
Für Andreas Bühl begann dieser Freitag mit der Produktion einer Art Gegendarstellung. Aus dem digitalen Malkasten nahm er ein dickes rotes Kreuz und pappte es auf eine Nachrichtenkachel der Bild. Auf dieser Kachel war zu lesen: „Immer mehr CDU-Politiker fordern: Die Brandmauer zur AfD muss fallen!“ Neben dieser Überschrift hatte die Redaktion ein Foto von Bühl platziert. Er sieht darauf aus wie ein Fußballfan in der Sekunde, bevor sein Team nach langem Bemühen endlich ein Tor schießt.
Auf Twitter beziehungsweise X beziehungsweise eben im Internet erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag nun seinen Widerspruch zu dieser Lesart mit dem dicken roten Kreuz und zusätzlich mit folgender Wortmeldung: „Nein, BILD! Nicht mit einem Satz habe ich jemals gefordert, dass die Brandmauer fallen soll.“ Man kann den Unmut von Bühl durchaus verstehen. Darüber, als Fürsprecher einer neuen Parteilinie dargestellt zu werden – mitten in der von einigen Bundesehemaligen aus der Union (Peter Tauber, Karl-Theodor zu Guttenberg) sowie dem mitteilungsfreudigen Historiker Andreas Rödder wieder auf laut gedrehten Brandmauerdebatte. Denn sowohl der politische Diskurs als auch die politische Praxis sind im Erfurter Landtag wie anderswo im Osten viel komplexer, manchmal auch weiter. Und so ist es auch die Position von Andreas Bühl, auf die gleich noch einzugehen sein wird.
Zunächst aber hilft es vielleicht, sich zu überlegen, warum der neuerliche Debattenanstoß gerade jetzt kommt. Für die Bundes-CDU gibt es zwar eine grundsätzliche Notwendigkeit, ihre Position zur AfD zu diskutieren – was es aber nicht gibt, ist eine akute Not, ihre Beschlusslage zu überdenken. Diese ist eindeutig und wird es auch über die Klausurtagung des Parteipräsidiums am Wochenende hinaus bis auf Weiteres sein. Keine Zusammenarbeit mit der AfD, das ist die Devise. Das gilt zwar schon seit Jahren nicht mehr so strikt für die kommunale Ebene, was alle in der CDU auch längst akzeptieren, mal mehr, mal weniger schweigend. Es gilt aber für die gesetzgeberischen Ebenen und damit allen voran für den Bund, wo das nächste Mal erst 2029 gewählt werden soll.
Nun ist es aber auch so, dass die AfD sich zuletzt bei den Kommunalwahlen in NRW verdreifachte und fast im Wochenrhythmus eine neue Umfrage für das im Herbst 2026 wählende Sachsen-Anhalt hereinkommt, in der der gemessene Wert der AfD klettert wie die Temperatur in einer Hitzewelle. 40 Prozent wurden ihr jüngst vom Institut Insa zugetraut. Das, so ist die weitverbreitete Überzeugung, könne auf Bundesebene zwar nie passieren. Jedoch ist die AfD auch in Umfragen zur Bundestagswahl inzwischen teilweise stärker als die CDU. Vielleicht, das ist eine Überlegung, müsse man es nun anders machen als bisher, damit nicht das ganze Land irgendwann ostdeutsch wählt. Andere Strategien – ignorieren, ausgrenzen, ächten – hätten ja offenkundig nicht geholfen.
Das Problem fängt schon beim Begriff an
Sicher ist: Das scheinbar unverbrüchliche Zulegen der AfD allüberall führt dazu, dass zwar die Argumente für die Brandmauer nicht an Gültigkeit verlieren – und dennoch die Debatte um die Richtigkeit dieser Haltung Mal für Mal hochkocht.
Und wie immer in Debattendeutschland fängt das Problem schon bei den Begriffen an. Brandmauer: Heißt das, dass man die AfD komplett ignorieren sollte, sich jeder Kontakt verbietet, dass man unter keinen Umständen auch nur irgendwas mit ihr anstellt? Oder heißt es, dass sich lediglich eine Koalition mit ihr strikt verbietet, sonst aber die Kontaktverbote Stück für Stück gelockert werden? Schon weil man den bislang stetig größer werdenden Teil der Wählerschaft, den die AfD repräsentiert, nicht weiter missachten kann?
Für die zweite Definition plädieren viele Unionspolitiker im Osten schon länger. Und ein bisschen wirkt es, als setzte sich diese Position perspektivisch womöglich auch auf Bundesebene durch.
Eine solche Einstellung lässt sich dann auf die Thüringer CDU zurückzuführen, also auf die Fraktion von Andreas Bühl. In Erfurt hat man es mit einer speziellen Union zu tun (Annegret Kramp-Karrenbauer weiß das am besten), auch mit einer besonders extremen AfD unter Björn Höcke. Man muss als CDU aber trotzdem mit der Ausgangslage umgehen, dass die AfD hier schon lange sehr stark ist und seit einem Jahr sogar über eine sogenannte Sperrminorität verfügt. Die AfD hat mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag. Es gibt also keine Möglichkeit, ohne die Partei Entscheidungen herbeizuführen, für die es eine Zweidrittelmehrheit braucht. Verändern solche Umstände – egal, wie man zur AfD steht – nicht jede Brandmauer-Diskussion?
In Teilen Thüringens ist dieser Umgang mit der AfD längst Praxis
In Thüringen ging er tatsächlich los, dieser so laut beschworene neue Umgang mit der AfD. Und zwar an einem Herbsttag vor zwei Jahren. Da brachte die Union (damals noch in der Landtagsopposition gegen eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung) einen Antrag ein, um die Grunderwerbsteuer zu senken. Die Regierung war dagegen, die AfD dafür, und so verhalf Höckes Partei der CDU zur Mehrheit.
Es war ein Riesenskandal, der sich schon im Vorfeld angekündigt hatte, die Thüringer Union aber blieb dabei und zog durch. Sie brachte den Antrag ein, die AfD spielte das Spiel mit, Rot-Rot-Grün tobte. Deutschland beugte sich mal wieder über den Lieblingspatienten Thüringen, in der dortigen Union aber herrschte schon damals eigentlich nur eine Stimmung vor: Uns geht’s prima. Endlich wieder Handlungsoptionen, endlich haben wir uns getraut.
Spricht man heute mit CDU-Politikern in Erfurt, nach dem neuesten Tauber-Guttenberg-Rödder-Vorstoß, dann sagen sie: Das, was die Männer nun fordern, machen wir doch schon seit Jahren so – nur haben wir dafür noch etwas heftigeren Gegenwind erfahren. Die Haltung ist immer dieselbe: Wir als Union dürfen unsere Themen nicht aus den Augen verlieren. Wir als Union müssen das tun, was wir für richtig erachten, und wenn das zufällig die AfD auch gut findet, dann ist es halt so. Wir als Union dürfen uns von der AfD nicht vorschreiben lassen, welche Positionen wir einnehmen. Sonst, das ist dann der letzte Satz in der Argumentationskette, sonst geben wir ihr noch mehr Macht, als sie eh schon hat.
Natürlich würde auch die CDU im Osten, wie teilweise früher, am liebsten allein regieren. Natürlich wird sie gleich ganz sehnsüchtig, wenn, wie in Sachsen, eine Minderheitsregierung aus CDU und SPD vergleichsweise stabil funktioniert: Vielleicht könnte das ja auch anderswo gehen und vielleicht geht das sogar unter dem unionsintern gerade sehr beliebten Motto „CDU pur“? Also, dass man einfach allein regiert, ohne Mehrheit zwar, aber mit der großen Überzeugung, gute Ideen zu haben – man kann ja einfach mal schauen, wer am Ende den eigenen Anträgen zustimmt, und sei es halt die AfD.
Die AfD hat die CDU zum Feind erklärt
So naiv das bisweilen klingen mag, das ist die Lage in weiten Teilen der Ost-CDU. Umso erfreuter wirken einige in den ostdeutschen Landesverbänden nun, dass diese Haltung auch eine Etage höher diskutiert wird. Man muss dazu wissen, dass es zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen zwar Christdemokraten gibt, die mit einer Schwarz-Blau-Regierung liebäugeln – man muss dazu aber auch wissen, dass das in der aktuellen Hierarchie (AfD oft stärker als CDU) sehr unwahrscheinlich ist und deutlich mehr ostdeutsche CDUler verstanden haben, dass die AfD für ihre Partei nicht das Freiticket zurück in komfortable konservative Regierungsmehrheiten ist. Sondern dass die AfD die CDU vielmehr zum Feind erklärt hat, der bestenfalls übergangsweise als eine Art Wirtstier infrage kommt.
Die Hoffnung an besagtem neuen Umgang der CDU mit der AfD auf Landesebene ist eine andere, nämlich die, Wähler zurückzugewinnen. Durch eine – vereinfacht gesagt – rechtere Politik den rechteren Wählern zu signalisieren, dass sie auch bei der Union ein Zuhause hätten.
Wobei man manchmal den Eindruck bekommt, dass die Hoffnung eigentlich darin liegt, nicht noch mehr Wähler zu verlieren. Und damit ist man im Osten vielleicht auf paradoxe Art und Weise auch wieder ein bisschen weiter im Umgang mit der AfD. Langsam macht sich nämlich so etwas wie Resignation breit bei einigen Christdemokraten. Man hört das immer wieder: die Verzweiflung darüber, dass viele Wähler gar nicht zurückgeholt werden wollen. Dass sich ihre Gunst und der Trend womöglich längst entkoppelt haben von jedweden programmatischen Initiativen, dass sie also AfD, völlig unabhängig davon, was die CDU macht und wie sie sich zur AfD positioniert.
Was hätte wiederum das zu bedeuten? Schwierige Frage. Im Osten hat man angefangen, auch darüber nachzudenken. Das wird etwas schwieriger sein und langwieriger als auf einem hellblauen „Willst Du mit mir gehen?“-Zettel schnell ja, nein oder vielleicht anzukreuzen.