SZ Salon-Gipfel: Weniger Bürokratie, aber wie? – Wirtschaft

Die Bürokratie hat keinen guten Ruf. Schon ihr Namensgeber, der französische Wissenschaftler Vincent de Gournay, verlieh dem Begriff im 18. Jahrhundert mit seiner Definition, „die Herrschaft des Büros“, eine negative Konnotation. In Deutschland versuchen Regierungen seit Jahren, diese Herrschaft einzudämmen. Auch die aktuelle Regierung reiht sich ein mit ihrem Bestreben zum „beherzten Rückbau“ der Bürokratie. Doch bisher blieben ihre Bemühungen um Abbau ohne Erfolg.

Nun scheint sich Deutschland einem Kipppunkt zu nähern: Bürokratie wird nicht mehr nur als lästig empfunden, sondern als „entscheidendes Hemmnis für Wachstum und Innovation unserer Wirtschaft“, sagt Klaus Schmidt, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums. Am vergangenen Donnerstag hat der Ökonom einen Vortrag beim SZ Gipfel-Salon gehalten, der von der SZ mitveranstaltet wird.  Auf den Vortrag von Schmidt folgte eine Diskussion mit Sabrina Koch der Unternehmensberatungsfirma UnternehmerTUM und Carrie Wade von British American Tobacco.

Um das Problem der überbordenden Bürokratie zu lösen, reicht kein Kahlschlag, sagt Schmidt. In Ländern, in denen die Bürokratie radikal reduziert wird, gedeihen Korruption, Unsicherheit und der Angriff auf Bürgerrechte. Ein Blick nach Argentinien belege das. Die Lösung für Deutschland sei es, stärker auf die Ursachen des Problems einzugehen. Es gehe darum, die „systematischen Probleme systematisch zu lösen“.

Etwa passiere es aktuell zu oft, dass Gesetze ihren ursprünglichen Sinn verfehlen und stattdessen Prozesse verkomplizieren. Als Beispiel führt Schmidt das Lieferkettengesetz an: Dieses wurde als Reaktion auf den Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch 2013 konzipiert. Das Gesetz soll Unternehmen in die Verantwortung nehmen und bessere Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette ermöglichen. Was für den Einzelfall sinnvoll erschien, macht Prozesse in anderen Branchen erheblich komplizierter. Vor allem gebe es aber keinen Beleg dafür, dass das Gesetz die Situation für Arbeitnehmer entlang der Lieferkette wirklich verbessert hat, so Schmidt.

Sabrina Koch von UnternehmerTUM kennt das Problem von ausufernden Gesetzen, die ihren ursprünglichen Zweck nicht erfüllen. Koch arbeitet vor allem mit Unternehmen aus dem Mittelstand zusammen. Insbesondere wenn ihre Klienten versuchen, die eigene Produktion nachhaltiger zu gestalten, sei das oft „sehr kompliziert“, so Koch. Sie wünscht sich daher mehr Freiheiten für Unternehmen. Man könnte etwa darüber nachdenken, Unternehmen probeweise von Auflagen zu befreien, wenn sie mit einem Prozess ein Ziel, wie Nachhaltigkeit, verfolgen.

Am wichtigsten ist für Klaus Schmidt mehr Kooperation beim Verfassen von Gesetzen. Ministerien, Verwaltung und Betroffenen sollen zusammenarbeiten, damit Gesetze von vornherein praxisnah und ergebnisorientiert entstehen. „Praxischeck“ nennt sich der Ansatz. Messungen könnten darüber hinaus prüfen, ob Gesetze ihren Zweck erfüllen. Sollte dies nicht der Fall sein, müsste man die Regeln konsequenterweise wieder abschaffen, so Schmidt.