Borussia Mönchengladbach: Krise nach Niederlage gegen Union Berlin – Sport

Man tritt Rouven Schröder, 50, seit vergangener Woche neuer „Head of Sports“ von Borussia Mönchengladbach, mutmaßlich nicht zu nahe, wenn man sich an ihn als rustikalen Verteidiger erinnert. Er spielte vornehmlich beim VfL Bochum und dem MSV Duisburg, dort schätzte man das früher vielleicht sogar mehr als heute. Am vergangenen Freitag verfolgte er erstmals in neuer Rolle ein Spiel der Borussia, danach stand er lediglich der ARD für ein Interview zur Verfügung, in dem er Trainer Eugen Polanski, 39, den Rücken stärkte: „Grundsätzlich ist die Überzeugung da.“ Ansonsten lässt sich allenfalls eine weitere Vermutung anstellen. Sie lautet: Sein Verteidigerherz muss nach dem 1:3 (1:2) bei Union Berlin geblutet haben.

Borussia Mönchengladbach, ehedem ein ruhmreicher Verein, der es einst bis in Europa- und Weltpokalfinals schaffte und vor allem in den 1970er-Jahren zum Synonym einer fußballerischen Idealvorstellung wurde, ist ganz unten angekommen. Nach saisonübergreifend 14 Spielen ohne Sieg – darunter die sieben Partien der laufenden Saison – war die Gladbacher Borussia am Freitagabend Tabellenletzter. Und sie wusste auch, dass sie nach dem Spieltag auf einem Abstiegsplatz stehen würde.

Es gab namentlich in der zweiten Halbzeit ein paar Phasen und fußballerische Elemente, die so aussahen, als wäre Gladbach nicht völlig der Orientierungslosigkeit anheimgefallen. Mehr noch: In der zweiten Halbzeit überlebte Union (beim Stand von 2:1) kritische Momente; nichts illustrierte das besser als der nach einer Abseits-Stellung aberkannte Ausgleichstreffer von Haris Tabakovic, 31, der zuvor das 1:2 erzielt und damit einen kleinen Hoffnungsschimmer erzeugt hatte.

Allein: In den ersten 15 Minuten hatte Mönchengladbach in der Defensive eine Abart des Line Dance zur Aufführung gebracht. Das ist ein Country- und Western-Tanz, der einerseits streng choreografierten Abläufen und Schritten folgt, andererseits halt auch ein kontaktfreies Vergnügen darstellt. Union Berlin hatte in der ersten Halbzeit in Danilho Doekhi, 27, einen Spieler, der das doppelt zu nutzen wusste: In der dritten Minute wuchtete er einen Eckball von Christopher Trimmel vom Fünfmeterraum unbedrängt ins Tor. In der 26. Minute war er als Abstauber zur Stelle, als ein Schuss von Unions Stürmer Ilyas Ansah abprallte. Zuvor war Ansah von gleich drei Gladbacher Verteidigern durch den Sechzehnmeterraum eskortiert worden. Und die Entstehung von Tor Nummer drei – ein Werk von Union-Kapitän Rani Khedira aus der 81. Minute – war nicht minder „frustrierend“, wie Tabakovic sagte.

Nach einer Standardsituation lag ein Ball nach einem ungenügenden Klärungsversuch so lange in der Luft, dass man meinen konnte, das Stadion An der Alten Försterei sei zu einem Ort der Schwerelosigkeit mutiert. Khedira, 31, sagte hinterher, dass er viel Zeit hatte, um zu überlegen. Eigentlich wollte er, wie es seinem Auftrag entsprach, den Rückraum verteidigen, dann aber entschied er sich um, lief dem Ball entgegen und jagte ihn volley ins Netz. Die Passivität der Gladbacher war derart himmelschreiend, dass Borussias Kapitän Rocco Reitz mildernde Umstände geltend machen kann, falls ihn jemand für einen Freud’schen Versprecher aburteilen wollte: „Das spricht für uns, dass keiner so richtig die Initiative ergreift“, klagte er am Mikrofon des Senders Sky. Reitz, 23, benannte aber auch einen Fakt: „Da muss jetzt eine andere Borussia her.“

Nur: Welcher Natur diese Borussia sein soll, wirft Fragen von Identität und Selbstverständnis auf. Die Seele Gladbachs (und ihres Anhangs) wurzelt in der Vergangenheit, sie lechzt nach offensiven Akzenten und Wagnissen. Ein wenig konnte man davon erahnen, als der spielerisch enttäuschende Florian Neuhaus die Idee hatte, Unions Torwart Frederik Rönnow, 33, mit einem Schuss vom Mittelpunkt zu überraschen. Der Ball landete allerdings auf dem Tornetz. Man konnte es auch erkennen, als die Gladbacher in der zweiten Halbzeit versuchten, den Ball zirkulieren zu lassen, dann aber Flanken schlugen, die keinen Abnehmer fanden.

Auf der anderen Seite wird es angesichts der Tabellensituation auch jene geben, die für den Abstiegskampf die Devise ausgeben, dass die Betonung ab sofort auf dem Kampf liegen müsse. „Anscheinend müssen wir noch mehr Feuer reinbringen vor dem Spiel. Vielleicht sind sie zu leise als Charaktere“, sagte der in vier Pflichtspielen als Borussia-Trainer sieglose und am Freitag ernüchterte Polanski. „Dann sehe ich es als meine und unsere Aufgabe, noch etwas klarer zu definieren, wie wir ins Spiel reingehen müssen.“

Kein Einstand wie erhofft: Gladbachs neuer Sportchef Rouven Schröder.
Kein Einstand wie erhofft: Gladbachs neuer Sportchef Rouven Schröder. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Dringend wäre das aus Gladbacher Sicht schon. Das Momentum von Negativserien kann infernal sein. Nirgends weiß man darum besser als in Köpenick, wo man sich im November 2023 nach 14 sieglosen Spielen von Aufstiegstrainer Urs Fischer, 59, getrennt hatte. Mit einem Herzen, das seinerzeit ähnlich stark blutete wie das des bei RB Salzburg abgelösten Managers Schröder am Freitag. Er verließ Berlin mit diversen Gewissheiten: dass ein Berg Arbeit auf ihn wartet, dass „vollkommen klar“ sei, dass die Borussia Ergebnisse brauche – und dass die kommende Aufgabe kaum größer sein könnte. Am nächsten Samstag tritt der FC Bayern München zu einem Spiel an, das einst der Klassiker des deutschen Fußballs war. Nun ist es bloß noch ein ungleicher Kampf der Liga unter vielen, den der deutsche Rekordmeister zu bestreiten hat.