
Niko Kovač hat am Donnerstag getan, was er sonst nie tut: Er hat einen Journalisten zurechtgewiesen. Der Reporter hatte den Trainer von Borussia Dortmund gesiezt, woraufhin dieser erstmal erklärte: „Wir können uns hier duzen, denn wir kennen uns ja schon ein bisschen länger.“ Berichterstattern, die Wert auf eine gesunde journalistische Distanz legen, mag das missfallen, aber das Anliegen des Trainers ist offenkundig.
Hier im kleinen BVB-Kosmos gehe es um ein „Zusammengehörigkeitsgefühl“, sagt Kovač und fasst die Botschaft in ein schlichtes Bild: „Wir müssen eine Faust sein, denn die tut mehr weh als eine Schelle.“ Der nächste Konkurrent: ein früherer Klub des Trainers, der FC Bayern München am Samstag (18.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky).
Kovač ist momentan recht gut in Form und er spürt, wie gut seine Partnerschaft mit der ins Wanken geratenen Nummer zwei des deutschen Fußballs funktioniert. Im Fußball kann sich so etwas zwar schnell ändern, aber im Oktober des Jahres 2025 bestehen kaum Zweifel daran, dass hier der richtige Trainer am richtigen Ort angelangt ist. Die zurückliegenden Spieljahre beendete der BVB als Fünfter und Vierter, das ist nicht der Anspruch.
Die sogenannte Kovač-Tabelle, die alle Bundesligapartien seit dem Dienstantritt des in Berlin geborenen Kroaten enthält, sieht da schon besser aus. In diesem Tableau steht der BVB mit 42 Zählern auf Rang zwei hinter den Bayern (49), aber deutlich vor dem Drittplatzierten Leverkusen (35). Und dann ist da noch diese für jeden Klubmanager besonders schöne Bemessungsmethode: die Entwicklung der Spielerwerte, die unter Kovač hervorragend ist.
Allein die Summen, die transfermarkt.de für Karim Adeyemi, Maximilian Beier, Felix Nmecha und Daniel Svensson angibt, sind um insgesamt 37 Millionen Euro gestiegen, seit Kovač beim BVB angestellt ist. Kein einziger Dortmunder Spieler hat an Wert verloren. Obgleich es noch gelegentlich zu den alten Wankelmutmomenten wie beim FC St. Pauli (3:3) oder bei Juventus Turin (4:4) kommt, wo die Dortmunder jeweils einen Zwei-Tore-Vorsprung aus der Hand gaben, wirkt das Mannschaftskonstrukt stabil wie lange nicht. Deshalb traut man Kovač in Dortmund schon zu, gegen einen Klub zu gewinnen, der ihm nach nur 16 Monaten nicht mehr zugetraut worden ist.
„Safety first“-Fußball
Das sind Trainer, die aus überdurchschnittlichen Mannschaften auch Überdurchschnittliches herausholen können. In seiner ersten Saison in München hat Kovač das sogenannte Double, also sowohl die Meisterschaft als auch den Pokal gewonnen. Doch selbst diese Siege waren nicht genug, um die Zweifel daran zu überdecken, dass dem FC Bayern unter Kovač und seinem „Safety First“-Fußball etwas fehlt: eine Spielstrategie, die zum FC Bayern passt.
In seiner zweiten Saison zweifelten die Manager in München nicht mehr nur daran, wie das Team spielte, sondern auch mehr und mehr daran, was der Trainer sagte. Er sagte, dass Thomas Müller, ein Spieler mit großer Macht beim FC Bayern, dann „seine Minuten bekommen“ werde, „wenn Not am Mann sein sollte“. Und er sagte über sein Team: „Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn Sie nur 100 schaffen.“
Der FC Bayern, der größte deutsche Fußballklub, als ein Auto, das gerade einmal 100 Kilometer pro Stunde schafft? Damit war alles gesagt. Kurz danach, im November 2019, musste Niko Kovač gehen. Als sein Assistent Hansi Flick übernahm, sah man in den nächsten Wochen und Monaten, wie schnell diese Mannschaft fahren konnte. Und doch bleibt, dass Kovač mit dem FC Bayern in der Saison 2018/19 das Double gewonnen hat. Das hat nach ihm sonst nur Flick geschafft. Nicht Julian Nagelsmann. Nicht Thomas Tuchel. Und bislang auch nicht Vincent Kompany.
Damit liegt ein beachtenswerter Arbeitsnachweis für einen Trainer in Dortmund vor, der sich hier nicht mit Guardiola und Heynckes vergleichen lassen muss, sondern mit Lucien Favre, Marco Rose oder Edin Terzić. Kovač ist hier nicht mehr zu klein, er ist kein Trainertalent mehr, das endlich in voller Blüte erstrahlen soll. Sondern ein Mann, der in Frankfurt, München und Dortmund drei der wichtigsten Bundesligateams betreute und internationale Erfahrung als Coach der kroatischen Nationalmannschaft und bei der AS Monaco vorweisen kann.
Und menschlich hat er sich auch entwickelt. Nichts mehr ist zu spüren von dieser Verbissenheit seiner ersten Trainerjahre. Kovač wirkt gelassen, souverän und nahbar. Eine im Teamgefüge zentrale Figur wie Thomas Müller würde er nie wieder so despektierlich behandeln wie in seiner Münchner Zeit, was sich gut an seinem Umgang mit Karim Adeyemi erkennen lässt. Während fast jeder Partie kommt es irgendwann am Spielfeldrand zu Gesprächen zwischen dem Angreifer, der so ungern verteidigt, und dem Trainer, für den die defensive Stabilität unverzichtbar ist.
Kovačs Gemeinsamkeit mit dem BVB
Kritische Nachfragen zu den Kontroversen mit Adeyemi beantwortet Kovač mit großem diplomatischem Geschick und ohne tadelnde Zwischentöne. Es war Adeyemi selbst, der erzählte, wie gut ihm der „Tritt in den Hintern“ getan habe, den er und seine Mitspieler von Kovač bekommen haben. Maximilian Beier berichtete in der vergangenen Woche in einem F.A.Z.-Interview, dass es „Lack“ von Kovač gebe, wenn er nicht energisch genug beim Verteidigen hilft, aber öffentlich würde dieser Trainer nie über solche Schwächen seiner Spieler sprechen.
Er hat dazugelernt, schützt auch Leute wie die immer wieder stark kritisierten Niklas Süle oder Emre Can. Julian Brandt vergleicht Kovač mit Florian Wirtz und Jamal Musiala, setzt ihn dann aber trotzdem auf die Bank. „Als Trainer habe ich mich sicher weiterentwickelt“, sagt er. Zudem ist Kovač im Geflecht der von einer langen Konfliktgeschichte belasteten Dortmunder Klubführung klug genug, Neutralität zu bewahren.
Genau wie die Verantwortlichen beim BVB hat Kovač die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass das eigene Niveau sehr hoch ist, aber nicht ganz für die allerhöchsten Gipfel reicht. Diese Gemeinsamkeit verbindet. Und dennoch kann die Lage schnell wieder kippen. Die Dortmunder bestreiten von den kommenden sieben Partien sechs auswärts. Bereits am Wochenende kann das Team auf den fünften Tabellenplatz abstürzen, die Champions League ist grundsätzlich eine schwer berechenbare Herausforderung, und eine Niederlage in der DFB-Pokal-Partie in Frankfurt wäre auch keine Sensation.
Gut, dass die Kritiker in Dortmund, wenn schon keine Freunde, dann doch zumindest Duz-Kollegen des Trainers sind.