
Die SV Elversberg aus einer saarländischen Kleinstadt klopft erneut an das Tor der Bundesliga. Wie das möglich ist? Ohne Zaubertrank – aber mit viel Einfallsreichtum sowie einem fußballverrückten Vater und seinem Sohn.
Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Obwohl es Reiner Calmund, seit gut zehn Jahren Wahl-Saarländer, in Elversberg auch schon damals ganz gut gefallen hat. „Wunderbares Essen, nette Leute, alles vom Feinsten“, sagt er, wenn er sich an seinen ersten Aufenthalt im Waldstadion an der Kaiserlinde am 30. Juli 2022 erinnert. Doch dann wurde leider das Spiel angepfiffen – „und ich musste mich übergeben“, so Calmund. Denn die Sportvereinigung 07 Elversberg, damals gerade frisch in die Dritte Liga aufgestiegen, schoss ausgerechnet Bayer Leverkusen, wo Calmund 24 Jahre gewirkt hatte, mit 4:3 aus dem DFB-Pokal.
Die anschließende Schimpfkanonade des früheren Bundesliga-Managers war legendär. „Das ist eine Vollkatastrophe“, fluchte Calmund und empfahl seinen Leverkusenern eine intensive Aufarbeitung. „Da muss es richtig Doktor Dralle geben, dieses ganz scharfe Haarwasser, dass sie wieder klar werden in der Birne“, ereiferte er sich. Allerdings begann er damals auch, den Weg der Elversberger genauer zu verfolgen. Ein Jahr nach dem Erstrunden-Pokalcoup vollendete die SV den Durchmarsch in die Zweite Bundesliga.
„Elversberg ist ein Beleg dafür, dass du im Fußball etwas erreichen kannst – auch wenn die Konkurrenz noch so übermächtig erscheint“, erklärt Calmund WELT AM SONNTAG nun. Es imponiert ihm, was in den vergangenen Jahren in der Kleinstadt Spiesen-Elversberg mit ihren knapp 13.000 Einwohnern entstanden ist.
Calmund: „Sie sind ihrem Weg treu geblieben“
Ins bundesweite Blickfeld ist der Klub aus dem kleinsten Zweitliga-Standort seit 40 Jahren dann noch einmal im vergangenen Mai gerückt, als die Mannschaft in der Relegation zur Bundesliga denkbar knapp am 1. FC Heidenheim scheiterte: Das Hinspiel in Heidenheim endete 2:2, im Rückspiel gab es eine 1:2-Niederlage.
Danach dachten viele, das Märchen vom tapferen saarländischen Dorf, 15 Kilometer nordöstlich von Saarbrücken gelegen, sei auserzählt. Denn es folgte eine Zäsur: Erfolgstrainer Horst Steffen, der sieben Jahre in Elversberg war, ging zu Werder Bremen – und die Mannschaft schien auseinanderzubrechen. Elf Spieler gingen, darunter mehrere Leistungsträger – wie Mittelfeldspieler Muhammed Damar und vor allem Mittelstürmer Fisnik Asllani, die zur TSG Hoffenheim zurückkehrten. Asllani war mit 18 Toren und neun Vorlagen Topscorer der Zweiten Liga. Als es dann für die „Elv“, wie das Team genannt wird, unter dem neuen Trainer Vincent Wagner zum Auftakt ein 0:1 beim 1. FC Nürnberg gab, schien das wie ein böses Orakel.
Doch die Mannschaft fing sich schnell und blieb danach in sechs Spielen, von denen fünf gewonnen werden konnten, unbesiegt. Am Sonntag empfangen die Saarländer als Tabellenführer die SpVgg Greuther Fürth (13.30 Uhr, Sky). „Sie sind ihrem Weg treu geblieben und haben wieder einige interessante Talente an Land gezogen“, erklärt Calmund.
Da ist Bambasé Conté, 21, die neue Leihgabe aus Hoffenheim, der bereits ein Tor erzielt und fünf vorbereitet hat. Oder Otto Stange, 18, der vom Hamburger SV ausgeliehen ist und bislang vornehmlich als Joker eingesetzt wird – dabei jedoch schon zwei Treffer markiert und zwei weitere vorbereitet hat. Und vor allem Younes Ebnoutabib, 21, der im Januar für 100.000 Euro vom Regionalligaklub FC Gießen gekommen war und in dieser Saison so richtig durchstartet: Der deutsch-marokkanische Mittelstürmer hat bereits sechs Tore erzielt.
Die Elversberger Erfolgsformel und wie Woltemade reinpasste
Es hat sich aber vor allem herumgesprochen, dass Elversberg ein gutes Pflaster für Talente ist. Hier können sie sich, ohne den ganz großen Druck, aber mit der Aussicht auf regelmäßige Einsätze auf gehobenem Zweitliganiveau, entwickeln. „Ich kenne die Elversberger Vorgeschichte mit Nick Woltemade, Paul Wanner und Asllani. Da war für mich klar, dass ich diesen Schritt auch gehen möchte“, sagte Stange.
Die geschickte Transferpolitik ist ein wesentlicher Faktor des Geschäftsmodells: Das Gerüst der Mannschaft wird durch Spieler gebildet, die günstig in der Dritten Liga oder der Regionalliga einkauft werden. Die Spezialistenpositionen, vornehmlich in der Offensive, werden mit Leihspielern besetzt, die aus den Nachwuchsleistungszentren finanzstärkerer Klubs stammen. Prominente Beispiele sind der deutsche U21-Nationalspieler Paul Wanner, der vom FC Bayern kam, dann erst ein Jahr in Elversberg spielte, anschließend in Heidenheim Erstligaluft schnupperte und mittlerweile mit der PSV Eindhoven in der Champions League spielt.
Oder halt Woltemade: Die Entwicklung des Nationalspielers, der durch seinen Wechsel zu Newcastle United für 90 Millionen Euro Ablöse für europaweites Aufsehen sorgte, wäre ohne Elversberg womöglich ins Stocken geraten. Im September 2022 war er von Werder Bremen, wo nicht wirklich auf ihn gesetzt wurde, in die saarländische Provinz gekommen, wo er mit zehn Toren maßgeblichen Anteil am Zweitligaaufstieg hatte.
Vater-Sohn-Duo den Klub als Herz und Seele des Vereins
„Ich sage immer: Du brauchst KKK – Kompetenz, Konzept und Kapital“, beschreibt Calmund die Elversberger Erfolgsformel. Für Kompetenz stehen die Trainer, die dort am Werk waren und sind. Das Konzept wurde wesentlich von Niels-Ole Book, dem Sportlichen Leiter, entwickelt. Der 39-Jährige, der 2018 gemeinsam mit Steffen in die Verantwortung kam, versteht es, auch mit überschaubaren Mitteln eine Mannschaft zu bauen. Und für das Kapital stehen Vater und Sohn: Frank und Dominik Holzer. „Die Holzers sind Herz und Seele des Vereins“, so Calmund.
Frank Holzer, 72, stammt aus der Gegend. In den 1970er-Jahren spielte er für den 1. FC Saarbrücken und Eintracht Braunschweig in der Bundesliga. Nach der Karriere stieg er in das Pharmaunternehmen Ursapharm, das sein Vater 1974 gegründet hatte, ein und baute es aus. Mittlerweile macht Ursapharm 350 Millionen Euro Umsatz. Das kommt der SV Elversberg, bei der Holzer 1990 zum Präsidenten gewählt wurde, zugute. Ursapharm ist Hauptsponsor, der wichtigste Geldgeber. 2011 wechselte Frank Holzer in den Aufsichtsrat des Klubs – sein Sohn Dominik übernahm das Präsidentenamt.
Die Holzers, beide sind auch Geschäftsführer in ihrem Unternehmen, haben viel in den Verein gesteckt – und tun es auch weiter. Das Waldstadion an der Kaiserlinde, das natürlich offiziell längst Ursapharm-Arena heißt, ist seit dem bislang letzten Aufstieg eine Baustelle. Bis Ende 2026 soll es von aktuell 10.000 auf 15.000 Plätze erweitert werden, um erstligatauglich sein. Und Reiner Calmund, der mittlerweile regelmäßiger Besucher der Heimspiele ist, sagt: „Ich traue Elversberg die Bundesliga zu.“
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