Turn-WM in Indonesien: Israelische Turner dürfen nicht zur WM – das verstößt gegen Statuten – Sport

Die Weltmeisterschaften im Kunstturnen beginnen am Sonntag in Jakarta ohne den Titelverteidiger am Boden: Artem Dolgopyat, 28, olympischer Gold- und Silbermedaillengewinner, ist nicht verletzt, auch nicht beruflich verhindert, in Trainingsvideos auf seinem Social-Media-Kanal sieht man ihn locker auf Matten Salti springen. Nach Jakarta reist Dolgopyat nicht, weil er nicht darf: Die indonesische Regierung hat ihm und weiteren fünf israelischen Turnern am vergangenen Freitag die erforderlichen Visa verweigert. Er sei verständlicherweise „schockiert und traurig“, hat Dolgopyat am Dienstag mitgeteilt, weil sich auch zwei Eilanträge gegen die Willkürentscheidung vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne am Dienstag als vergeblich erwiesen.

Dass der Turnweltverband einschreitet, ist ebenfalls nicht zu erwarten. Am Mittwoch ließ die Fédération Internationale de Gymnastique (FIG) auf ihrer Homepage wissen, dass ihr bei derlei staatlichen Souveränitätsangelegenheiten die Autorität fehle: In Visafragen, heißt es, seien der FIG die Hände gebunden.

Niemand kann allerdings sagen, dass es eine große Überraschung ist, dass die israelische Mannschaft nicht nach Indonesien reisen darf. Bemerkenswert ist höchstens, dass die Wettbewerbe an ein Land gegeben wurden, das Israel diplomatisch nicht einmal anerkennt.

Als die Entscheidung der indonesischen Regierung vorige Woche bekannt wurde, war die Aufregung trotzdem groß. Im Hintergrund wurde wohl noch an einer Lösung verhandelt, die den Athleten geholfen hätte. Denn sportpolitische Kompromisse sind auch im Turnen nicht ausgeschlossen: Russische Sportler dürfen trotz des Überfalls auf die Ukraine seit diesem Jahr als unabhängige Athleten wieder im Wettkampf an die Geräte gehen. Nach der Entscheidung des Sportgerichtshofs Cas jedoch bestätigte der israelische Turnverband der Nachrichtenagentur Reuters, dass die israelischen Athleten nicht bei der WM turnen werden, und bezeichnete die Entscheidung, keine Visa auszustellen, „als schockierend und herzzerreißend“. Das Schiedsgericht hatte einen Einspruch gegen die FIG mit der Begründung von Nichtzuständigkeit zurückgewiesen. Eine zweite Eingabe, unterstützt vom Tokio-Olympiasieger Dolgopyat und seinen israelischen Kollegen, die versuchte, den internationalen Turnverband zu zwingen, die Teilnahme Israels sicherzustellen oder den Veranstaltungsort zu verlegen, wurde ebenfalls abgelehnt. Eine Berufung ist noch anhängig.

Indonesien hatte den Einreisestopp für die Israelis mit Verweis auf die Gräuel im Gaza-Krieg begründet und den Beschluss auch nach dem Friedensabkommen am Wochenende nicht revidiert. Yusril Ihza Mahendra, Indonesiens Minister für Recht und Menschenrechte, erklärte am Montag, die Verweigerung der Visa spiegele „die langjährige Außenpolitik Indonesiens wider, Israel diplomatisch nicht anzuerkennen und die Unabhängigkeit Palästinas weiterhin nachdrücklich zu unterstützen“. Die Entscheidung folgte auf öffentlichen und politischen Druck von religiösen Gruppen, lokalen Behörden und politischen Parteien, die seit zwei Jahren gegen Israels Vorgehen in Gaza protestieren. Auch Indonesiens Jugend- und Sportminister Erick Thohir, Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees, befürwortete die Entscheidung und betonte, sie sei getroffen worden, um die Sicherheit und Ordnung während der Veranstaltung zu gewährleisten.

Indonesien ist das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit

Jakarta unterhält offiziell keine diplomatischen Beziehungen zu Jerusalem und gilt als wichtiger Unterstützer der Sache der Palästinenser. Indonesien ist das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit. Von den 274 Millionen Einwohnern Indonesiens sind etwa 87 Prozent Muslime. Auch aufgrund der eigenen Kolonialgeschichte fühlt man sich den Palästinensern verbunden. In Deutschland wurde das besonders deutlich, als antisemitische Motive eines indonesischen Künstlerkollektivs auf der Documenta auftauchten. Auch damals hätte es genügt, einmal zu googeln, wie Indonesien zu Israel steht.

Im Jahr 2023 wurde dem fußballbegeisterten Indonesien die Austragung der U20-Fußballweltmeisterschaft nur zwei Monate vor dem Wettbewerb entzogen, nachdem es zu politischen Protesten wegen der Teilnahme Israels gekommen war. Seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem Vernichtungsfeldzug, den Israel daraufhin in Gaza entfesselte, werden die Social-Media- und Nachrichtenkanäle des Landes geflutet mit Bildern von getöteten Frauen und Kindern. 74 Prozent der Indonesier hätten eine negative Meinung über Juden, stellte das Pew Research Center in Washington bereits 2010 fest. Als Grund gilt, dass Israel als Kolonialmacht wahrgenommen wird.

Der Deutsche Turnerbund hat dem Weltverband sein „Unverständnis“ schriftlich mitgeteilt

Auch im Sport verfolgt Jakarta seit Jahrzehnten eine klare Linie. Bereits 1962 wurden Taiwan und Israel von den Asienspielen ausgeschlossen. Eine Überraschung kann der Ausschluss also für den Turnweltverband nicht gewesen sein.

Dass das WM-Ausrichterland den Statuten der FIG zuwiderhandelt, dürfte unstrittig sein. Denn Artikel 26.4 schreibt die Pflicht zur Ausstellung von Einreisevisa an alle Athleten der Mitgliedsländer fest. Eine Weigerung habe „den sofortigen Entzug des Wettbewerbs durch das Exekutivkomitee“ des Weltverbands zur Folge. Artikel 26.5 gibt demselben Exekutivkomitee aber die Entscheidungsgewalt, „in Ausnahmefällen“ die Fortsetzung, Verlegung oder Absage anzuordnen. Der Deutsche Turnerbund sieht jedenfalls keine Grundlage für den Ausschluss israelischer Athletinnen und Athleten und hat dem Weltverband sein „Unverständnis“ schriftlich mitgeteilt.

Warum die FIG sich nicht an ihre Statuten hält, warum sie keine Maßnahmen gegen den WM-Ausrichter in Jakarta ergreift, warum in Kenntnis der Ausgangslage die Weltmeisterschaften überhaupt nach Indonesien vergeben wurden, bleibt unklar: Eine entsprechende Anfrage beantwortet die FIG nur mit Verweis auf ihr Statement auf der Homepage. Dort heißt es, dass die Visavergabe nicht in ihrer „Kompetenz und Kontrolle“ liege, dass der Weltverband sich zu seiner „politischen Neutralität“ bekenne und die missliche Lage samt den Folgen für die betroffenen Athleten tief bedauere.

Für israelische Sportler ist es eine Katastrophe. Doch sie wird sich womöglich nicht auf Indonesien und diesen Wettbewerb begrenzen lassen. Die Times of Israel berichtete am Dienstag, dass das Radsportteam „Israel Premier Tech“ vergangene Woche bekanntgab, seinen Namen zu ändern und sich von seiner nationalen Identität zu distanzieren. Das Team war aufgrund von Bedenken wegen propalästinensischer, antiisraelischer Proteste von einem Rennen in Italien ausgeschlossen worden.