Wehrpflicht: Bundestag befasst sich trotz Eklat mit Wehrdienstgesetz

Nach dem Regierungs-Eklat um das Wehrdienstgesetz soll der Entwurf morgen trotzdem im Bundestag debattiert werden. Das 104 Seiten lange Papier steht weiterhin für den späten Nachmittag auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Geplant ist die sogenannte erste Lesung mit entsprechender Debatte. Die schwarz-rote Koalition ist sich jedoch in einer zentralen Frage weiterhin nicht einig. Die Union setzt auf ein Losverfahren für den Fall, dass sich nicht genügend Freiwillige
für den neuen Wehrdienst melden. SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius und seine Fraktion
hatten jedoch einen entsprechenden Kompromiss abgelehnt. Der
Minister pocht stattdessen auf Freiwilligkeit und eine
flächendeckende Musterung aller jungen Männer, um die
Einsatzfähigkeit der Truppe zu sichern.

Hintergrund ist, dass Pistorius die Bundeswehr um rund 80.000 auf 260.000
Soldaten vergrößern will. Die Union bezweifelt, dass über Freiwilligkeit
genug Wehrdienstleistende angeworben werden können, fordert klare
Zielmarken für die Anwerbung und konkrete Mechanismen, falls diese nicht
erreicht werden. Eine Pressekonferenz, auf der eine Einigung präsentiert werden sollte, wurde am Dienstag überraschend abgesagt. Trotzdem sieht Pistorius den Zeitplan für das
Vorhaben nicht gefährdet. Der SPD-Minister versuchte, den Koalitionsstreit herunterzuspielen. Dass es bei Fragen zu Inhalten oder Verfahren
„mal rumpelt“, sei „doch völlig normal“. 

Deutliche Kritik von Röttgen, Spahn und Juso-Chef Türmer

Pistorius‘ Veto sorgte für heftige Kritik, unter anderem von CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Er habe in
seinen über 30 Jahren im Bundestag noch nie erlebt, dass ein
Bundesminister „ein wichtiges Gesetzgebungsverfahren frontal torpediert
und die eigene Fraktion in Chaos stürzt“, sagte Röttgen der Süddeutschen Zeitung

Unions-Fraktionschef Jens Spahn richtete ebenfalls deutliche Worte an Pistorius: „Gesetze werden in Deutschland immer
noch vom Parlament verhandelt und
beschlossen, nicht von Ministern.“ Juso-Chef Philipp Türmer warf der Koalition eine „politische
Bruchlandung“ wie in Ampelzeiten vor. Der Streit sei „katastrophal“, weil das die ohnehin bestehende Unsicherheit bei jungen Menschen noch
steigere
, sagte Türmer dem Spiegel. Das Losverfahren bezeichnete Türmer als „nicht durchdacht“.

Söder sieht Spielraum – Klingbeil findet Diskussion „völlig ok“

Allem Streit zum Trotz soll das sogenannte Wehrdienst-Modernisierungsgesetz noch in diesem Jahr stehen, betonte Regierungssprecher Stefan Kornelius. „Die Bundesregierung hat nach wie vor das
Ziel, den Gesetzgebungsprozess bis zum Jahresende
abzuschließen.“

Kompromiss-Signale kommen aus Bayern von CSU-Chef Markus Söder. Er glaube, dass es wichtig sei, mit Freiwilligkeit zu
beginnen. „Aber irgendwann braucht es auch Pflichtelemente, vielleicht
weniger durch Losverfahren, vielleicht durch andere Entwicklungen“,
sagte der bayerische Ministerpräsident. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann betonte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung allerdings, dass man das Losverfahren weiterhin als Basis für künftige Verhandlungen an dem Gesetz sieht.

Die SPD-Führung versuchte, die Wogen zu glätten. Parteichef Lars Klingbeil sagte, es sei „völlig ok“, dass über die ein oder andere Sachfrage auch mal
diskutiert werde. „Die Koalition ist stabil.“ Entscheidend sei, dass das Gesetz in dieser
Woche erstmals im Bundestag beraten werde und die Regierung ein
klares Ziel habe. Angesichts der russischen Aggression müsse sich die
Bundeswehr anders aufstellen und dazu gehöre auch, sie personell zu
stärken. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Dirk Wiese, sagte: „Entscheidend ist, dass es bis zur
Schlussberatung im Bundestag eine Einigung gibt.“

Die Opposition ist empört

Aus der Opposition hagelte es Kritik an dem Vorgehen der Regierungskoalition. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann
bezeichnete das Scheitern des Kompromisses als „total amateurhaft“. „Ich blicke ziemlich fassungslos auf dieses Chaos
dieser Koalition“, sagte sie im ZDF. Sie kritisierte dabei auch die
Pläne für eine zufällige Auswahl von Kandidaten. „Die Bundeswehr ist
doch keine Losbude, der Wehrdienst keine Lotterie.“ Linken-Chef Jan van Aken sprach von einem „Koalitionstheater“ und nannte das Losverfahren „makaber“.