
Schon ihre unmittelbare Reaktion hatte vermuten lassen, dass der Zusammenprall mit Adriana Achcińska für Lena Oberdorf nicht einfach nur sehr schmerzhaft gewesen war. Sondern, dass die Szene in der 21. Minute des Bundesligaspiels gegen den 1. FC Köln schwerwiegende Folgen für sie haben würde. Beide waren auf den Ball zugerannt, dabei rauschte Achcińska von hinten in das rechte Knie von Oberdorf. Und dieses Gefühl, das sich dann bei der Fußballerin des FC Bayern breit machte, kannte sie nur zu gut.
Oberdorf hielt sich ihr Knie, rief direkt Hilfe auf den Platz und wand sich auf dem Rasen, das Gesicht zum Boden gedreht, als ihre Mitspielerinnen Georgia Stanway, Lea Schüller und Giulia Gwinn – die selbst schon zwei Kreuzbandrisse hinter sich hat – um sie standen. Im Stadion des FC Bayern Campus war es still. Und wie Oberdorf dann, gestützt von Betreuern, mit schmerzverzerrtem Gesicht und dick einbandagiertem Knie vom Platz humpelte, erinnerte auf allzu bittere Weise an jene Szenen vom 16. Juli 2024. Als sie sich in der EM-Qualifikation gegen Österreich so schwer verletzt hatte, dass sie monatelang ausfiel und mit dem deutschen Nationalteam die Olympischen Spiele sowie diesen Sommer die Europameisterschaft verpasste.

:Ein 410 Tage langer Weg zurück
Beim Supercup-Sieg der Fußballerinnen des FC Bayern feiert Deutschlands beste Mittelfeldspielerin ihr Comeback nach langer Verletzungspause. Ihr Knie hält, ihre Rolle könnte sich wandeln.
Damals war das rechte Knie betroffen, jetzt wieder. Damals waren ihr Kreuz- und Innenband gerissen, jetzt wieder das Kreuzband. Am Montag war Oberdorf untersucht worden, kurz nach 15 Uhr verschickte der FC Bayern die Diagnose in einer Mitteilung. „Diese Nachricht trifft uns alle sehr und wir fühlen mit Lena. Nach ihrer ersten Verletzung hat sie mit großem Willen und unermüdlichem Einsatz an ihrem Comeback gearbeitet“, sagte Bayerns Frauenfußball-Direktorin Bianca Rech. „Dass sie nun erneut einen solchen Rückschlag erleben muss, ist unglaublich hart.“ Oberdorf werde diesen Dienstag operiert, informierte der Klub, und werde dem Team erneut mehrere Monate fehlen.
Oberdorf selbst veröffentlichte wenige Minuten später auf der Social-Media-Plattform Instagram ein Schwarz-Weiß-Foto von einer Spielszene gegen Köln vor dem Zusammenstoß: „Until we meet again…“, schrieb die 23-Jährige darunter, „bis wir uns wiedersehen…“, dazu ein gebrochenes Herz. Die Kommentarspalte füllte sich schnell mit Genesungswünschen zahlreicher deutscher Nationalspielerinnen, die genau wussten, wie tief der Schock bei Oberdorf saß.
Am Montag sollte sie mit ihren Münchner DFB-Kolleginnen zum Nationalteam nach Düsseldorf anreisen
Erst Ende August hatte sie beim Supercup ihr Pflichtspiel-Comeback gegeben, nach 410 Tagen Pause, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt hatten. Es war ihr erster Auftritt auf großer Bühne für den FC Bayern, zu dem sie einen Sommer zuvor vom VfL Wolfsburg gewechselt war. Vor allem über den Fußball, so hatte Oberdorf es rückblickend erzählt, hatte sie sich seit Jahren definiert. Dieser Sport hatte ihren Rhythmus, ihr Denken, ihre Prioritäten im Leben bestimmt. Und auf einmal war alles anders, war das Fundament weggebrochen, auf dem sie sich zu einer der besten Mittelfeldspielerinnen weltweit entwickelt hatte. Oberdorf schwebte erstmal im Nichts, überfordert von der neuen Situation, in der sie sich erst orientieren musste. Ende März konnte sie wieder am Mannschaftstraining teilnehmen und sich bald darauf bei Einsätzen im Zweitliga-Team des FC Bayern an die Spielbelastung gewöhnen. Schön langsam sollte sie zurückgeführt werden, bloß kein Risiko eingehen. Auch deshalb reichte es nicht für die EM, nachdem Bundestrainer Christian Wück sie Anfang Juni zu einem Lehrgang eingeladen hatte, in der Hoffnung, es würde schon passen.
Bei der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes war ihre Rückkehr für diese Woche eingeplant, 15 Monate nach ihrem letzten Länderspiel. Am Montag sollte sie mit ihren Münchner DFB-Kolleginnen zum Nationalteam nach Düsseldorf anreisen, das diesen Freitag (17.45 Uhr, ARD) im Halbfinal-Hinspiel der Nations League auf Frankreich trifft. Wück hatte von einem „Neuanfang“ für Oberdorf gesprochen, sichtlich erfreut darüber, dass auch er künftig auf die zweikampfstarke Strategin setzen können würde, mit der er selbst seit seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr noch nicht wirklich zusammenarbeiten konnte. Stattdessen brachte die neue Woche auch für die DFB-Frauen einen Rückschlag. Einen weiteren, muss man sagen, nachdem vor zwei Wochen schon Stürmerin Giovanna Hoffmann einen Kreuzbandriss erlitten hatte und auch Stammtorhüterin Ann-Katrin Berger mit einer Knieblessur kurzfristig ausfällt.
Während sich der Bundestrainer immerhin darüber freuen kann, dass zuvor teils lange verletzte Nationalspielerinnen wie Kapitänin Giulia Gwinn, Nicole Anyomi und Bibiane Schulze Solano (nach einem Kreuzbandriss) wieder zum Kader gehören, verschärfen sich die ohnehin schon großen Personalsorgen beim FC Bayern. Im Mittelfeld klafft beim Doublesieger nun eine Lücke, die so einfach nicht geschlossen werden kann. Vor Oberdorf hatte sich Ende September bereits Sarah Zadrazil das Kreuzband gerissen, damit bleibt von den zuvorderst eingeplanten Spielerinnen auf der Sechserposition nur Georgia Stanway übrig. Ganz abgesehen von den derzeitigen Ausfällen von Vanessa Gilles (Muskelverletzung), Carolin Simon (Muskelfaserriss), Arianna Caruso (Schulterverletzung), Tuva Hansen und Torhüterin Ena Mahmutovic (beide Sprunggelenksverletzung). Dabei ist der Spielplan gnadenlos eng getaktet mit Partien in der Bundesliga, im DFB-Pokal und in der Champions League. Eine Pause gibt es erst kurz vor Weihnachten.
Als Lena Oberdorf nach dem Titelgewinn im Super Cup strahlend vor die Mikrofone getreten war und erleichtert darüber sprach, dass nun endlich jene Zeit vorbei war, die sie als „die Hölle“ beschrieben hatte, äußerte sie vor allem einen Wunsch: „Jetzt hoffe ich, dass ich das nicht noch mal erleben muss!“ Nur 51 Tage nach ihrem Comeback beim Titelgewinn mit dem FC Bayern im Supercup ist diese Hoffnung zerschlagen, aber vielleicht gibt es stattdessen eine neue: das Wissen darum, es schon einmal durch diese Art von Hölle geschafft zu haben.