Gegentreffern (von denen 13 Santos kassierte) die anfälligste der Bundesliga, benötigt schließlich Sicherheit und Konstanz. Und so wird aus einem Hoffnungsträger zwischen den Pfosten nun erst mal ein Ersatzmann.
Bei aller Begabung ist es das Problem von Santos, dass er zuletzt zu oft zwischen Genie und Wahnsinn schwankte. Atemberaubende Weltklasseparaden wechselten bereits in der Vorsaison mit slapstickartigen Aussetzern. Wer in dem 1,96 Meter großen Talent bereits den legitimen Nachfolger des brasilianischen Nationaltorwarts Alisson, 33, erspähte, könnte ein wenig voreilig gewesen sein. Liverpools Stammkeeper ist übrigens mal wieder verletzt und wurde zuletzt vom Georgier Giorgi Mamardaschwili vertreten. Während die Punkteflaute der Reds mit dem Torwartwechsel jedoch eher wenig zu tun hat, bestand bei der Gegentorflut in Frankfurt sehr wohl ein Zusammenhang.

Rückblickend hat es niemandem geholfen, dass der nach dem Abschied von Kevin Trapp verpflichtete Zetterer vor einem Monat seinen Platz hergeben musste. Nun lobte Toppmöller den vorherigen Stammkeeper von Werder Bremen für seine „extreme Ruhe“ in den ersten vier Pflichtspielen. Und er bemerkte, dass sich jeder vorstellen könne, dass Santos die Degradierung zur Nummer zwei „nicht begeistert“ aufgenommen hatte.
Als Zetterer kam, war Santos noch verletzt gewesen. Im Frühjahr hatte er sich das hintere Kreuzband gerissen, als er im Europa-League-Viertelfinale gegen Tottenham Hotspur (0:1) durch ungestümes Herauslaufen den entscheidenden Elfmeter verursachte. Im Sommer kehrte er ohne eine Operation in Rekordzeit zurück. Zuletzt wurden Gerüchte laut, wonach es im Umfeld des Brasilianers zu viele Einflüsterer gebe, die den instabilen Schlussmann zusätzlich unter Druck setzen würde. Ein Interview von Santos mit der Aussage, bester Torwart der Welt werden zu wollen, irritierte viele.
Santos gilt als der nächste Frankfurter, der eines Tages mit viel Gewinn veräußert werden soll
Erschwerend kam hinzu, dass zuletzt die Säulen der Frankfurter Verteidigung wackelten: Kapitän Robin Koch und Arthur Theate verloren viel von ihrer früheren Souveränität, Rasmus Kristensen fehlte als kampfstarke Stütze wochenlang. Beim SC Freiburg (2:2) patzten am Sonntag die zentralen Figuren erneut: Am Anfang spielte Koch einen hanebüchenen Fehlpass, am Ende verspekulierte sich Santos bei einem Freistoß des Spezialisten Vincenzo Grifo.
Danach stellte sich Sportvorstand Markus Krösche zwar erneut demonstrativ vor den jungen Torwart, doch die Debatte war nicht mehr einzufangen. Und schlussendlich zählte auch auf der Torhüterposition das Leistungsprinzip.
Santos, den die Frankfurter 2023 über datenbasiertes Scouting bei Flamengo Rio de Janeiro entdeckten und zum Schnäppchenpreis von kolportierten 1,6 Millionen Euro erwarben, gehört zu jenen Profis mit Perspektive, die irgendwann mal mit großem Gewinn veräußert werden sollen. Doch diese für Frankfurt typische Kaderpolitik hat auf der Torwartposition einen Konstruktionsfehler: Während Feldspieler wie Can Uzun, Nathaniel Brown oder Hugo Larsson bei Formschwankungen einfach mal kurz pausieren können, geht das im Tor eher schlecht. Es könnte sein, dass Kauã Santos jetzt viel Geduld braucht.