Psychische Gesundheit: Wie sich Alleinsein und Einsamkeit unterscheiden

Einsamkeit schmerzt. Besonders Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen sind gefährdet. Es gibt Wege, dem Gefühl zu entkommen. Aber nicht alle, die allein sind, fühlen sich auch einsam.

Es ist ein schmerzhaftes Gefühl, das jeder kennt: Einsamkeit. Das Gefühl, seinen Mitmenschen nicht wichtig zu sein. Das Gefühl, keinen zu haben, der weiß, wie es in einem aussieht. Und das belastet – oft im Stillen und ungesehen.

Zwar gibt es auch Momente, in denen Alleinsein wohltuend ist. Einige Menschen empfinden es sogar als bereichernd, weil es ihnen Raum für Kreativität und Selbstreflexion bietet. Doch wenn sich die Zeit allein nicht mehr frei gewählt anfühlt, sondern schmerzhaft wird, spricht man von Einsamkeit.

In den Industrieländern greift eine wachsende Einsamkeit unter jungen Leuten und Senioren um sich, wie eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kürzlich ergeben hat. Unter den 16- bis 24-Jährigen sank der Anteil mit täglichen Kontakten zu Freunden zwischen 2015 und 2022 von 44 auf 36 Prozent, nachdem es bereits zwischen 2006 und 2015 einen Rückgang um neun Prozentpunkte gegeben hatte, wie die OECD mitteilte.

Von dem Gefühl, dass sich die sozialen Beziehungen verschlechtert hätten, seien junge Menschen zwischen 2018 und 2022 die am stärksten betroffene Gruppe. Sie verzeichneten Verschlechterungen in fast allen Bereichen der sozialen Beziehungen. Unter älteren Menschen ab 65 Jahren wurde unterdessen unter allen Altersgruppen der stärkste Anstieg an sozialer Isolation festgestellt – dabei geht es um den Anteil der Menschen, der angibt, sich nie mit Freunden zu treffen. Der Anteil stieg zwischen 2015 und 2022 um 5,5 Prozentpunkte auf 11,4 Prozent.

Jeder fühlt sich irgendwann mal einsam, das ist völlig normal

„Jeder fühlt sich irgendwann mal einsam, das ist völlig normal“, sagt Psychologieprofessorin Susanne Bücker von der Universität Witten/Herdecke. Problematisch wird es, wenn Einsamkeit lange anhält und Betroffene keinen Weg mehr herausfinden. Dann kann sie die psychische und körperliche Gesundheit gefährden.

In der Psychologie wird Einsamkeit als subjektives Gefühl verstanden. Sie beschreibt die Lücke zwischen den sozialen Beziehungen, die man sich wünscht, und denen, die tatsächlich bestehen. Nicht die Anzahl der Kontakte ist entscheidend, sondern deren Qualität.

Sozialpädagogin Salome Möhrer-Nolte von der Telefonseelsorge Deutschland beschreibt, wie spürbar diese Lücke ist: „Einsamkeit tut weh.“ Gefühle von innerer Leere, Traurigkeit und Rückzug sind typische Anzeichen. Oft ähneln sie sogar depressiven Symptomen. Besonders tückisch: Aus Angst vor Zurückweisung ziehen sich viele Menschen noch weiter zurück – ein Teufelskreis entsteht.

Die Gründe für Einsamkeit sind vielfältig. Trennungen, der Tod nahestehender Menschen oder fehlende soziale Bindungen über längere Zeiträume gehören dazu. Manche Menschen berichten, dass sie sich bereits ihr Leben lang einsam fühlen.

Ängstliche Menschen fühlen sich stärker einsam

Auch die Persönlichkeit spielt eine Rolle. Ängstliche oder schüchterne Menschen neigen eher dazu, Einsamkeit intensiver zu erleben. „Das heißt nicht automatisch, dass diese Personen immer einsam sind“, betont Bücker. „Aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit, vor allem in belastenden Lebenssituationen.“

Trotz ihrer Verbreitung bleibt Einsamkeit oft unausgesprochen, etwa weil Betroffene die Schuld auf sich selbst schieben: „Man hat den Eindruck, man sei es nicht wert, dass andere mit mir Zeit verbringen“, sagt Bücker. Auch Möhrer-Nolte beobachtet: „Keiner sagt gerne: ‚Ich bin einsam‘. Es schwingt oft die Angst mit, nicht liebenswert genug zu sein.“

Gerade deshalb sei es wichtig, sich das Gefühl einzugestehen. Anonyme Anlaufstellen wie die Telefonseelsorge bieten einen niedrigschwelligen Zugang. „Allein das Zuhören hilft schon vielen weiter“, berichtet Salome Möhrer-Nolte. Für manche ist es der erste Schritt zurück ins soziale Leben.

Umso wichtiger ist das, weil Einsamkeit die Wahrnehmung beeinflussen kann: Wer lange einsam ist, sieht die Welt oft durch eine verzerrte Brille. Harmlose Gesten anderer werden schnell negativ gedeutet. „Menschen, die lange allein sind, nehmen soziale Kontakte oft als Bedrohung wahr“, erklärt Susanne Bücker. Diese Wahrnehmung verstärkt das Misstrauen – ein Nährboden für gesellschaftliche Entfremdung.

Was aber kann ich tun, um einen Weg aus der Einsamkeitsspirale zu finden? Wie komme ich wieder unter Menschen und fühle mich wohl?

„Grundsätzlich ist es viel leichter, alte Kontakte zu reaktiven als neue zu knüpfen“, sagt Susanne Bücker. Ihr erster Rat lautet daher: Das Telefonbuch im Handy oder den Chat-Verlauf durchgehen und sich bei jenen zu melden, mit denen man länger nicht Kontakt hatte. „Die meisten Menschen finden das gut! Die Gefahr, zurückgewiesen zu werden, ist sehr viel kleiner, als viele meinen“, sagt die Einsamkeitsforscherin.

Auch die OECD-Studie kam zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Menschen in den Industrieländern, die sich persönlich mit anderen treffen, in den letzten 15 Jahren stetig zurückgegangen ist, während der häufige Kontakt mit Freunden und Familie über Telefon oder soziale Netzwerke zugenommen hat. Eine wachsende Minderheit bleibe sozial isoliert – sie treffe sich nie mit Freunden und habe keinen Kontakt zu ihnen. Dieser Trend habe sich in den Jahren nach der Corona-Pandemie noch beschleunigt.

Auf Gemeinsamkeiten achten

Um dem entgegenzuwirken, hat die Psychologin einen zweiten Tipp: Durch die Stadt gehen und ganz bewusst auf Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen achten. Etwa den gleichen Kleidungsgeschmack, die gleichen Schuhe oder den gleichen Kuchen, den man im Café aussucht. Denn Menschen, die sich einsam fühlen, tendieren dazu, Unterschiede wahrzunehmen. „Wenn ich jedoch sehe, da ist mir jemand ähnlich, erzeugt das ein Gefühl von Sympathie und schult den Blick, dass nicht alle um einen herum anders sind als man selbst.“

Ein weiterer Rat von Bücker lautet, sich im Alltag stärker auf positive Reize zu konzentrieren. Dafür ein paar trockene Erbsen in die rechte Hosentasche stecken und immer, wenn man etwas Schönes wahrgenommen hat, eine davon in die linke Tasche wechseln. „Abends sieht man dann, wie viele den Weg rüber gefunden haben!“ Wer sich bewusst über Kleinigkeiten freut – Sonnenschein, Blumen am Wegesrand, das Lächeln einer Kassiererin im Supermarkt – nimmt den Alltag nicht mehr als „als grauen Einheitsbrei“ wahr.

Jeder kann durch sein eigenes Verhalten auch selbst dazu beitragen, dass er sich nicht nur auf das Negative fokussiert. „Die Forschung zeigt, dass durch sogenannte ‚acts of kindness‘ das eigene Wohlbefinden und Zugehörigkeitsgefühl gesteigert werden“, sagt Bücker. Also: Einfach mal jemanden an der Kasse vorlassen und das gute Gefühl genießen.

Wer es jedoch auch auf Dauer nicht schafft, sich aus der Einsamkeit zu befreien, wer sich immer mehr zurückzieht und das Gefühl hat, das eigene Leben und man selbst habe keine Relevanz, sollte sich professionelle Hilfe suchen: angefangen von der Telefon- oder Chat-Seelsorge über den Hausarzt oder eine Sozialberatungsstelle bis zur Akut-Sprechstunde einer psychotherapeutischen Praxis.

dpa/ly/wb