Lufthansa-Chef Spohr und Air France-KLM-Chef Smith im Gespräch: „Für europäische Airlines wird es immer schwieriger“

Herr Smith, Herr Spohr, was macht Ihnen so zu schaffen, dass Sie hier zusammenkommen?

Ben Smith: Das Fehlen gleicher Wettbewerbsbedingungen in der europäischen Luftfahrt. Auf der Langstrecke haben wir in Europa einen weitgehend offenen Markt und viele unserer Konkurrenten Vorteile, die wir als EU-Fluggesellschaften nicht haben. Einige der außereuropäischen Airlines unterliegen nicht ­denselben staatlichen Auflagen oder Abgaben und können hier ungestört wachsen. Nicht-EU-Fluggesellschaften machen schon mehr als 50 Prozent des Verkehrs von und nach Europa aus. Das stellt ein großes Risiko für uns dar. Zwölf Millionen Arbeitsplätze sind mit EU-Fluggesellschaften verbunden und ständig gefährdet.

Carsten Spohr: Das ist mehr als nur ein Wirtschaftsthema. Die geopolitische Lage sollte uns zwei Dinge klarmachen: Erstens ist es heute wichtiger denn je, Menschen, Kulturen und Volkswirtschaften miteinander zu verbinden, um diese Welt so stabil wie möglich zu halten. Zweitens geht es für uns Europäer auch um Souveränität. Wir können unsere Verteidigung nicht selbst gewährleisten. Wir können unseren Energiebedarf nicht selbst decken. Da sollten wir zumindest in der Lage sein, uns selbst mit unseren Märkten in der Welt zu verbinden.

Ist die Lage so dramatisch?

Smith: Blickt man 20 Jahre zurück, sieht man, dass das Wachstum der drei großen europäischen Fluggesellschaften stagniert. Bei einigen unserer Konkurrenten florierte es dagegen. Drei Airlines haben ihren nahezu uneingeschränkten Zugang nach Europa voll ausgeschöpft. Für europäische Airlines wird es immer schwieriger, Nonstop-Flüge anzubieten, je mehr Flüge über Qatar, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate gehen, und das ist sehr, sehr schwer umzukehren. Es dauert Jahrzehnte, um einen Hub aufzubauen, um mit den Golf-Airlines oder Turkish Airlines zu konkurrieren. Dieser Punkt wird von den wichtigsten Entscheidern in der EU nicht genug verstanden. Gleiche Wettbewerbsbedingungen sind für uns entscheidend. Europa sollte seine Unternehmen schützen, etwa mit einem Antidumping-Mechanismus an der Grenze zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit.

Spohr: Unsere Heimatmärkte, seien es die Niederlande, Deutschland oder Frankreich, waren vor 25 Jahren nonstop mit mehr Zielen in Südostasien verbunden als heute, obwohl die Dynamik dieser Märkte eher mehr Direktverbindungen rechtfertigen würde. Diese Verbindungen werden aber durch die staatlich gestützten außereuropäischen Drehkreuze verdrängt.

Fordern Sie mehr Protektionismus oder mehr Unterstützung für europäische Fluggesellschaften?

Spohr: Weniger Gegenwind wäre schon ein Anfang. Wir haben Quoten für SAF (nachhaltiges Kerosin, Anm. d. Red.) für Langstreckenflüge ab Paris, Amsterdam, Wien oder Zürich, die unsere Konkurrenten nicht haben, wenn ihre Flüge von Istanbul oder Doha aus starten. Die EU hat einer Fluggesellschaft aus Qatar ohne relevanten Heimatmarkt uneingeschränkten Zugang zu allen europäischen Märkten gewährt, was in der globalen Luftfahrt beispiellos ist und unsere zuvor beschriebene Situation erheblich verschärft. Es geht also nicht um Protektionismus oder darum, unsere Branche zu subventionieren. Es geht nur darum, sie weniger zu behindern.

Smith: Nur ein Beispiel: Die Nachfrage nach Flügen für die Strecke Amsterdam- Doha ist mit 50.000 Passagieren im Jahr verschwindend gering, die Kapazität hingegen fast zehnmal so hoch. Diese Verbindung ermöglicht es Qatar Airways, viele Nonstop-Flüge in ihrem Streckennetz von Doha aus zu starten. Asien inklusive des riesigen indischen Subkontinents möchten wir gerne mit München, Frankfurt, Paris und Amsterdam verbinden, aber das wird immer schwieriger. Europa verschenkt den europäischen Markt an außereuropäische Fluggesellschaften, die Europa keine Vorteile bieten und keine Arbeitsplätze schaffen.

Man kann das in der Gesamtschau aber auch positiv sehen und sagen, dass all diese ausländischen Fluggesellschaften Touristen nach Europa bringen.

Smith: Turkish Airlines und die Fluggesellschaften aus dem Nahen Osten bringen keine zusätzlichen Kunden. Sie verlagern nur Kunden von potentiellen europäischen Flügen auf Flüge über ihre Drehkreuze, generieren aber kein neues Geschäft. Das Open-Sky-Abkommen mit Qatar wurde auf sehr fragwürdige Weise ausgehandelt. Wie öffentlich bekannt ist, laufen noch Ermittlungen wegen möglicher Korruptionsfälle. Die Tatsache, dass es nicht aufgekündigt oder ausgesetzt wurde, ist für uns ein Skandal. Für uns ist klar, dass es keinen Vorteil bietet, es sei denn, man lebt in Doha und möchte nach Doha reisen.

Spohr: Außerdem verursacht ein Teil dieser Flüge zusätzliche CO2-Emissionen, weil über die Drehkreuze am Golf längere Flugstrecken quasi von der EU subventioniert werden, anstatt nonstop von Europa aus zu fliegen. Es werden Arbeitsplätze geschaffen, die nicht unseren Sozial- und Umweltstandards entsprechen, und gleichzeitig werden den europäischen Drehkreuzen Verkehr und damit Jobs genommen. Das widerspricht also allem, wofür Europa eigentlich steht.

Was sollte Europa konkret tun?

Spohr: SAF-Verpflichtungen könnten beispielsweise in eine Abgabe umgewandelt werden, die jeder Passagier, der in Europa abfliegt, zahlt – und dann in nachhaltige Flugkraftstoffe umgewandelt wird. Die Abgabe richtet sich nach dem Zielort. Wenn Sie also nach Tokio fliegen möchten, würde es keine Rolle spielen, ob Sie mit uns, meinem größten Konkurrenten Air France-KLM oder den Golf-Airlines fliegen würden. Sie würden immer in den Topf einzahlen und somit zur Senkung der Emissionen beitragen. Das wäre eine sehr einfache Maßnahme, mit der wir der Umwelt helfen und gleiche Wettbewerbsbedingungen beim Umweltschutz schaffen würden.

Smith: Das hülfe uns sehr dabei, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Denn die Unmöglichkeit, seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine über Russland zu fliegen, macht Flüge nach Asien für uns extrem teuer.

Ist dieses Problem so groß?

Smith: Ja. In den vergangenen Tagen hat die Trump-Regierung den Wunsch geäußert, allen Fluggesellschaften, die den russischen Luftraum überfliegen, den Zugang zum US-Luftraum zu verweigern. Dort geht es um 20 bis 25 Minuten. Für Fluggesellschaften mit Sitz in Westeuropa ist es viel schlimmer. Es kostet uns bis zu zwei bis zweieinhalb Stunden, um auf dem Weg nach Asien Russland zu umfliegen, während chinesische Fluggesellschaften keiner solchen Beschränkung unterliegen. Alle Kosten, die durch die zusätzliche Flugzeit entstehen, müssen getragen werden. Außerdem möchten Kunden nicht unbedingt zwei zusätzliche Stunden auf einem ohnehin schon langen Flug nach Asien aufwenden. Daher ist es für uns unverständlich, was für ein Geschenk es für chinesische Fluggesellschaften ist, Zugang zu Europa zu haben, während wir einen Wettbewerbsnachteil erleiden.

Spohr: Wir hoffen, dass die Initiative von Präsident Trump umgesetzt wird und Europa das Gleiche tut. Es wäre wichtig, wenn die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten hier aktiv würden.

Auch beim Thema SAF? Soll Europa die Beimengquoten und Emissionsziele im Zeitalter von Trump beibehalten, der sich um Klimaschutz nicht groß schert?

Smith: Wir sind dafür, unsere Branche so schnell wie möglich zu dekarbonisieren. Und wir unterstützen die SAF-Quoten in Europa. Wir stehen dazu. Wir wollen das jedoch nicht auf Kosten unserer Branche tun. Wir wollen dies nicht zu einem Geschenk für andere Länder oder Fluggesellschaften machen, die nach Europa kommen. Das wirft viele Fragen auf: Ist SAF in ausreichenden Mengen verfügbar? Wie hoch ist der Preis für SAF? Können wir gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleisten?

Spohr: In diesem Punkt sind wir uns einig. Und dem globalen CORSIA-Programm haben sich ja auch die USA angeschlossen. Aber auch hier gilt eben: Solange es für alle gleiche Wettbewerbsbedingungen gibt, kann die Branche damit umgehen. Wenn wir aber mit Wettbewerbern außerhalb dieses Programms konkurrieren müssen, funktioniert das natürlich nicht. Letztlich kommt es auf die Verfügbarkeit von SAF und den Preis an. Wir würden gerne mehr SAF in unseren Flugzeugen tanken, aber es muss dafür natürlich auch bezahlbar sein. Und genau das bereitet uns derzeit Sorgen. Ich denke, die EU-Kommission versteht zunehmend, dass diese Vorgaben aktuell nicht realistisch sind. Da liegt es jetzt an ihr, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen.

Sollte Europa aus Ihrer Sicht auch seine Wettbewerbsregeln ändern, um die Konsolidierung in der Luftfahrt zu erleichtern?

Smith: Europa muss akzeptieren, dass wir in der Lage sein sollten, globale Champions zu schaffen, die seine Souveränität gewährleisten können, und uns dabei auch unterstützen. Heute ist das sehr schwierig. Die EU konzentriert sich hauptsächlich auf Europa. Das ist sehr kurzfristig gedacht. Man sieht, dass wir auf globaler Ebene nicht gewinnen. Wir haben Fluggesellschaften außerhalb Europas, die exponentiell wachsen und alle damit verbundenen Vorteile nutzen. Ich denke, es wird nicht genug unterschieden zwischen globalen Fluggesellschaften und Mittelstrecken-Airlines. Das hemmt uns wirklich. Und um eine Fusion zu verabschieden, zu genehmigen oder zu billigen, dauert es einfach zu lange.

Spohr: Sowenig Freude es mir auch bereitet, wenn Ben oder unser Wettbewerber in London eine Airline kaufen, ist Konsolidierung letztlich eine Win-win-Situation. Man muss sich nur die USA ansehen. Die Kunden profitieren, weil die Preise aufgrund höherer Synergien sinken. Die aufgekauften Airlines profitieren, weil sie Teil einer stabileren Konzerngruppe werden. Und natürlich profitieren auch unsere Mitarbeiter und Aktionäre, weil wir auf globaler Ebene mit den anderen Megafluggesellschaften konkurrieren können, die Ähnliches getan haben. Wenn man sich China oder die USA ansieht, gibt es dort jeweils drei große Fluggesellschaften, die auch nicht rein organisch gewachsen sind.

Aber es ist immer eine Frage des Gleichgewichts zwischen Ihren Interessen und denen der Verbraucher, die sich über mehr Wettbewerb freuen.

Spohr: Das ist manchmal sehr kurzsichtig, denn langfristig bestehen nur gesunde europäische Fluggesellschaften im globalen Wettbewerb. Ich habe diese Diskussion mit der EU geführt. Wenn ITA in Italien nicht von Lufthansa übernommen und stabilisiert worden wäre, wie viel Wettbewerb gäbe es dann in Zukunft zwischen den USA und Rom? Es gäbe Wettbewerb hauptsächlich nur noch zwischen amerikanischen Mega-Airlines, die Rom aus ihren Drehkreuzen anfliegen. Die Konsolidierung hilft europäischen Fluggesellschaften, nachhaltig profitabel zu sein, und sichert damit die Wettbewerbsfähigkeit und Marktkräfte, welche die Kunden langfristig brauchen.

Fliegen ist in Europa in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden. Besteht Hoffnung, dass die Preise auch mal wieder sinken?

Smith: Wenn es innerhalb Europas Preiserhöhungen gibt, dann kommen diese nicht von den Fluggesellschaften selbst. Sie kommen von Steuern, Flughafengebühren, SAF und anderen Abgaben.

Spohr: Wenn die uns auferlegten staatlichen Kosten auf ein globales Niveau sänken, würde der Kunde das sofort bemerken. Wir haben in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland die höchsten Steuern der Branche. Die Gebühren für Flugsicherung und Luftsicherheit sind auf Rekordniveau. Das Geld, das durch den Abbau regulatorischer Belastungen eingespart würde, käme allen zugute, da dadurch auch die Anbindung und Konnektivität gesichert würde, die eine prosperierende Wirtschaft braucht.

Smith: Und eine weitere Quelle der Frustration ist, dass diese Mittel nicht in die Dekarbonisierung der Luftfahrt reinvestiert werden. Das ist widersprüchlich. Je weniger Geld wir verdienen, desto schwieriger ist es für uns, zu investieren. Dabei ist der wichtigste Hebel, über den wir als Fluggesellschaften heute verfügen, der Kauf neuer Maschinen. Man muss Gewinne erzielen, um das zu tun. Wir investieren jährlich zwei Milliarden Euro in die Erneuerung unserer Flotte. Man kann allein mit neuen Flugzeugen bis zu 20, 25 Prozent an CO2 einsparen, und das ohne Berücksichtigung der CO2-Reduzierung, die durch die Verwendung von SAF erzielt wird.

Sie haben beide in jüngster Zeit Ihre First Class modernisiert, und Lufthansa hat zudem das Menü überarbeitet. Wie sehr haben Sie sich dabei von der französischen Küche und Eleganz inspirieren lassen, Herr Spohr?

Spohr: Wenn wir in der First Class Welt jemanden ernst nehmen, dann ist es Air France. Und ich hoffe, das ist umgekehrt auch so (lacht). Ich sage meinen Teams immer, dass sie sich Air France genau anschauen sollen, und ich glaube, Ben macht das Gleiche mit uns. Frankreich und, in aller Bescheidenheit, die Schweiz und Deutschland stehen für Tradition, Qualität und Stil – kein Wunder also, dass die besten First Classes der Welt aus Europa kommen. Die Europäer sollten nicht nur im Flugzeug öfter stolz auf ihre Errungenschaften sein. Jetzt liegt es an unserer Generation, dafür zu sorgen, dass die Erfolgsgeschichte Europas weitergeht.