Streit über Rente: Etwas ist faul in dieser Koalition

Die Lage der Koalition zeigt, dass die Mutter der Demokratie nicht etwa der Kompromiss ist, wie der Bundeskanzler sagt, sondern der Streit. Gegensätze lassen sich nicht einfach auflösen, nicht durch Koalitionsverträge, nicht durch Verhandlungen, nicht einmal durch Kompromisse. Am Ende entscheidet die Mehrheit. Nichts zeigt das so deutlich wie der Konflikt über die Wehrpflicht.

Weil es für sie in der Koalition zwar Sympathien, aber keine Mehrheit gibt, muss ein Kompromiss gefunden werden. Das Ergebnis sei ein „fauler“, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius sagt. Da hat er recht, obgleich sein Ministerium einen Kompromiss vorschlägt, der nicht viel ehrgeiziger ist.

Etwas ist faul an der Sache, weil klar ist, was die Landesverteidigung, also die wichtigste Angelegenheit, die ein Staat zu erledigen hat, verlangt. Die Bundeswehr braucht dringend Rekruten, und die Erfahrung lehrt, dass so viele junge Männer sich freiwillig nicht melden werden. Es ist schon ein Fehler, dass nur Männer verpflichtet werden sollen. So wichtig kann es mit der Gerechtigkeit also nicht sein.

Vollends faul wird es aber, wenn nicht mehr die Interessen der Bundeswehr im Mittelpunkt der Debatte stehen, sondern Philosophen darüber befragt werden, ob Losverfahren gerecht sind. Währenddessen stellen Nachrichtendienste fest, dass wir uns längst in einem hybriden Krieg mit Russland befinden.

Auch die Rentenpolitik läuft in die falsche Richtung

Faul ist aber noch etwas anderes. Nicht nur die Wehrpflicht ist eine Entscheidung, die dringend getroffen werden sollte, weil die Realitäten nun einmal so sind, wie sie sind. Der Zufall will es, dass gleichzeitig eine andere Entscheidung die Koalition quält, die ebenfalls von der Realität längst überholt wurde, das Rentenpaket. So wie noch jede Koalition die Landesverteidigung in den vergangenen drei Jahrzehnten sträflich vernachlässigt hat, so taten sie es auch mit der Rentenpolitik.

Noch immer fehlt in Deutschland eine effektive und populäre dritte, private Säule der Altersversorgung. Schweden gilt beim Wehrdienst als Vorbild, es sollte auch für die Rente ein Vorbild sein. Seit Ende der Neunzigerjahre gibt es dort eine von Sozialdemokraten eingeführte private Rentenversicherung neben einer steuerfinanzierten.

Deutschland hat sich nicht daran orientiert, sondern ein kompliziertes, mit Hürden gespicktes Riester-Modell eingeführt, das seine Aufgabe nicht erfüllen kann. Statt den Weg einer dauerhaften Entlastung der gesetzlichen Rentenversicherung schlug aber jede Regierung den Weg in die unbezahlbare Überfrachtung ein.

Das tut nun, allen Reformversprechen zum Trotz, auch diese Koalition. Sie erhöht die Mütterrente, stiftet einen „Frühstart“, vergibt Steuerprivilegien und setzt den dämpfenden Demographiefaktor bis auf Weiteres aus. Dadurch entstehen erhebliche Kosten. Wieder ist es der Kompromiss, der hochgehalten wird, wieder ist es ein fauler. Denn was falsch läuft, muss irgendwann behoben (und bezahlt) werden – offenbar haben das nur 18 junge Abgeordnete in der Unionsfraktion begriffen.

Aktivismus in der Klimapolitik ist verfehlt

In einem dritten symptomatischen Feld könnte sich die schwarz-rote Koalition sogar Faulheit leisten, in der Klimapolitik. Der Bundeskanzler hat es noch einmal bekräftigt: Nicht Verbote und staatliche Pläne sind die beste Wahl in der Klimapolitik, sondern Offenheit, Anreize und Produktivität. Dafür müsste sich die Politik aber zurückhalten. Sie dürfte nicht mit immer neuem Aktionismus regulierend eingreifen und damit ihren Fleiß zeigen wollen. Sie müsste vor allem den Anspruch aufgeben, sie allein wisse, wie und wann genau Klimaneutralität erreicht werden sollte.

Das Beispiel des Volksentscheids in Hamburg zeigt, wie schwierig es ist, diesen Weg gegen eine wirkungsmächtige kleine Gruppe kapitalismuskritischer Klimaaktivisten durchzusetzen. Auch der Streit um den „Verbrenner“ offenbart zwei unversöhnliche Politikkonzepte, die in der Koalition aufeinanderprallen, deren Gegensätze Friedrich Merz nicht überstrahlen kann.

Schon die Ampelkoalition ist daran gescheitert. Vielleicht ist das der Grund, warum Frank-Walter Steinmeier eine „kommunikative Fehlleistung“ in Sachen Wehrdienst tadelt. Es wäre nicht die erste; aber für einen Bundespräsidenten ist es ungewöhnlich, dass er die Arbeit der Regierung quasimonarchisch bewertet. Es ist Ergebnis einer Verlegenheit, in die eine Politik geraten ist, die für sich die Mitte reklamiert. Dort wurden früher Gegensätze ausgefochten, anschließend regierte die Mehrheit. Die Gegensätze sind geblieben, aber keiner ihrer Pole hat noch eine Mehrheit.

Das Ruder in Deutschland herumzureißen, ist dadurch fast unmöglich geworden. Der Wille, sich den Realitäten zu stellen, verflüchtigt sich in einer Schritt-für-Schritt-Politik, wie sie gerne gelobt wird. Doch die Mitte wird dabei nicht größer, sondern kleiner. Die neuen Mehrheiten, die sich dadurch abzeichnen, lassen leider erst recht darauf schließen, dass etwas faul ist im Staate Deutschland.