
Da gibt es keine Begrenzung. Mediziner sind ohnehin nicht diejenigen, die sich am gesündesten ernähren. Ärzte empfehlen anderen immer, zum Frühstück gut zu essen und abends dann wenig. Aber wie die meisten Mediziner esse auch ich kein Frühstück. Bis zum Nachmittag lebe ich von Kaffee und Wasser.
Ich bin nicht päpstlicher als der Papst. Ich rauche nicht, aber ich trinke mit Freunden auch schon einmal einen Wein. Ich wäre unglaubwürdig, wenn ich Abstinenz predigen würde.
Schon einmal einen Joint geraucht, Herr Professor?
Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Aber wir sprechen hier über Drogen, Sucht und Menschen, die abhängig sind und Hilfe brauchen. Und um diese geht’s, nicht um mich.
Die Bezeichnung „Drogenbeauftragter der Bundesregierung“ klingt schräg, so als ob Sie den Kanzler mit Dope versorgen.
Das ist ja auch nur eine Verkürzung, richtig heißt es: Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Aber auch dieser Titel klingt fast zu reaktiv. Drogen und Sucht sind ein gesamtgesellschaftliches Problem, und wir müssen besser werden, Menschen aktiv vor Sucht zu schützen und Süchtigen zu helfen.
Schon „Droge“ ist irreführend. Der Duden definiert Drogen so: „pflanzliche, tierische oder mineralische Rohstoffe für Heilmittel, Stimulanzien oder Gewürze“.
Semantisch haben Sie recht, auch Baldrian und Koffein sind Drogen. Man sieht das an dem Wort Drogerie, die nichts mit meiner Arbeit zu tun hat. Eigentlich müsste es Rauschgift heißen. Im Strafrecht sprechen wir von Betäubungsmitteln, was auch nicht ganz richtig ist, weil vieles gar nicht betäubt.
Wie wird Medizinalcannabis eingeordnet?
Seit dem Gesetz der Ampel von 2024 unterliegt Medizinalcannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern wird wie ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel behandelt. Das Problem ist aber, dass wir seit der Liberalisierung im Bereich des Medizinalcannabis erheblichen Missbrauch beobachten. Der Import ist um 430 Prozent gestiegen. Es gibt aber in Deutschland gar nicht so viele relevante Erkrankungen, die all diese Tonnen an Medizinalcannabis rechtfertigen würden.

Sie lehnen Medizinalcannabis ab?
Nein, die Indikationen für Cannabis sind aber streng: etwa bei Schmerzen, bestimmten Epilepsien oder bei einigen Schlafstörungen. Cannabis wird aber mittlerweile als Medikament für alles Mögliche angepriesen, wofür es gar keine Evidenz gibt. Und vor allem: Es ist viel zu einfach zu bekommen. Wer telemedizinisch bestellt, braucht auf einigen Websites nicht einmal seinen Klarnamen anzugeben. Die Droge wird über eine Art Pizzabringdienst nach Hause geliefert. Das hat mit Medizin nichts zu tun.
Die verschreibenden Ärzte spielen mit?
Oft gibt es gar keinen Arztkontakt: Ein Onlineformular ersetzt die Untersuchung, das Rezept kommt aus dem Ausland und wird hierzulande eingelöst. Das macht mich fassungslos. Alles läuft zwar unter der Bezeichnung „medizinische Verordnung“. Tatsächlich aber geht es häufig um ganz normalen Drogenkonsum. Der Anstieg von Privatrezepten für Cannabis beträgt im laufenden Jahr mehr als 80 Prozent, 83 Prozent der Verschreibungen sind für Männer. Was die Mediziner angeht: Wir haben da Dealer in weißen Kitteln geschaffen. Es ist völlig richtig, dass Bundesgesundheitsministerin Nina Warken jetzt gegensteuert.
Das Kabinett hat beschlossen, das Ampelgesetz zu ändern. In welche Richtung?
Medizinalcannabis darf künftig nicht mehr telemedizinisch verschrieben werden, sondern nur nach einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt, und kann nicht mehr ohne Weiteres versendet werden. Aber wir müssen das Gesetz dringend auf Schlupflöcher abklopfen und Hinweise auf Umgehungsmöglichkeiten ernst nehmen. Das werden wir im parlamentarischen Verfahren tun. Übrigens kann man sich auch fragen, ob Medizinalcannabis überhaupt geraucht werden muss. Denkbar wäre, die Verabreichung auf Kapseln oder Tropfen zu beschränken. Cannabisblüten stünden dann ausschließlich für den Konsum zur Verfügung, nicht für medizinische Zwecke.
Der jüngste Evaluierungsbericht zur Teillegalisierung von Cannabis seit 2024 zeigt, dass der Konsum nicht sprunghaft zugenommen hat. Die Delikte sind gesunken, aber die Anbauvereine haben den Schwarzmarkt nicht verdrängt. Wie bewerten Sie das?
Ich halte das Gesetz für nicht gut durchdacht, es muss nachgebessert werden. Es übersieht zum Beispiel, dass Jugendliche unter 25 Jahren durch den Konsum von Cannabis langfristige psychische Probleme entwickeln können.
Bier und Wein sind schon mit 16 legal.
Der Vergleich hinkt, mal salopp gesagt. Alkohol ist ebenfalls ein Zellgift, aber die Indikation von psychischen bis hin zu schizophrenen Krankheiten, die nach dem Cannabisgebrauch das Leben von Jugendlichen dauerhaft verändern, haben wir bei Alkohol nicht. Apropos Drogen vergleichen: Es ist doch merkwürdig, dass wir Rauchen und Alkohol eindämmen wollen, zugleich aber den Cannabiskonsum erleichtern und sagen, wir schauen mal ein paar Jahre lang, was passiert. Eigentlich möchte unsere Gesellschaft gesünder leben, dazu passt Cannabis nicht.
Ist es ein Erfolg der Liberalisierung, dass weniger Jugendliche in Suchthilfe sind?
Ein zweifelhafter Erfolg. Es ist wohl eher so, dass weniger Jugendliche vom Ordnungsamt oder von der Polizei aufgegriffen werden, weil Kiffen keine Straftat mehr ist. Sie kommen also nicht mehr automatisch zur Suchthilfe. Die Frühintervention fehlt, der Kontakt für Hilfsangebote und Prävention. Das ist keine gute Entwicklung.
25 Gramm ergeben bis zu 80 Joints.
In der Tat, damit sind wir in der EU Spitzenreiter, was man legal bei sich führen darf. Die Polizei sagt, wir hätten es den Dealern dadurch leichter gemacht. Die brauchen das Zeug jetzt nicht mehr zu verstecken, sondern tragen es als Eigenbedarf bei sich. Das ist viel zu viel. Ähnliches gilt für die drei Pflanzen, die man zu Hause haben darf, mit jeder lassen sich bis zu 350 Gramm ernten. Auf der anderen Seite: Es gibt mehr als fünf Millionen Deutsche, die regelmäßig Cannabis konsumieren. Ich finde schon, dass wir ihnen einen legalen Zugang ermöglichen sollten.
Das Ziel lautet, den Schwarzmarkt auszutrocknen und den Jugendschutz und den Gesundheitsschutz zu stärken. Es gibt keinen idealen Umgang mit Drogen, aber man muss eine gesellschaftliche Befriedung hinbekommen. Dazu dient das ausufernde Cannabisrauchen im öffentlichen Raum nicht gerade, es regt viele Leute zu Recht auf. Auch bin ich dagegen, dass Cannabisfirmen öffentlich werben dürfen. Selbst bei Medizinalcannabis ist das rechtlich fragwürdig, weil man für verschreibungspflichtige Arzneien nicht werben darf.
Direkt neben meinem Büro als Drogenbeauftragter hängt auch so eine Reklame. Ausgerechnet! Zwar wird nur für die Firma geworben, nicht für das Produkt, aber den Unterschied erkennen die meisten nicht. Kurz und gut: Über das ganze Thema müssen wir gemeinsam weiter nachdenken, ich bin mir ziemlich sicher, dass die CDU das bestehende Cannabisgesetz noch einmal aufschnüren wird.
2023 und 2024 gab es mehr Drogentote als je zuvor, jeweils mehr als 2000. Die Zahl nähert sich immer mehr der von Verkehrstoten an, die sinkt.
Ich bin mir sicher, wir sehen nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt keinen systematischen Weg, Drogentote zu erfassen. Häufig wird gar keine Autopsie vorgenommen. Der Drogenmarkt wächst, es gibt immer neue Substanzen, zum Beispiel synthetische Opioide, und immer härtere. Fentanyl hat die hundertfache Potenz von natürlichem Heroin, es gibt aber auch Drogen mit der fünfhundertfachen Potenz. Davon können kleinste Mengen tödlich sein. Auch gefährliche Mischungen nehmen zu.
Wie entwickelt sich die Beschaffung?
Viele Pillen werden nicht mehr von Dealern auf den Straßen vertickt, sondern über soziale Medien und das Internet. Die Bestellung läuft über das Darknet, aber auch über das Clearnet und wird von Kurieren bis ins Jugendzimmer geliefert. Die Zahl junger Drogentoter bis 30 Jahre ist 2024 um 14 Prozent gestiegen.
Sie befürworten das Drug Checking: dass öffentliche Stellen Drogen auf Reinheit und gefährliche Beimischungen untersuchen, finanziert aus Steuermitteln. Wird der Staat damit nicht zum Mittäter?
Es geht darum, Schaden abzuwenden, überspitzt gesagt, dass Abhängige den Konsum überleben. Natürlich löst allein Drug Checking unser Problem nicht, aber so wissen wir, etwas genauer, was auf unseren Straßen unterwegs ist.
Wie läuft das praktisch?
Heroin wird immer mehr mit hochgefährlichen synthetischen Opioiden gestreckt, die schnell tödlich wirken können. Sobald wir solche Mischungen finden, können wir gezielt warnen, wir können die Rettungsdienste und die Suchthilfe informieren. Wenn diese Stellen dann Gegenmittel wie Naloxon bereithalten, rettet das Leben. Und wir wollen auch ein nationales Monitoring- und Frühwarnsystem aufbauen, um idealerweise in Echtzeit warnen zu können. Die Daten aus dem Drug Checking sollen da einfließen.
Kümmern Sie sich auch um Handysucht?
Ja, da sind wir sehr aktiv. Rund jedes vierte Kind hat ein riskantes Medienverhalten. Das hat auch mit der Corona-Pandemie zu tun, als soziale Distanz gefordert war und sich viel in den virtuellen Raum verlagert hat. Einerseits müssen wir Kinder vor schädlichen Inhalten schützen, von Alkoholwerbung bis Pornographie. Andererseits müssen wir die süchtig machenden Algorithmen angehen.
Sogenannte Dark Patterns, die junge Nutzer in die Sucht ziehen, zum Beispiel in die Glücksspiel- oder Kaufsucht. Es ist aber schwierig, die Balance zu halten, wir wollen ja auch digitale Teilhabe ermöglichen. Bundesfamilienministerin Karin Prien hat dazu richtigerweise eine Expertenkommission zusammengerufen.
Was ist mit E-Zigaretten und Vapes?
Diese Produkte sind oft gezielt auf Kinder und Jugendliche ausgerichtet, das ist bedenklich. Die kommen in poppiger Aufmachung und mit Geschmacksrichtungen daher, die Erwachsene gar nicht ansprechen: Cola, Watermelon, Salted Caramel. Zugelassen sind Vapes erst von 18 Jahren an, aber auch Minderjährige kommen schon dran. Außerdem gibt es unter dem Ladentisch E-Zigaretten mit viel mehr Zügen drin als zugelassen. Dagegen müssen wir vorgehen. Manche Jugendliche durchsuchen Mülleimer und rauchen die gefundenen E-Zigaretten auf. Ich wäre dafür, endlich die Inhaltsstoffe daraufhin zu untersuchen, ob man sie überhaupt inhalieren sollte. Bisher ist das nicht oder nur unzureichend erfolgt.