
Einen besseren Pokal als jenes stilisierte Stiergehörn, um den es beim Großen Preis der USA ging, hätte sich der Designer gar nicht ausdenken können. Passt es doch nicht nur zum Wappentier des Rennstalls von Max Verstappen, sondern auch zum ganzen Formel-1-Wochenende des Niederländers in Texas: Er hatte jede noch so kleine Chance bei den Hörnern gepackt. Was da auf dem Circuit of the Americas geschehen ist, und welche Auswirkung das auf das Titelrennen in der Königsklasse hat, ist an einer einfachen Punktekalkulation abzulesen: Binnen 24 Stunden hat der Red-Bull-Pilot nicht nur 33 WM-Punkte geholt, er hat mit seinem Triumph im samstäglichen Sprint und dem folgenden fünften Start-Ziel-Saisonsieg von der Pole-Position aus auch 23 Zähler auf WM-Spitzenreiter Oscar Piastri gut gemacht. Erstmals gibt der Titelverteidiger zu: „Sicher habe ich eine Titelchance, wenn es noch mehr Wochenenden wie dieses gibt. Sollten wir es nicht schaffen, haben wir bis zum Schluss alles versucht und es spannend gehalten. Das ist unsere Einstellung. Es ist positiver Druck, nichts lastet auf uns. Wir sind nicht gestresst deswegen. Wir geben einfach alles.“ Eine eilige Drucksache.
Natürlich, 40 Punkte Rückstand bei noch fünf ausstehenden Rennen sind eine Menge Holz. Dennoch macht die zuletzt ungeheure Konstanz auf hohem Niveau McLaren schwer zu schaffen. Piastri und der zweitplatzierte Lando Norris können von fehlerfreien Darbietungen seit Wochen nur träumen. Entsprechend frustriert wirken die Verantwortlichen bei den Briten. „Gut, dass dieses Wochenende vorbei ist“, stöhnte Rennstallboss Zak Brown, „Max ist einfach unerbittlich.“ Einsatzleiter Andrea Stella versucht beschwörend auf seine beiden strauchelnden Piloten einzuwirken: „Es liegt an uns, Weltmeister zu werden.“ Nun ja. Bewusstsein und Selbstbewusstsein, niemand wirkt derzeit so austariert wie Verstappen und sein Team. Die McLarens hätten sich bei Jonathan Wheatley erkundigen sollen, Red Bulls ehemaligem Sportdirektor: „Den Fehler, Verstappen abzuschreiben, darf man nicht machen. Er schreibt gerade die Regeln mal wieder neu.“

:Verstappen macht die Formel 1 wieder spannend
Der viermalige Weltmeister gewinnt in Austin beide Rennen und pirscht sich in der WM-Wertung weiter an die Führenden Oscar Piastri und Lando Norris heran. Werden die beiden McLaren-Piloten nervös?
Die Formschwäche der papayafarbenen Rennwagen nach dem vorzeitigen Triumph in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft ist eklatant und setzt sich auf unterschiedlichsten Streckentypen fort. Dazu kommt die nur schwer zu bändigende Rivalität zwischen den Rivalen Piastri und Norris. Der Brite liegt nach dem enttäuschenden fünften Rang Piastris in Austin nur 14 Punkte zurück auf Platz zwei, weshalb Stella am Kommandostand prinzipiell ein duales Überwachungssystem benötigt: Möglichst ein Auge auf Verstappen haben, aber immer auch eins auf seine beiden Delinquenten. Wo McLaren in jüngster Vergangenheit sein Momentum verloren hat, ist schwer zu sagen – aber es ist die neue Realität. Vor allem in der Mental-Weltmeisterschaft.
„Es wird eng“, gibt Zak Brown zu, „Red Bull hat sich toll entwickelt und Max ist so schnell wie immer.“ Unerklärlich bleibt dennoch, warum Norris und Piastri ihrer Normalform so weit hinterherfahren. Norris geht zu viel ins Risiko, Piastri hingegen wirkt für seine Verhältnisse fast behäbig. Dazu unkt Ingenieur Stella: „Für den Rest der Saison hat Red Bull das stärkste Auto.“ Netter Versuch, schon mal vorzubeugen. Die Höhen und Tiefen der letzten Tage haben die Tonlage bei den Favoriten auf Moll gedrückt. Verstappen fährt hingegen in einer „Über-Form“, wie ihm Mentor Helmut Marko attestiert, und allein mit seinem siegesgewissen Grinsen geht er der Konkurrenz richtig unter die Haut.
Gerade jetzt ist dort Verantwortung gefragt, es braucht klare Ansagen und konsequentes Handeln. Das fängt schon beim Teamfrieden an. Nachdem Norris beim Rennstart in Singapur in Piastris Wagen gerutscht war, sollte die eskalierende Rivalität durch eine Aussprache wieder in korrekte Bahnen gelenkt werden. Das funktionierte bei der Probe aufs Exempel allerdings nur semigut. Norris erzählte überall, dass er für seine zu optimistische Aktion den Rest der Saison büßen müsse – doch niemand wollte sagen, wie genau die Bestrafung aussehe. Richtig abschreckend hat die Maßnahme auch nicht gewirkt. Gleich in der ersten Kurve des Sprints in Texas wurde Piastri in den Wagen von Norris gedrängt, was beide aus dem Rennen warf.
Schon oft haben sich interne Konkurrenzkämpfe in der Formel 1 nicht ausgezahlt
Ungewiss, ob die so gegensätzlichen Typen wieder einzufangen sind. Andrea Stella hat beiden versprochen, dass sie so lange frei gegeneinander fahren dürfen, bis einer keine Titelchance mehr habe. Das ist die Zwickmühle, in die sich McLaren mit seinen hohen Ansprüchen an die Teammoral selbst gebracht hat. Dabei weiß Stella aus seiner Zeit als Ingenieur bei Ferrari genau, was passieren kann, wenn ein WM-Kampf zu einer Dreiecksbeziehung wird. 2007 holte Kimi Räikkönen den bislang letzten Titel für die Roten mit einem Pünktchen Vorsprung, da sich die favorisierten Mercedes-Piloten Lewis Hamilton und Fernando Alonso gegenseitig die Punkte wegnahmen. 2010 triumphierte mit Sebastian Vettel ebenfalls der Dritte im Bunde, damals fehlten dem klaren Favoriten Alonso im Ferrari am Ende vier Zähler. Alte Geschichten, gewiss, die aber in einem statistikhörigen Sport nicht an Relevanz verlieren.
Mit dem Großen Preis von Mexiko beginnt schon an diesem Wochenende die Phase der Saison, in der Missgeschicke doppelt und dreifach schwer wiegen können. „Meine Devise ist es, möglichst keine Fehler zu machen“, sagte Verstappen, auf seine weitere Vorgehensweise angesprochen. Sein Auto, behauptet der Serientäter, sei immer noch nicht ganz da, wo er es haben wolle: „Von nun an müssen wir perfekt sein.“