
Das Berliner Theater feiert die sexpositive Exzess-Königin Anita Berber. „Androgynous“ ist große Kunst: mit Glam, queerem Stolz, Wahrheit und Melancholie.
Von Peter Laudenbach
Wenn Lola Arias am Berliner Maxim Gorki Theater ein Stück über Anita Berber inszeniert, die legendäre Nackttänzerin und Exzess-Königin des Nachtlebens der 1920er-Jahre, ist keine nostalgische „Babylon Berlin“-Folklore mit nachgespieltem Glamour aus den Party-Lasterhöhlen zu befürchten. Die Argentinierin Lola Arias ist als Dokumentarregisseurin und Autorin entschieden zu ernsthaft und zu klug, um ihre Werke an Show-Effekte oder den voyeuristischen Blick auf heftige Lebensläufe zu verraten. Im vergangenen Jahr wurde sie mit dem Ibsen-Preis geehrt, einem der renommiertesten Theaterpreise der Welt, dotiert mit umgerechnet rund 200 000 Euro. Mit ihren Inszenierungen unternimmt Arias Tiefenbohrungen in den Biografien ihrer Darsteller. Das ist immer gleichzeitig persönlich und politisch, poetisch schillernd und dokumentarisch genau. Dafür hat man beim Zusehen die Gelegenheit, kurz, eindringlich und meistens ziemlich berührend mit fremden Lebenswelten in Kontakt zu kommen.