Grundsicherung statt Bürgergeld: Fachleute kritisieren Bürgergeldreform als unsozial und populistisch

Die geplante Reform des Bürgergeldes stößt bei Sozial- und Wirtschaftsexperten auf deutliche Kritik. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bezeichnete das Vorhaben in der Neuen Osnabrücker Zeitung als „populistisches Ablenkungsmanöver“. Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Werneke, sagte, die Reform werde „mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen“. Auch der Sozialverband Deutschland befürchtet negative Folgen – insbesondere eine Verschärfung der Wohnungsnot unter Leistungsbeziehenden.

Das Bundesarbeitsministerium hatte am Freitag Details zur Reform ausformuliert. Geplant sind demnach deutlich strengere Sanktionen für Menschen, die Bürgergeld beziehen. Künftig soll es möglich sein, sämtliche Leistungen – einschließlich der Mietzahlungen – zu streichen, wenn Termine beim Jobcenter wiederholt nicht wahrgenommen werden. Außerdem heißt das Bürgergeld künftig „Grundsicherung“.

DIW-Präsident Fratzscher äußerte Zweifel daran, dass die geplanten Änderungen mehr Menschen in Arbeit bringen könnten. Es gebe nur wenige Leistungsbeziehende, die das System missbrauchten, sagte er. Die meisten hätten keine ausreichenden Qualifikationen oder gesundheitliche Einschränkungen. „Dann hilft auch die strengste Sanktion nicht, um sie in Arbeit zu bringen“, sagte Fratzscher. Der Ökonom warf der Bundesregierung vor, mit der Reform „vermeintlich Faule“ bestrafen zu wollen, um bei der übrigen Bevölkerung Zustimmung zu erzeugen.

Auch ver.di-Chef Werneke kritisierte das Reformvorhaben in den Zeitungen des RedaktionsNetzwerks Deutschland. Er warnte davor, Menschen, die unverschuldet in Not geraten seien, zu stigmatisieren. Die geplanten Regelungen würden nicht nur Betroffene belasten, sondern auch die Beschäftigten in den Jobcentern und die Justiz. „In den Jobcentern werden künftig noch mehr Konflikte ausgetragen, und die Gerichte werden viele Verschärfungen wieder kassieren“, sagte Werneke.

Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier, kritisierte vor allem die Möglichkeit, Mietzahlungen komplett zu streichen. Angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum sei das „verantwortungslos“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Engelmeier warnte zudem, dass die Regelung auch Menschen treffen könne, die gar nicht Ziel der Sanktionen seien. Viele Vermieterinnen und Vermieter könnten künftig zögern, Wohnungen an Leistungsbeziehende zu vergeben – aus Sorge, das Amt könne die Miete nicht mehr zahlen. „So droht aus der Wohnungskrise eine Wohnungslosenkrise zu werden“, sagte Engelmeier. Immerhin seien Familien von der Neuregelung ausgenommen.