
Wie das Herz der Londoner Frieze schlägt, zeigt sich gleich am Eingang. Direkt der Kunstmesse gegenüber nimmt die brasilianische Galerie Portas Vilaseca mit einer Schau des zur Ethnie der Tz’utujil-Maya in Guatemala gehörenden Antonio Pichillá Quiacaín den Ehrenplatz ein, den sich einst große internationale Händler teuer erkauften. Diese müssen seit vergangenem Jahr den Solodarbietungen jüngerer Galerien weichen, die das Auswahlkomitee prominent platziert, um frischen Wind in die zeitgenössische Szene zu bringen.
Jung und aufstrebend statt arriviert
White Cube, Gagosian, Thaddaeus Ropac oder Hauser & Wirth mögen mit den Stars, die sie vertreten, die höchsten Umsätze machen. Die Frieze London ist aber auch darauf bedacht, im „Focus“ überschriebenen Bereich kleinere, teilweise subventionierte Galerien mit experimenteller Kunst zu fördern. Das soll die „Britart“-Dynamik aufrechterhalten, der die Messe ihre Entstehung vor 23 Jahren verdankt.Pichillá Quiacaíns Arbeiten aus Ästen, Steinen und der traditionellen Weberei seiner indigenen Kultur (10.000 bis 17.000 Dollar) treffen einen Nerv der Zeit. Das spirituelle Verhältnis zur Erde, die Fragilität der Umwelt, die eigene Herkunft und die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus sind auf der Frieze nicht nur an den Ständen mit Nachwuchskünstlern wiederkehrende Themen. Einige Galerien, darunter Thaddaeus Ropac, haben sich denn auch der Initiative für einen umweltfreundlicheren Kunstbetrieb angeschlossen und spenden zehn Prozent des Verkaufspreises bestimmter Werke der Gallery Climate Coalition.

Neben Naturzerstörung ist Identitätspolitik das zweite Leitthema in dem riesigen Zelt am Regent’s Park, in dem dieses Mal fast 170 Aussteller ihre Waren feilbieten. Neu ist die kuratierte Abteilung „Echoes in the present“, Echos in der Gegenwart. Im Debütjahr geht es um den künstlerischen Dialog zwischen Westafrika und Brasilien unter dem Gesichtspunkt der anhaltenden Auswirkungen des transatlantischen Sklavenhandels. Dazu gehört der Identitätsraub an den über den Atlantik Verschleppten, wie die Brasilianerin Aline Motta zeigt, die am Stand der Mitre Galeria aus Belo Horizonte Spuren ihrer Vorfahren künstlerisch rekonstruiert.
Bei Frith Street (London) sind großformatige, aus bunten Textilien collagierte Porträts zu sehen, die Małgorzata Mirga-Tas ausgehend von Archivmaterial zum Leben der Roma-Bevölkerung im Nowa-Huta-Bezirk von Krakau geschaffen hat (65.000 bis 75.000 Pfund). Aus den beschrifteten Seiten eines alten arabischen Gedichtbuchs gewoben ist die Arbeit der chilenischen Künstlerin Catalina Swinburn bei Selma Feriani aus Tunis (16.000 Pfund). Wie Teppiche wirken die Leinwände der von White Cube vertretenen Peruanerin Sara Flores, deren mit einheimischen Pflanzenfarben gemalte geometrische Muster auf der Kosmologie ihres Shipibo-Conibo-Volkes im Amazonasgebiet basieren. An altägyptische Reliefplatten erinnern die rund zweieinhalb Meter hohen, mit modifiziertem Gips überzogenen Holztafeln, die Lauren Halsey mit witzigen Motiven aus der afrokaribischen Straßenkultur von Los Angeles versieht. Die Gagosian Gallery hat den ganzen Stand mit ihren Werken bestückt. Gleich am ersten Tag waren alle verkauft. Halseys bunte Skulptur im Stil amerikanischer Einkaufszentrumsschilder mit Sprüchen wie „Bling Tax and Things“ und „House of Hotties“ wirkt dagegen wie eine ironische Werbung für Glanz und Glamour der Frieze-Messe.

Das VIP-Publikum wirkte dieses Mal zwar weniger extravagant als in früheren Jahren, und das Gedränge am Eröffnungstag war nicht ganz so groß. Doch Befürchtungen, dass sich die Hiobsbotschaften über den schwächelnden Kunstmarkt, die Konkurrenz der Art Basel Paris und eine britische Steuergesetzgebung, die Megareiche zur Abwanderung motivieren könnte, negativ auf die Frieze auswirken könnten, bewahrheiteten sich nicht. Die Messe erweiterte ihr Portfolio sogar mit einer neuen, für 2026 angekündigten Messe in Abu Dhabi und schließt damit zum Wettbewerber aus Basel auf, der nächstes Jahr in Qatar aktiv werden wird.
Hauser & Wirth meldete am Eröffnungstag mehr als dreißig Verkäufe auf der Frieze und der Frieze Masters, darunter Gabriele Münters Bild „Der Blaue Garten“, das für 2,4 Millionen Franken verkauft wurde. Thaddaeus Ropac, Sprüth Magers, David Zwirner und Lehmann Maupin verzeichneten gleichfalls hohe Umsätze. Malerei dominiert das Angebot, darunter die Porträts von Sarah Ball bei der Stephen Friedman Gallery (London, New York). Starke Präsenz zeigten aber auch großformatiger Zeichnungen von eindrucksvoller Qualität wie etwa zwei beinahe lebensgroße Selbstporträts von Barbara Walker, von denen die Tate eines erworben hat, sowie die sechs Meter breite, mit farbiger Stickerei überhöhte Pflanzenzeichnung der Kolumbianerin Nohemí Pérez bei der Pariser Galerie Mor Charpentier (55.000 Euro) und die herrlichen Pastelle von Paula Rego.

Das überlegtere Arrangement der Frieze London machte sich auch auf den von der Messe kuratierten Ständen der Frieze Masters bemerkbar. Francesca Galloways (London) von tiefem Wissen und geschultem Auge zeugendes Angebot an höfischer indischer Kunst gehörte zu den schönsten Ständen. Auch der britische Antikenhändler Rupert Wace und Art Ancient beeindrucken wie immer mit ihrem erlesenen Sortiment. Auffallend ist außerdem die hohe Qualität der britischen Kunst des 20. Jahrhunderts bei Hazlitt Holland-Hibbert, Offer Waterman und Piano Nobile, an der sich das Altmeisterangebot nicht messen kann. Berichten, wonach der Londoner Kunstmarkt am Ende sei, sollte man nicht trauen.
Frieze und Frieze Masters, The Regent’s Park, London, bis zum 19. Oktober, Standardticket 51,15 Pfund