
Manche unangenehme politische Entscheidung lässt sich durch Wortschöpfungen kaschieren. Am Mittwoch erfand das Bundesgesundheitsministerium von Nina Warken (CDU) den Ausdruck „durchschnittlicher ausgabendeckender Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV). Dieser werde sich 2026 nicht erhöhen, weshalb die Politik ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einlöse, dass die Beitragssätze nicht steigen müssten. „Die Bundesregierung hat Wort gehalten“, versicherte Warken nach dem Kabinettsbeschluss zu ihrem Stabilisierungspaket. „Die Deckungslücke in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der Pflegeversicherung wird geschlossen.“
Nach der jüngsten Konjunkturaufhellung werde das GKV-Defizit 2026 nicht vier, sondern zwei Milliarden Euro betragen; in der Pflege 1,7 statt zwei Milliarden. Für die Pflege sei noch unklar, wie die Regierung die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen schließen werde. „Da sind wir jetzt noch in den Gesprächen“, sagte Warken. „Dazu wird es in den nächsten Tagen aber auch eine Einigung geben.“
Für die GKV liegt diese Einigung jetzt vor, und sie hat viel mit dem „ausgabendeckenden Zusatzbeitrag“ zu tun. Dieser werde 2026 unverändert 2,9 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens betragen, versprach Warken. In Wirklichkeit legen aber weder die Politik noch der sie beratende Schätzerkreis, der ebenfalls am Mittwoch tagte, diesen Wert fest. Der Satz ergibt sich vielmehr aus dem Durchschnitt der tatsächlich von den Kassen erhobenen Zusatzbeiträge, den sie brauchen, um ihre Kosten zu decken.
Der allgemeine gesetzliche Satz soll bei 14,6 Prozent bleiben
Im laufenden Jahr müssen die Versicherungen dafür durchschnittlich 2,9 Prozent erheben. Damit übersteigen sie deutlich die zugrunde liegende behördliche Orientierung, bisher schlicht „durchschnittlicher Zusatzbeitrag“ genannt, von 2,5 Prozent. Nur für diesen Referenzwert sind Warkens Haus und der Schätzerkreis zuständig, nicht aber für den tatsächlichen oder „ausgabendeckenden“ Satz. Denn diesen legt jede Kasse für sich fest und muss sich ihn von den Aufsichtsbehörden genehmigen lassen. Wenn also Warken den tatsächlichen Satz zur Orientierung oder zum „neuen Normal“ erklärt, können die Kassen trotzdem davon abweichen – sodass Beitragssatzsteigerungen 2026 keineswegs ausgeschlossen sind.
Die Ministerin rechtfertigte das am Mittwoch damit, dass sich die Versicherungen im Wettbewerb befänden und versuchen müssten, mit den Zusatzbeiträgen auszukommen. Schließlich nähmen einige auch weniger als den Durchschnitt. Den allgemeinen gesetzlichen Satz von 14,6 Prozent, der seit Einführung der Zusatzbeiträge 2015 unverändert ist, werde die Bundesregierung hingegen nicht ändern, kündigte die Ministerin an. Insgesamt summieren sich die Beiträge, die sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen, 2026 dann auf 17,5 Prozent. Der offizielle Durchschnitt im laufenden Jahr beträgt indes 17,1 Prozent, also 0,4 Punkte weniger als im neuen Jahr.
Dennoch sagte Warken am Mittwoch: „In den letzten Jahren musste zum Jahresende immer eine Erhöhung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags verkündet werden, diese zur Gewohnheit gewordene Routine durchbrechen wir jetzt.“ Der Schätzerkreis bestätigte am Mittwochabend, dass der rechnerische durchschnittliche Zusatzbeitragssatz für 2026 2,9 Prozent betragen müsse, nach 2,5 Prozent 2025. Bei der Berechnung der Einnahmen des Gesundheitsfonds sei sich der Kreis aus Ministerium, GKV-Spitzenverband und Bundesamt BAS mit 312,3 Milliarden Euro einig gewesen. Die Ausgaben beziffere die GKV aber auf 369,5 Milliarden Euro und damit um 500 Millionen höher als das Ministerium.
„Virtuelle Orientierungsgröße“
Skeptiker werfen Warken Taschenspielertricks vor, die neue Bezeichnung verschleiere die Notwendigkeit weiterer Beitragssatzerhöhungen. Jens Martin Hoyer vom AOK-Bundesverband kritisierte, es sei „vollkommen offen“, ob sich die Kassen beim Zusatzbeitrag wirklich nach der neuen „virtuellen Orientierungsgröße“ richteten. Möglicherweise müssten die Beiträge, wie 2025, doch stärker steigen, weil „die Ausgaben weiter durch die Decke schießen“.
Der GKV-Spitzenverband machte darauf aufmerksam, dass die Berechnung des Schätzerkreises die Notwendigkeit außer Acht lasse, dass zahlreiche Kassen zusätzlich zu den allgemeinen Ausgabensteigerungen auch noch die Wiederauffüllung ihrer gesetzlichen Mindestreserve bewältigen müssten. Vielen schafften es nach wie vor nicht, 20 Prozent einer Monatsausgabe vorzuhalten.
„Aufgrund der Ausgabendynamik war es vielen Krankenkassen im laufenden Jahr nicht möglich, ihre Rücklagen wieder auf das gesetzlich vorgegebene Niveau anzuheben“, teilte der Verband am Abend mit. Er sieht deshalb trotz Warkens Beteuerungen Beitragssatzsteigerungen auf die Versicherten zukommen: „Die Verpflichtung zur Auffüllung besteht 2026 fort – und wird Zusatzbeitragssatzanhebungen erforderlich machen.“
Das Bundeskabinett hatte zuvor Warkens „Maßnahmen für stabile GKV-Beiträge im Jahr 2026“ beschlossen. Die Novellen sehen Einsparungen von zwei Milliarden Euro vor. 1,8 Milliarden Euro entfallen auf Kliniken, deren Vergütung nicht mehr schneller steigen darf als die tatsächliche Kostenentwicklung. Außerdem sollen die Sachkosten der Krankenkassen nicht stärker als zwei Prozent steigen, was etwa 100 Millionen Euro einspart. Auch kürzt Berlin die Förderung des Innovationsfonds um die Hälfte und entlastet die Kassen, was weitere 100 Millionen spart.
Die Neuordnung stößt auf Kritik. „Die Gesundheitsministerin präsentiert weiterhin kurzfristige Schnellschüsse statt nachhaltiger Reformen, ein Flickwerk ohne Zukunftsperspektive“, kritisierte die grüne Opposition. Stattdessen müssten Kranken- und Pflegeversicherung „jetzt mit ehrlichen Reformen auf ein stabiles Fundament“ gestellt werden. Warken kündigte derweil längerfristige Reformen über die von ihr eingesetzte „Finanzkommission Gesundheit“ an.