
taz | Vorn im Foyer laufen stumm blaustichige Kunstfilme, aber hinten am DJ-Pult dreht Felix Kubin jetzt richtig auf. „Zurück zum Beton“ von S.Y.P.H. bollert aus den Boxen wie ein Presslufthammer. Hinterm Tresen halten sie sich die Ohren zu, während Bernadette la Hengst und ein paar andere selig auf der kleinen Tanzfläche wippen. Krude Ideen treffen harten Punk. Alfred Hilsberg hätte diesen Clash gemocht. Er war sein Geschäftsmodell.
In seiner angenehm verstolperten Trauerrede auf den kürzlich verstorbenen Labelmacher Hilsberg, bringt der frühere Sänger und Gitarrist von Cpt. Kirk &, Tobias Levin, den Widerspruch auf den Punkt: „Abwärts und Zimmermänner? Da hat man Fragen.“ Die so hart trinkenden wie klingenden Punks von Abwärts und die seitenscheiteligen V-Ausschnitt-Popper Die Zimmermänner – passt doch nicht zusammen, oder?
Für Alfred Hilsberg passten beide gerade deshalb sehr gut auf sein ZickZack-Label. Und dieses sich Nicht-an-einzelne-Szenen-binden-Lassen, so Levin, die ausdauernde Offenheit für alles Auffällige, „ist der Grund, warum wir heute alle hier sind“. Menschlich und musikalisch.
Zwischentöne und weniger bekannte Seiten
Viel wurde geschrieben nach Hilsbergs Tod. Samstag im Westwerk nun wurde gefeiert. „Auf Alfred!“ steht über der Getränkekarte, unterlegt mit dem Labelmotto: „Lieber zu viel als zu wenig.“ Na dann, Prost! Dabei geht es auch um die Zwischentöne, die weniger bekannten Seiten. Gerade graben Levin und Hilsbergs Lebensgefährtin, die auch für ZickZack wichtige Grafikerin und Fotografin Sabine Schwabroh, sich durch den Nachlass.
In den Kisten des „Punkpapsts“ finden sie einen „Popper-Knigge“. Verwahrte Fotos von Elvis zeigen den „Neue Welle“-Erfinder als R’n’R-Fan. Bilder von Mick Jagger mit weißem Schal knüpfen modische Linien des notorischen Weißschalträgers Hilsberg. Die Fotoshow im Foyer zeigt ihn auffallend oft zwischen Schafsköttel am Elbdeich. Es ist auch ein Abend der Erdung des Mythos.
Was niemand mit Herabwürdigen verwechseln darf. Das zeigt schon ein Blick in die Runde. Ton-Steine-Scherben-Mitglied Nikel Pallat, inzwischen 80, reiste aus Bremen an, Jens Friebe aus Kreuzberg, die Woog Riots aus Darmstadt. Dazwischen Mitstreiter der von Hilsberg 1976 mitgegründeten linken Zeitung „Große Freiheit“, Besucher:innen seiner Film-Vorlesungen, weite Teile der Hamburger Schule. Oft ist von seiner Vision die Rede, der anhaltenden Begeisterung für Neues.
Klaus Maeck, durch Hilsbergs Enthusiasmus vom Taxifahrer zum Punkladen-Betreiber befördert, unterstreicht noch einmal das hohe Tempo der Veränderung: Gerade mal ein paar Monate dauerte es 1979, um aus Hamburgs stark nach England schielender Pogo-Punk-Szene einen Abenteuerspielplatz neuer deutscher Experimentalmusik zu machen. Ab da hieß es: „Geräusche für die 80er.“ Und jetzt war von Blumfeld noch gar nicht die Rede.